Einigung zur Grundrente: Feldversuch zur Umverteilung

Die jetzt vereinbarte Grundrente ist auch ein Großversuch: ob eine reale Umverteilungspolitik heute überhaupt noch machbar ist.

Silhouette einer Menschenmenge

Gilt auch auf dem Dach des Reichstagsgebäudes: Besserung am Horizont für Geringverdiener Foto: Fabrizio bensch/reuters

Nun kommt sie also doch. Nach langem Gezerre einigte sich die Koalition auf die Grundrente inklusive einer „umfassenden Einkommensprüfung“ als Voraussetzung. Das Wort „Bedürftigkeitsprüfung“ ist damit gestrichen. SeniorInnen müssen nicht, wie Hartz-IV-Empfänger, in einem Antrag auf die neue Sozialleistung den ganzen Besitz, das eigene Auto, die Datsche offenlegen. Stattdessen wird das Haushaltseinkommen von den Rentenkassen automatisch geprüft, mithilfe der Steuerdaten von den Finanzämtern.

Damit bekommen zum Beispiel Ehefrauen mit kleiner eigener Rente, aber gutverdienendem Ehemann keine Grundrente. Das ist okay, unter Verteilungsgesichtspunkten. Denn die Gruppen, die besonders von Altersarmut betroffen sind, werden dadurch nicht benachteiligt: Es sind alleinstehende Frauen, darunter auch die Geschiedenen, die sich nach der Scheidung mit Kindern und Teilzeitarbeit mühsam durchwurschtelten und jetzt im Alter wenigstens einen kleinen Aufschlag kriegen auf die bescheidene Rente.

Sicher, die neue Sozialleistung produziert auch neue Ungerechtigkeiten. Was ist mit denen, die eben nur 32 Jahre an Beitragszeiten in die Rentenkasse aufweisen können, in denen sie aber Vollzeit arbeiteten, bis sie krank wurden, zum Beispiel? In den Fernsehtalkshows wird garantiert der Paketbote auftauchen, der jahrzehntelang zum Mindestlohn schuftete und trotzdem keine Grundrente bekommt. Und was ist mit den ErbInnen, die mit Vermögen und Grundrente auf Kosten der Steuerzahler im Alter noch ein bisschen besser leben? Auch nicht ganz fair.

Hinzu kommt das Behördenchaos, wenn plötzlich die Rentenversicherung unter Zuhilfenahme der Steuerdaten von den Finanzämtern den Anspruch auf Grundrente für Millionen von RentnerInnen berechnen soll. Wird auch nicht schön. Man muss nur an das Bürokratiechaos bei Hartz IV denken.

Trotzdem oder gerade deswegen ist es richtig und auch durchaus mutig, dass sich die Große Koalition doch noch auf die Grundrente geeinigt hat. Denn so sieht sie eben aus, die Umverteilung in einem komplexen Sozialstaat von heute: Es wird Ungerechtigkeiten, Enttäuschungen geben, Neid, Hetze, Ämterchaos – aber eben auch hunderttausende von Menschen, vor allem Frauen, die jahrzehntelang gearbeitet haben und von der Grundrente im Alter profitieren. Die vielzitierte Zahnarztgattin wird nicht dabei sein, siehe Steuerprüfung.

Die Grundrente ist also auch ein Großversuch. An ihr entscheidet sich die Frage, ob Umverteilungspolitik, und zwar die reale, nicht die angekündigte oder geforderte, ob also reale Umverteilungspolitik heute überhaupt noch machbar ist. Ob man damit als PolitikerIn am Ende nur bei den WählerInnen verliert. Oder eben nicht.

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Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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