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: Das Märchen vom Wirtschaftswunder

Im taz Salon in Hannover dekonstruiert Ulrike Herrmann heute den Gründungsmythos der Bundesrepublik

Von Gernot Knödler

Ludwig Erhard war mitnichten der Vater des Wirtschaftswunders. Er hat sich mit den Nazis eingelassen und das erfolgreich verschleiert. Und das Wirtschaftswunder hat es – zumindest als deutsche Besonderheit – gar nicht gegeben. Diese Thesen stehen in Ulrike Herrmanns neuem Buch über die deutsche Wirtschaftsgeschichte der vergangenen 100 Jahre. Für Unterhaltung ist also gesorgt, wenn sie es heute Abend in Hannover vorstellt und mit dem Wirtschaftsweisen Achim Truger von der Uni Duisburg-Essen diskutiert.

Die Wirtschaftskorrespondentin der taz geht dahin, wo’s weh tut: zum Gründungsmythos der Bundesrepublik. Das, was die Deutschen bis dato hochgehalten hatten – die Nation, das Militär, die Kultur – war mit dem Zusammenbruch der Nazi-Herrschaft und dem Bekanntwerden ihrer mons­trösen Verbrechen entwertet. Die Menschen mussten etwas Neues finden, auf das sie stolz sein konnten. Sie fanden es mit dem Wirtschaftswunder, der stabilen D-Mark, dem Prädikat „Exportweltmeister“.

Symbol dafür wurde der erste Wirtschaftsminister Ludwig Erhard (CDU), der Dicke mit der Zigarre, der den Deutschen bildlich vor Augen führte, dass bessere Zeiten möglich waren. Herrmann zeigt, wie Erhard systematisch zum Vater des Wirtschaftswunders und damit zur Werbefigur für die „soziale“ Marktwirtschaft aufgebaut wurde.

Dabei, sagt Herrmann, sei der erste Wirtschaftsminister alles andere als ein Vorbild gewesen: „Erhard war nicht nur ein Opportunist und Lügner sondern auch ein naiver Ökonom.“ Die Währungsreform mit Einführung der D-Mark gehe auf Pläne der Besatzer zurück. Die wichtigsten und segensreichsten Richtungsentscheidungen für die bundesdeutsche Volkswirtschaft seien von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) getroffen worden – gegen den Widerstand seines Wirtschaftsministers. Im Gegensatz zu Erhard habe Adenauer das Primat der Politik gewahrt.

Herrmann hat im Bundesarchiv einen Briefwechsel ausgegraben, der mit der Behauptung aufräumt, Erhard sei unbelastet durch die Nazi-Zeit gekommen. Sie selbst nennt den Fund eine Bombe, die bei Wirtschaftsliberalen und den Sachwaltern von Ludwig Erhards Erbe auch als solche eingeschlagen ist. Im Salon wird es zudem um eine Bewertung der Wiedervereinigung gehen und um den drohenden Kollaps unserer Zivilisation.

taz Salon „Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen“, 19 Uhr, Kulturzentrum Faust, Zur Bettfedernfabrik 3, Hannover, Eintritt frei