Regeln für Öko-Lebensmittel: Kaum Strafen bei Bio-Verstößen

Wenn Ökobauern Regeln für den Biolandbau missachten, haben sie oft nur geringe Sanktionen zu befürchten. Das gilt auch beim Putenfleisch.

Puten auf einem Hof

Auch diese Puten müssen nicht mit Strafe rechnen, wenn sie auffliegen Foto: Christine Roth/imago

BERLIN taz | Die Vorschriften im Ökolandbau sind für Profitmaximierer schon eine lästige Sache: Die Ökoverordnung der Europäischen Union schreibt zum Beispiel vor, dass jede Pute 10 Quadratmeter Auslauf haben muss, der ihr wenigstens etwas Bewegungsfreiheit gibt. Aber jeder Quadratmeter Land kostet den Tierhalter etwa Pacht oder Zinsen. Das dürfte ein Grund sein, weshalb manche Landwirte zu viele Tiere in ihren Stallanlagen unterbringen. Das Risiko von Strafen ist äußerst gering.

Das belegt ein Untersuchungsbericht der EU-Kommission und ein von der taz recherchiertes Beispiel aus Mecklenburg-Vorpommern: Die Öko-Agrargesellschaft in Wesenberg, einem etwa 100 Kilometer nördlich von Berlin gelegenen Dorf, setzte am 30. Oktober vergangenen Jahres 1.780 Putenküken in eines ihrer Stallabteile. Der Auslauf an dem Stall war aber laut Ökoverordnung der Europäischen Union nur für 1.650 Tiere groß genug. Jede Pute hatte also 7 Prozent weniger Platz als vorgeschrieben. Das teilte das für die Aufsicht über den Ökolandbau zuständige Landesamt für Landwirtschaft, Lebensmittelsicherheit und Fischerei auf Anfrage der taz mit. Der Betrieb ist vom Ökoanbauverband Naturland zertifiziert und darf an zwei Standorten insgesamt 12.000 Puten halten. Er gehört dem konventionellen Großbauern Henning Luhmann aus Niedersachsen.

Verstöße gegen die Auslaufvorschriften scheinen bei der Ökoagrargesellschaft kein Einzelfall zu sein. Denn am 19. Februar 2019 stallte die Firma dem Landesamt zufolge in ein Abteil sogar 1.890 Putenküken ein – 13 Prozent mehr als erlaubt. Das Unternehmen ließ eine Bitte der taz um Stellungnahme bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Herausgekommen ist der Fall erst, als die taz aus der Branche einen Tipp erhalten hatte und daraufhin am 3. Juni bei Naturland nachfragte. Zwei Tage danach wurde die Fachgesellschaft Öko-Kontrolle bei dem Betrieb für eine nach Verbandsangaben „kurzfristig anberaumte Stichprobe“ in Wesenberg vorstellig. Erst dann hätten die Kontrolleure die Überbelegung in diesem Jahr festgestellt, so Naturland. Später berichtete das Landesamt dann auch von dem Verstoß im Oktober 2018. Ohne den Tipp an die taz hätten die Verantwortlichen in den Kontrollstellen und -Behörden wohl nichts getan. Das ist ein Indiz dafür, dass das Risiko für Biobetrüger, entdeckt zu werden, oft gering ist.

500 Euro Bußgeld für einen Millionenbetrieb

Selbst wer auffliegt, muss noch lange keine empfindliche Strafe fürchten. Die Behörde hat dem Fleisch der bei der Schlachtung 21.000 Kilogramm wiegenden Puten nach eigenen Angaben nicht das Biosiegel entzogen. Tausende Verbraucher haben also den hohen Bioaufschlag bezahlt und Fleisch bekommen, das eigentlich nie das Bio­siegel hätte erhalten dürfen. Ökoputen-Schnitzel kostet zum Beispiel 40 Prozent mehr als konventionelles.

Die EU-Kommission sieht die Verantwortung bei den Mitgliedstaaten

Das Fleisch aus dem Handel zurückzuholen wäre dem Landesamt zufolge unverhältnismäßig gewesen. Schließlich habe nur 1 Quadratmeter pro Pute im Auslauf gefehlt, die Ställe seien groß genug gewesen und die Tiere hätten Ökofutter bekommen. Die Firma müsse aber ein Bußgeld in Höhe von 500 Euro zahlen. Das ist ein winziger Betrag für ein Unternehmen, das Ende Juni 2018 eine Bilanzsumme von 8,7 Millionen Euro auswies. Die abschreckende Wirkung dürfte sich in Grenzen halten.

Aber mehr sei nicht möglich gewesen, da „in diesem Fall fahrlässig gehandelt wurde“, argumentiert das Landesamt. Denn der Betrieb habe eigentlich genügend Auslauffläche, er habe die Tiere nur auf die einzelnen Ausläufe falsch verteilt. Zudem würden der Firma als Strafe demnächst auch die Agrarsubventionen gekürzt. Doch ob das klappt oder ob die Anwälte des Betriebs das verhindern, ist offen.

Naturland hat dem Betrieb nur einen „verschärften Hinweis“ ausgesprochen. Weil die Firma aber zum 1. Januar von der Kontrollstelle ABCert zur Fachgesellschaft Öko-Kontrolle wechselte und Naturland erst den Bericht der neuen Inspekteure abwarten wollte, musste die Agrargesellschaft einige Monate auf das Siegel des Verbands verzichten. Deshalb wurden die im Februar eingestallten Puten ohne das Logo des Verbands verkauft. Doch seit dem 30. Juli darf er wieder das Naturland-Siegel auf seine Produkte kleben.

Hohe Gewinne, geringes Risiko

Wesenberg ist kein Einzelfall. Die EU-Kommission klagte nach Abschluss der „Operation Opson VIII“ von Polizei- und Ökobehörden gegen Bio-Betrüger im Juni, dass bereits gelieferte Ware zuweilen nicht zurückgerufen werde, wenn sie sich als konventionell herausstellt. „Bußgelder und Strafen sind vergleichsweise gering in finanzieller Hinsicht“, schreibt die Kommission. Wenn Betrug entdeckt werde, werde der Ware zwar das Biosiegel entzogen, aber oft dürfe sie als konventionelle verkauft werden. Da die Betrüger so noch Geld verdienten, würden sie nicht abgeschreckt. „Die Wirtschaftlichkeit von Bio-Betrug liegt in hohen Gewinnen, geringen Strafen und einer geringen Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden“, so die Kommission.

Die EU-Kommission sieht die Verantwortung vor allem bei den Mitgliedstaaten, die die Biobranche überwachen. Eine Sprecherin der Brüsseler Behörde kündigte in einer E-Mail an die taz an, Minimalanforderungen für die Bestrafung von Bio-Betrügern vorzulegen. Das soll dafür sorgen, dass die EU-Länder Täter schärfer sanktionieren.

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