Proteste in Georgien: Wohlfeiles Fordern hilft nichts

Die Regierung geht unverhältnismäßig hart gegen die Demonstranten in Tiflis vor. Aufrufe zur Mäßigung werden die Proteste aber nicht stoppen.

Maskierter Demonstrant mit Helm und Fahne

Maskierter Demonstrant mit einer Fahne vor der Polizeilinie in Tiflis Foto: Shakh Aivazov/ap

Der „georgische Traum“ ist jetzt wohl endgültig ausgeträumt. Das unverhältnismäßige Vorgehen von Sicherheitskräften gegen DemonstrantInnen, das Verletzte, wenn nicht gar Tote billigend in Kauf nimmt, ist nichts anderes als der Versuch der gleichnamigen Regierungspartei, sich an die Macht zu klammern. Um jeden Preis.

Dabei hat das Regime bereits mehrfach rote Linien überschritten. Das war schon im vergangenen Juni so, als die vorübergehende Inbesitznahme des Präsidentensessels im Tifliser Parlament durch einen russischen Abgeordneten wochenlange Proteste auslöste. Bedenkt man, dass der Nachbar 20 Prozent des georgischen Territoriums besetzt hält, war diese Reaktion alles andere als überraschend. Nicht weniger provokativ war die Ernennung von Giorgi Gacharia zum Regierungschef – jenes Mannes, der als Innenminister die Juni-Proteste hatte zusammenknüppeln lassen.

Das Gleiche gilt für das jetzt gebrochene Versprechen, für die Parlamentswahl im kommenden Jahr das reine Verhältniswahlrecht einzuführen. ­Warum der milliardenschwere Parteichef des „georgischen Traums“ und heimliche Strippenzieher in der Politik, Bidzina Iwanischwili, samt seinen Anhängern daran kein Interesse hat, liegt auf der Hand: Die Umfragewerte sind so tief im Keller wie lange nicht, und das dürfte sich in absehbarer Zeit kaum ändern.

Will heißen: Ein Machtwechsel, der in Georgien immerhin schon mehrmals demokratisch vollzogen wurde, würde mit einem reformierten Wahlrecht immer wahrscheinlicher.

Sowohl die Europäische Union als auch die USA rufen jetzt beide Seiten zu Mäßigung und Dialog auf. Diese wohlfeile Forderung dürfte allerdings kaum dazu beitragen, die Lage zu beruhigen. Und zwar so lange nicht, wie diese Regierung, in der viele nur mehr die personifizierte Arroganz der Macht sehen, den DemonstrantInnen weiter ins Gesicht schlägt. Denn die lassen sich nicht mehr einschüchtern, sie werden mit ihren Aktionen weitermachen. Und das bis zum (bitteren) Ende.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

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