Idil Baydars Möllner Rede: Rede trotz Drohungen

Die Komikerin Idil Baydar, bekannt als Jilet Ayse, hat Angst, Wut – und Kraft. Damit will sie des Heldenmuts der Überlebenden von Mölln gedenken.

Eine Frau mit blondem Dutt

Derb-poetisch: Jilet Ayse, eine der Kunstfiguren von Idil Baydar Foto: Christoph Hardt/imago

Am 23. November 1992 ermordeten Neonazis drei Menschen durch einen Brandanschlag auf das Haus der Familie Arslan in Mölln. 27 Jahre später erhält die Comedian Idil Baydar folgende SMS-Nachricht: „Wenn du am 17.11.2019 die Möllner Rede im Exil hältst, knalle ich dich ab.“ Unterzeichnet ist die Nachricht mit „SS Obersturmbannführer“.

Es sei bereits die achte Morddrohung in diesem Jahr gewesen, sagt Baydar, die sich nicht davon abbringen ließ, ihre Rede zu halten. Allerdings unter Polizeischutz. „Ich habe Angst, ich habe Wut, aber am allermeisten habe ich Kraft“, sagte sie.

Und dass sie nicht der „feigen Morde“ von Mölln gedenke, sondern des Heldentums von Bahide Arslan, die ihren Enkel in nasse Tücher gewickelt und vor dem Feuer gerettet hatte.

Die Möllner Rede wird jährlich vom Freundeskreis und den Familienangehörigen der Opfer des rassistischen Mordanschlags organisiert. Weil die Stadt Mölln die Angehörigen nicht mehr in die Planung einbezogen, Angehörige nicht mehr eingeladen hatte, organisieren diese seit 2013 die „Möllner Rede im Exil“, an anderen Orten. In diesem Jahr war es Frankfurt.

Scharf wie eine Rasierklinge

Idil Baydar wurde mit ihrer Figur „Jilet Ayse“ bekannt. Sie ist eine junge Göre mit Goldklunker und Trainingsanzug, türkisch-deutscher Geschichte und derb-poetischem Zungenschlag. Daneben hat Baydar aber auch die Figur „Gerda Grischke“ erfunden, eine etwas ältere Göre mit Dauerwelle und Kittelschürze, deutsch-deutscher Geschichte und derb-poetischem Zungenschlag.

Baydars Bühnenshows heißen zum Beispiel „Deutschland, wir müssen reden“ und in der Regel geht es um Rassismus in den diversen Milieus dieser Republik. In einem Interview mit der taz 2015 erzählte Baydar, dass sie ihre Jilet-Figur eigentlich „Massaker-Fatma“ nennen wollte. Aber ihre Mutter hatte einen besseren Einfall: Jilet Ayse, weil die Zunge ihrer Tochter so scharf wie eine Rasierklinge sei.

„Einige empfinden Jilet als Angriff. Oder sie sagen: ‚Die sind doch so, die Ausländer, was is’n jetzt daran lustig?‘“, erzählte Baydar weiter. „Überhaupt scheinen die Deutschen es witziger zu finden, wenn ich Türken niedermache, als wenn ich mich über Deutsche lustig mache.“ Dabei sei Jilet Ayse eine durch und durch deutsche Figur. In der Türkei würde es einen solchen Charakter gar nicht geben.

Antirassistin und Comedian

Baydar wuchs in Celle auf, ging dort auf eine Waldorfschule und zog im Alter von 15 Jahren mit ihrer Mutter nach Berlin. Seitdem engagiert sie sich in zahlreichen Initiativen gegen Rassismus, für Meinungsfreiheit und Demokratie. Neben ihren Bühnenprogrammen mischt sie mittlerweile auch die ein oder andere Talkshow auf und macht mit dem Comedian Ingmar Stadelmann den Podcast „IIS“.

Trotz der Morddrohungen, die sie auch nach dem rechtsextremen Attentat in Neuseeland bekam, hat Baydar ihr aktuelles Tourprogramm „Ghettolektuell“ nicht unterbrochen. Am 22. 11. ist sie noch mal in Saarbrücken und am 29. 11. in Osnabrück zu sehen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.