Tierisch fremd

Athen ist das Tor Europas und gilt als neue europäische Kunstmetropole. Aber der Blick auf die Stadt scheint immer noch verstellt. Das will die Organisation AthenSYN ändern

„Feels like home Acropolis“, Fotomontage von Dionisis Christofilo­giannis Foto: Dionisis Christofilo­giannis

Von Astrid Kaminski

Der Athener Kurator Sotirios Bahtsetzis ist ein Delfin, der Intendant der Berliner Festspiele Thomas Oberender ein luchsähnlicher sibirischer Karakal und die Publizistin Johanna Di Blasi, deren Buch „Das Humboldt Lab“ gerade herauskam, ein Phönix. Mit Filzstift im Bilderbuchstil porträtiert wurden diese und ein gutes Dutzend weitere Personen von der Künstlerin und Athener „Autonome Akademie“-Gründerin Joulia Strauss.

Muss man das interpretieren? Vermutlich nicht. Denn Tiere als charakterliche Attribute zu benutzen, sie also menschlichen Eigenschaften unterzuordnen, spiegelt eine ziemlich anthro­pozentrische Sicht auf die Welt. Strauss’ Tierleben ist dagegen unter dem Titel „Deanthropocene Drawings: Professoren der Autonomen Akademie“ gefasst. Es geht dabei um Zeit­genoss*innen, die das Zeitalter des Anthropozän, in dem der Mensch zur alles bestimmenden biogenetischen Kraft geworden ist, kritisch befragen.

Gemeinsam ist den Athener Gast-„Professor*innen“ außerdem, dass ihre tierischen Porträts nun im Rahmen der Ausstellung „homemade exotica“ im prächtigen Berliner Freiraum – einem zum Kunstprojektraum entkernten ehemaligen Fuhrpark und Pferdestall – hängen. „Homemade exotica“ will deutsch-griechische Kunstperspektiven im Nachklang auf die einst viel diskutierte, inzwischen mehr als zwei Jahre zurückliegende Kasseler documenta 14 und ihr Motto „Von Athen lernen“ beleuchten. Dass dies unter dem Stichwort des „Exotismus“ – einer europäischen Erfindung des 19. Jahrhunderts – geschehen soll, macht bereits der Titel der Ausstellung klar. In einer Reihe von „Athens Talks“ am vergangenen Wochenende wurde genauer formuliert, welcher Exotismus gemeint ist: der einer deutsch-europäischen Geisteswissenschaft mit ihrem Philhellenismus- und Antikentourismus genauso wie der kuratorische Ansatz der documenta 14, zusammengefasst als „kuratorisches Airbnb“ vor dem Hintergrund von Finanzkrisen- und Antiglobalisierungsverschlagwortung.

Ein Gefühl für schwierige Nachbarschaften

Obwohl „homemade exotica“ sich nicht auf die Fahnen schrei­ben möchte, eine weitere Documenta-14-Kritik zu sein, feuert der Kurator Sotirios Bahtsetzis in seinem Vortrag munter drauflos, unter anderem auf das Motto „Von Athen lernen“ – das eine Art „mystisches Wissen“ in der griechischen Hauptstadt zu vermuten scheint. Seine von der Stavros-Niarchos-Stiftung (neben der Onassis-Stiftung der wichtigste Fördermittelgeber in Athen) finanzierte Ausstellung ist dagegen unter dem Dach der Organisation AthenSYN verortet, die sich vor drei Jahren zum Zweck eines griechisch-deutschen Kul­turaustausches gegründet hat und eher mit Athen lernen möchte.

Dazu hat er eine Reihe Künst­ler*innen vorwiegend der mittleren Generation versammelt, die eindrückliche Portfolios vorzuweisen haben, einschließlich der letzten Venedig-Biennale-Jahrgänge. Ins Auge sticht zunächst das im altmeisterlichen Stil in Lasurtechnik auf Holz gemalte Triptychon von Dmitris Tzamouranis, auf dem er Familie und Freund*innen in Einzel- und Gruppenakten porträtiert. Ein Eyecatcher sind auch die Fotomontagen von Dionisis Chris­tofilogiannis, die Perspektiven auf die Athener Akropolis oder den Berliner Reichstag mit jenen von syrischen Kriegsverwüstungen kombinieren. Unauffälliger präsent sind die a-to­pischen, in Collagetechnik entstandenen Landschaftsbilder von Theodoros Zafeiropoulos, deren Titel aus den Koordinaten von Grenzorten bestehen. Ihre Schichtungstechniken zeigen die niemandslandartigen Orte wie unter Sprühregen und lassen unter Umständen ein Gefühl für die schwierigen grie­chischen Nachbarschaftsbeziehungen – etwa zu Nordmazedonien oder zur Türkei – entstehen.

Dagegen sind die Video­arbeiten weniger zugänglich. Die bis zu 30 Minuten dauernden, konzeptuellen Arbeiten werden ohne Konzentration ermöglichende Rahmung präsentiert. So lassen sich die Kontexte der angedeuteten Themen Migration, Xenophobie und Gender nur schwer erschließen. Generell ist das Verhältnis zwischen dem gesellschaftspolitischen Symbolgehalt der ausgesuchten Arbeiten und ihrer rein ästhetischen Präsentation als Querschnitt von Athener Kunstschaffen nicht ganz klar. Dass zum Beispiel im Video von ­Vassiliea Stylianidou auf die große pakistanische Exilgesellschaft in Athen, die nach London die größte Europas bildet, ­verwiesen wird, muss man wissen.

Die (Aktivismus-)Geschichte von Joulia Strauss’ „Autonomer Akademie“ im infrastrukturell eher vernachlässigten Athener Stadtteil Akadimia Platonos wäre es ebenfalls wert, ausführlicher erzählt zu werden. Sie hatte wiederum auch im Programm der documenta 14 ihren Platz. Insofern ist die kritische Fortschreibung deutsch-griechischer Kunstbeziehungen noch ein zartes Pflänzchen mit zartem Budget und einem immer noch großen Nachhol­bedarf.