berliner szenen
: Im Fernsehen schärfer

Die James Simon Galerie ist noch wie neu, eine Attraktion für Touristen aus aller Welt. Aber um diese Jahreszeit kann man mal in aller Sonntagsruhe gucken, was der von David Chipperfield gestaltete Eingangsbereich zur Museumsinsel zu bieten hat. Zum Beispiel ein Café, nicht billig, aber ideal, um draußen die letzten Sonnenstrahlen zu genießen.

Mir gegenüber nimmt ein älteres Ehepaar aus Baden-Württemberg Platz. Der Reiseveranstalter hat ihnen für die drei Tage nicht zu viel versprochen. Kanzleramt, Reichstag, Sanssouci, Berliner Ensemble. Das alles war die Reise wert. Und jetzt diese James Simon Galerie. Unter Galerie hatten sie sich etwas anderes vorgestellt, das ist ja ein richtiges Haus. Aber was hier verbaut wurde, fantastisch. Allein das Holz. Und 1A verarbeitet. Was das gekostet haben muss. Auf jeden Fall werden sie viel zu erzählen haben in ihrem Lesekreis. Wenn jemand was erlebt hat, können die Bücher mal warten, das ist die Verabredung.

Meine Zeitung ruht, die beiden wollen ihre Begeisterung loswerden. Aus dem Augenwinkel sehe ich gegenüber am Kupfergraben Bewegung aufkommen. Bis jetzt standen da in einiger Entfernung voneinander zwei uniformierte Polizisten. Das Haus, in dem die Kanzlerin wohnt, war also nicht unbewacht. Plötzlich sind es mehrere, die sich minutenlang hin und her gruppieren und schließlich um die Eingangstür postieren. Als ich den Ärmel eines roten Blazers im Türrahmen erkennen kann, will ich den Reiseerlebnissen des schwäbische Ehepaars das i-Tüpfelchen verpassen. „Wenn Sie sich jetzt kurz umdrehen, sehen Sie auch noch die Bundeskanzlerin.“

Die Antwort kommt prompt und schwäbisch (das ich als Norddeutsche besser hochdeutsch wiedergebe): „Ach, wissen Sie, das ist nicht nötig. Wir gucken immer die ‚Tagesschau‘, da sehen wir sie doch viel schärfer.“Claudia Ingenhoven