Mit Hang zumBesonderen

In der Reihe „Exzess und Opulenz“ zeigt das Kino Arsenal Filme mit künstlerischer Vision oder die unter extrem schwierigen Bedingungen entstanden sind

Vier Stunden lang: Luchino Viscontis „Ludwig“ (1973) Foto: Arsenal – Institut für Film und Videokunst e. V.

Von Andreas Hartmann

Warum das Ganze im Studio zusammentricksen, wenn man schier unwirkliche Bilder auch in echt erzeugen kann. Beispielsweise von einem riesigen Dampfer, der über einen Berg gezogen wird. Egal, ob man sich dabei gerade mitten im brasilianischen Dschungel befindet oder nicht. Das dachte sich jedenfalls Werner Herzog, als er für seinen Film „Fitzcarraldo“ (1982) diese mächtigen Bilder schuf, bei denen er zu den Klängen des Opernsängers Caruso und dem wild zeternden Klaus Kinski als Fitzcarraldo von seinen Darstellern in einem organisatorischen Kraftakt den Weg frei holzen ließ für den wohl außergewöhnlichsten Schiffstransport der Filmgeschichte.

Der Wahnwitz des Unterfangens im Rahmen von Dreharbeiten, die sowieso schon von Geldmangel, Krankheiten und natürlich den legendären Streitereien zwischen Regisseur und Hauptdarsteller geprägt waren, sollte, so wollte es Herzog, eine Metapher sein für die irrsinnigen Pläne seiner Hauptfigur Fitzcarraldo, der gekommen war, um eine Oper im Dschungel zu erbauen. Es musste einfach so gemacht werden. Hängen geblieben sind die Szenen freilich auch als diejenigen, die den Hang zum Irrsinn eines manischen Regisseurs und seiner ewigen Nemesis Kinski bestens illustrieren.

„Exzess und Opulenz“ nennt sich dann auch passend die Filmreihe des Kino Arsenal, in der „Fitzcarraldo“ neben zehn weiteren Werken, bei denen gehörig etwas aus dem Ruder geraten ist, zu sehen sein wird. Ausgesucht wurden Filme, die in irgendeiner Weise etwas Durchgeknalltes haben. Filme, denen man ein besondere künstlerische Vision ihrer Erschaffer deutlich ansieht – also eine gewisse Opulenz. Filme, die oft unter schweren Bedingungen entstanden sind – so wie auch „Fitzcarraldo“ – und die am Ende trotz aller produktionstechnischen Schwierigkeiten – oder auch: den Exzessen hinter den Kulissen – schillern und glänzen. Filme, denen im besten Falle am Ende auch die größte Leinwand noch zu klein zu sein scheint.

Exzess und Opulenz auf der Leinwand kann man beides bestimmt auch bei Marvel-Verfilmungen bekommen, wo es gehörig kracht und die Action atemlos ist. In der Arsenal-Reihe geht es jedoch weniger um das Spektakel an sich, sondern eher um den Hang zum Besonderen, der die Erschaffer der jeweiligen Filme antreibt. Die Widerstände, die dabei eventuell überwunden werden mussten, spielen auch eine Rolle. So konnte beispielsweise Andrzej Zulawski seinen Science-Fiction-Film „On The Silver Globe“, den er 1978 drehte, erst zehn Jahre später fertig stellen, weil die polnischen Zensurbehörden mit Zulawskis fiebertraumhaftem Werk nur wenig anzufangen wussten.

Bunt, vielleicht auch mal ein wenig wirr erzählt, gerne mit Überlänge, so präsentieren sich die Filme in der Arsenal-Reihe. Ein Klassiker wie „Die goldene Karosse“ von Jean Renoir (1952) mit seinen prächtigen und farbsatten Ausstattungen und einer tollen Anna Magnani in der Hauptrolle ist mit im Programm. Oder auch „Die Meuterei auf der Bounty“ von Lewis Milestone (1962). Wenn schon „Apocalypse Now“ in der Reihe des Arsenals fehlt, der auch bestens zum Motto gepasst hätte, kann man hier wenigstens trotzdem Marlon Brando in seiner ganzen Kraft und Wucht bewundern.

Brando soll Francis Ford Coppola bei den Dreharbeiten zu seinem großen Vietnam-Epos genauso in den Wahnsinn getrieben haben wie die Macher des opulenten Films rund um die historisch belegte Meuterei. Dazu kamen Ausstattungen der Sonderklasse, alles sollte möglichst wirklichkeitsgetreu wirken und das Studio MGM hatte sich bald gewünscht, nie mit dem Projekt begonnen zu haben. Das finanzielle Desaster von damals ist heute freilich ein Klassiker der Filmgeschichte. Auch wegen der Dekors und natürlich auch wegen Marlon Brando.

Exzess und Opulenz, das sind beides Stichwörter, die ein Hoch auf das gute alte Kino und die große Leinwand beschwören. Filme wie „Ludwig“ von Luchino Visconti (1973), einen endlos langen, aber nicht zu langen Film über den Märchenkönig Ludwig II., mit einem strahlend schönen Helmut Berger in der Hauptrolle, muss man einfach im Kino sehen. Wahrer Exzess und echte Opulenz lässt sich nur schwer per Stream vermitteln. Eigentlich könnte man Viscontis Gesamtwerk könnte in der Reihe zeigen, aber die vierstündige Fassung des „Ludwig“, die im Arsenal zu sehen sein wird, ist sicherlich ein besonders gutes Beispiel für dessen Kino der Verschwendung und Pracht.

Auch „Showgirls“ von Paul Verhoeven, auf den ersten Blick eine ungewöhnliche Wahl, passt da durchaus gut mit in die Reihe. Einst von der Kritik als Trash und Männerfantasie verrissen, hat die Geschichte vom Aufstieg und Fall eines Showgirls in Hollywood inzwischen den Status eines delirierenden Meisterwerks. Nichts anderes als den eigenen Kampf um Anerkennung im Haifischbecken Hollywood spiegelt Verhoeven letztendlich in seinem zynischen wie wunderbar schmutzigen Film.

Magical History Tour – Exzess und Opulenz: Kino Arsenal, Potsdamer Str. 2, 5.–30. 11., www.arsenal-berlin.de