Informatiker über Streamingdienst: „Streaming ist zu billig“

Google startet seinen Streamingdienst für Games. Der Informatiker Peter Sanders erforscht, wie Algorithmen den wachsenden Strombedarf bändigen können.

Ein Mensch hält einen Controller in den Händen, um ein Spiel von Googles neuen Streamingdienst Stadia zu spielen.

Google steigt in den Gaming-Markt ein – und braucht künftig noch mehr Strom als bisher Foto: dpa

taz: Herr Sanders, das Energieunternehmen Eon schätzt, dass Streaming weltweit rund 200 Milliarden Kilowattstunden Strom pro Jahr verbraucht. Das ist so viel, wie alle Privathaushalte in Deutschland, Italien und Polen im Jahr zusammen benötigen. Warum ist das Internet so stromhungrig?

Peter Sanders: Weil es immer wichtiger wird. Die Nutzungsdauer in unserem Alltag ist in den letzten Jahren immens gestiegen. Wir erschließen neue Bereiche. Geräte laufen länger, und gleichzeitig nutzen wir Dienste, die hohe Bandbreiten erfordern wie eben Videostreaming-Dienste. Und dann braucht ja nicht nur die Software Strom.

Was denn noch?

Die IT-Infrastruktur von Rechenzentren. Dort stehen die Server, die unsere Inhalte bereitstellen und im Gegensatz zu unseren eigenen Geräten zu Hause rund um die Uhr in Betrieb sind. Besonders Videostreaming-Dienste mit großen Bandbreiten wie Netflix oder Google Stadia verbrauchen viel Strom. Hinzu kommt die Herstellung der Geräte wie Smartphones oder Fernseher. Dabei verbrauchen sie Strom für die Rechenleistung und komplexe Kühlsysteme. Und je größer die Bildschirme sind, desto größer muss die Bandbreite sein und umso mehr Strom wird im Rechenzentrum verbraucht.

51, ist Professor für theoretische Informatik am Karlsruher Institut für Technik. Er forscht zu Algorithmen und beschäftigt sich mit großen Datenmengen.

Nun basiert jede Software auf Algorithmen. Wofür braucht man die überhaupt?

Nehmen wir an, ein Start-up will eine App entwickeln, die berechnet, welche Hochzeitsgäste an den Tischen am besten miteinander harmonieren. Bei einer großen Hochzeitsgesellschaft gibt es da ja Milliarden von Möglichkeiten. Um das möglichst schnell zu berechnen, brauchen sie Algorithmen.

Also eine Art Kochrezept, das in vielen Einzelschritten Regeln vorgibt. Etwa: Schneiden Sie ein Kilo Kartoffeln in kleine Würfel und geben Sie sie anschließend ins Wasser.

Exakt. Und unser Gehirn, das das Kochrezept befolgt und umsetzt, wäre dann die fertige Software. Jedenfalls, dieses Start-up möchte mit seiner Idee nun möglichst schnell auf den Markt drängen und Profit machen. Da werden die Programmiererinnen und Programmierer möglichst schnell etwas zum Laufen bringen, aber nicht unbedingt darauf achten, dass das auch energieeffizient ist. Und wenn kleine Unternehmen mit diesen notdürftig zusammengebauten Programmen rasch wachsen, verbrauchen sie später Unmengen an Strom.

Und da kommen Sie ins Spiel.

Ja. Wenn sich Unternehmen ans uns wenden, schlagen wir manchmal die Hände überm Kopf zusammen, so schlecht sind die Programme von manchen Firmen gebaut. Mit geschickten Maßnahmen haben wir die Rechenzeit von Software schon um bis zu sechs Größenordnungen verringert, also um den Faktor eine Million. Die Ladezeiten bei der Hochzeits-App wären dann quasi nur noch ein Bruchteil so lang wie zuvor.

Und verbraucht dementsprechend auch weniger Strom. Was ermöglicht die schnellere Rechenzeit noch?

Sie können dann völlig neue Anwendungsgebiete und Funktionen erschließen. Google hatte gemeinsam mit einigen unserer Absolventen seinen Routenplaner Google Maps effizienter designt. So kam dann das Verschieben von Routen und Vorschläge zu alternativen Strecken in Echtzeit hinzu. Das geht nur, wenn die Routenplanung sehr schnell ist. Und mit der höheren Effizienz sinkt nicht nur der Energieverbrauch der App, sondern auch der CO2-Verbrauch der Autos, die Google Maps nutzen.

Was ist Google Stadia?

Nie wieder Computerspiele im Laden kaufen oder mühselig herunterladen, sondern einfach bequem via Stream loslegen: Das verspricht Googles neuer cloudbasierter Spieledienst Stadia, der am Dienstag auch in Deutschland startete. Zum Erscheinungstermin ist die Pro-Variante verfügbar, die 9,99 Euro pro Monat kostet und Gratis-Spiele, Surround-Sound und 4K-Auflösung bietet. Ab 2020 soll es auch eine kostenlose Basis-Edition geben, die auf Stereo-Sound und Full-HD begrenzt ist.

Wie hoch ist der Datenverbrauch?

Erste Tests berichten, dass Stadia bis zu 20 Gigabyte pro Stunde verbraucht. Die Grafikoption "eingeschränkte Datennutzung" begrenzt Stadias Internethunger auf 4,5 Gigabyte pro Stunde. Doch selbst in dieser Einstellung würde das Open-World-Epos Red Dead Redemption 2 bei 60 Stunden Spielzeit 270 Gigabyte verschlingen. Bei allein mehreren tausend Spielern würde der Datenverbrauch explodieren, wobei Google mit solch einer geringen Spielerzahl sicherlich unzufrieden wäre. Ob Provider künftig ein spezielles Gaming-Angebot liefern oder ab einem bestimmten Zeitpunkt das Datenvolumen begrenzen, ist unklar.

Welche Spiele sind enthalten?

Das Stadia-Portfolio bietet aktuell 22 Games, Highlight ist das kürzlich für PC erschienene Open-World-Spiel „Red Dead Redemption 2“. Doch 22 (mitunter ältere und teurere) Spiele sind nicht viel, deshalb sollen künftig weitere Titel hinzukommen, darunter auch exklusive Produktionen von Googles eigenem Entwicklerstudio. Stadia ist indes kein „Netflix für Games“, jedes Spiel muss einzeln zum Vollpreis erworben werden. In Zeiten, wo Microsoft und Sony ebenfalls Spiele-Streaming und Abo-Modelle mit hunderten Spielen anbieten, wirkt Google Stadia bereits zu Release aus der Zeit gefallen.

Was für zusätzliche Geräte braucht man?

Nur wer Stadia im Google-Chrome-Browser am PC nutzt, kann direkt losspielen. Auf dem Fernseher sind zusätzlich das Streaming-Gerät Chromecast Ultra und der Stadia Controller für insgesamt rund 150 Euro erforderlich. Wer auf dem Handy loslegen will, braucht ein Pixel-Smartphone von Google. Zum Start von Stadia gibt es also noch viele Einschränkungen. Erste Tester sprechen bereits von einem Flop und spekulieren, ob Google die Plattform bald wieder einstellen wird.

Zumindest bei einem Tech-Riesen wie Google würde man doch erwarten, dass er seine Programme schon so effizient wie möglich designt.

Google lässt sich da nur ganz selten in die Karten schauen. Ich vermute, dass es bei den Google-Anwendungen das gesamte Spektrum gibt. Die Suchmaschine oder YouTube werden stark optimiert sein. Denn sie haben ja auch ein Interesse daran, Kosten zu sparen und mit neuen Funktionen mehr Kunden zu gewinnen. Bei der Routenplanung war es aber beispielsweise nicht so. Auch heute wird es bei Google-Software sicherlich noch Optimierungspotenzial geben.

Wenn selbst bei milliardenschweren Unternehmen wie Google noch Optimierungspotenzial besteht: Können sich kleine Unternehmen diese höhere Effizienz überhaupt leisten?

Das geht, und zwar mit den richtigen Programmierwerkzeugen. Es gibt beispielsweise frei verfügbare Software, die schon sehr effizient gebaut und für jeden Zweck einsetzbar ist. Aber Firmen müssen diese freie Software auch nutzen, und aktuell passiert das viel zu wenig. Womöglich, weil sich Entwicklerinnen und Entwickler des Stromverbrauchs überhaupt nicht bewusst sind. Im Zweifel steht dann eher ein neues Rechenzentrum in der Landschaft.

Nun ist es so, dass Effizienzsteigerungen in der Vergangenheit häufig dazu geführt haben, dass die Ersparnis durch den Mehrverbrauch wieder zunichtegemacht wurde – der sogenannte Rebound-Effekt. Mehr noch: Die Dampfmaschine ermöglichte es etwa, Kohle viel effizienter zu verbrennen als zuvor. Aber dadurch kam der Kohleverbrauch erst richtig in Schwung.

Sind Effizienzsteigerungen auf lange Sicht also nicht der falsche Weg?

Das ist sehr schwer zu sagen. Sicherlich ist es so, dass manche Unternehmen Einsparungen dafür nutzen würden, um Funktionen einzubauen, die womöglich gar nicht sinnvoll wären – also etwa besonders hohe Auflösungen bei Streaming-Diensten, die dann nur noch mehr Strom benötigen. Beim Spielestreaming-Dienst Stadia werden künftig die Datenträger und Verpackungen eingespart, und es braucht weniger Hardware für PCs und Konsolen. Dafür wird in den Rechenzentren zusätzlicher Strom verbraucht, wenn mehr Menschen spielen, die zuvor nicht die notwendige Technik besaßen. Aber generell ist die Bilanz zwischen Einsparungen und dem Neuverbrauch sehr schwer zu messen.

Trotzdem: Wäre es nicht besser, statt immer effizienter zu werden, einfach seltener Streaming-Dienste zu nutzen?

Dafür müssten User erst mal wissen, dass Video-Streaming Unmengen an Strom in Rechenzentren verbraucht. Die Politik sollte hier Vorgaben machen.

Und was genau? Regulieren? Höchstens noch drei Folgen Netflix pro Woche?

Nein, von so etwas halte ich absolut nichts. Eine CO2-Bepreisung könnte helfen, denn Stream­ing ist zu billig. Der Energieverbrauch würde dann zwar nicht sinken, Streaming aber teurer werden. Helfen könnte auch eine Zertifizierung von Software, ähnlich wie bei der Energieeffizienzklasse von Kühl­schränken. Also, dass etwa Netflix ein A++-Dienst ist, weil er Ökostrom nutzt und die Server-Abwärme ins Fernwärmenetz einspeist.

Auf Streaming-Dienste zu verzichten wird also nicht mehr gehen?

Ziemlich sicher nicht. Was wir aber ändern könnten, ist das Finanzierungsmodell des Web.

Sie meinen, dass das Internet künftig nicht mehr umsonst sein soll? Abgesehen von den Provider-Kosten.

Genau. Denn ein wesentlicher Teil des Internetverkehrs und der Rechenzentren dient dazu, Werbung zu transportieren, Benutzerverhalten zu analysieren und sie möglichst präzise auf einzelne Personen zuzuschneiden. Wäre das Internet nicht mehr werbefinanziert, könnten wir womöglich noch einiges an Strom einsparen.

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