Protest in Chile: Kampf für eine neue Verfassung

Die Demonstranten wollen sich nicht mit Sozialmaßnahmen abspeisen lassen. Erneut kommt es zu schweren Zusammenstößen mit der Polizei.

Menschen protestieren mit der chilenischen Fahne gegen die Regierung

Proteste gegen Chiles Regierung am 3. November auf der Plaza Italia in Santiago Foto: Jorge Silva/reuters

BUENOS AIRES taz | Um 18.53 Uhr bebte in Santiago de Chile die Erde. Schuld daran waren nicht die Tausenden Menschen, die sich zum „Súper Lunes“, zum Supermontag, auf und um die Plaza Italia im Zentrum der chilenischen Hauptstadt versammelt hatten. Das Epizentrum des Bebens mit der Stärke 6,1 lag rund 290 Kilometer nördlich bei der Kleinstadt Illapel.

Der Protest auf der Plaza Italia richtete sich gegen die von der Regierung angekündigten Sozialmaßnahmen. Die Demonstranten forderten stattdessen strukturelle Änderungen und eine neue Verfassung. Waren die Proteste zunächst friedlich verlaufen, kam es am Abend zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und Uniformierten.

Bisher versucht die Regierung von Präsident Sebastián Piñera und seine Vier-Parteienallianz Chile Vamos die Forderung nach der Verfassungsreform mit der Ankündigung sozialer Verbesserungen auszubremsen. Tonangebend in der Regierungsallianz sind die rechtsliberale Renovación Nacional (RN) sowie die pinochettreue Unión Demócrata Independiente (UDI).

„Was die Menschen jetzt wollen, ist eine Lösung bei den Themen Renten, Löhne und Gesundheit. Dagegen dauert eine Verfassungsänderung mehr als ein Jahr“, so der RN-Vorsitzende Mario Desbordes. Und die UDI-Vorsitzende Jacqueline van Rysselberghe erklärte: „Die Änderung der Verfassung ist kein Ausweg aus der Krise, denn sie ist keine politische, sondern eine soziale Krise.“

Weg frei

Nägel mit Köpfen machte dagegen das Mitte-links-Oppositionsbündnis Nueva Mayoría am Montag im Verfassungsausschuss des Abgeordnetenhauses. Gegen die Stimmen der Regierungsallianz machte es den Weg für eine Debatte im Parlament über eine neue Verfassung frei und darüber, ob der Kongress oder eine verfassunggebende Versammlung diese ausarbeiten soll.

Zustimmung kam bereits vom Senat. „Wir werden nicht warten, bis die Regierung auf die Rufe der Bevölkerung hört. Für eine Lösung der schweren Krise des Landes sind strukturelle Veränderungen erforderlich“, sagte Senatspräsident und Sprecher der Nueva Mayoría, Jaime Quintana.

Noch immer gilt in Chile die Verfassung der Pinochet-Diktatur (1973–1990) aus dem Jahr 1980, die de facto den Neoliberalismus als alleinige Wirtschaftsdoktrin festschreibt. Deshalb ist auch knapp 30 Jahre nach dem Ende der Diktatur noch immer nahezu alles in privater Hand – darunter Bildung, Gesundheit, Renten und auch das Wasser.

Nach einer aktuellen Umfrage des Instituts Cadem sind inzwischen 87 Prozent der Bevölkerung für eine Verfassungsreform. 46 Prozent sind zudem der Meinung, diese sollte durch eine verfassunggebende Versammlung ausgearbeitet werden, 13 Prozent sehen im Kongress den geeigneten Ort dafür.

Die Verfassungsreform war eines der entscheidenden Versprechen der ehemaligen sozialistischen Präsidentin Michelle Bachelet (2006–2010 und 2014–2018) für ihre zweite Amtszeit. Für Bachelet war stets der Kongress die dafür zuständige Institution. Noch kurz vor dem Ende ihrer Amtszeit 2018 hatte sie den jetzt reaktivierten Reformvorschlag in den Kongress eingebracht. Unter Präsident Piñera hatte er dort auf Eis gelegen.

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