Mein Coming-out als Fan

Dass Schwärmereien für Stars peinlich sind, hat unsere Autorin schon mit zwölf verstanden. Erst mit Mitte 40 hat sie sich daher ihre Leidenschaft für die Band A-ha eingestanden. Am Samstag spielen die Norweger in Bremen

Anlass für Ängste? Kreischende weibliche Fans mit Glücksbärchis-Transparent bei einem A-ha-Konzert in Mailand im April 1988 Foto: /laif

Von Eiken Bruhn

A-ha und ich – das ist wie diese Leute, die in ihrer zweiten Lebenshälfte wieder mit ihrer Jugendliebe zusammenkommen. Sie haben einander nie vergessen, auch wenn sie andere heirateten und mit ihnen Kinder bekamen. Dabei bin ich, musikalisch betrachtet, immer Single geblieben. Es gab ein paar Flirts, aber nichts Ernstes. Nur von A-ha habe ich sämtliche auf Youtube verfügbare Interviews gesehen und stundenlange Konzertmitschnitte – und das alles innerhalb der letzten zwölf Monate. Ich musste schließlich 30 Jahre Bandgeschichte nachholen.

So lange hatte ich die Gefühle für meine wahre große Liebe so tief versteckt, dass selbst ich nichts von ihnen wusste. Jetzt mache ich es wieder gut und komme ihr so nah wie möglich. 90 Euro kostet mich der Platz in der 15. Reihe in der Bremer Stadthalle, wo A-ha am Samstag im Rahmen ihrer Welttournee auftreten werden. Mein erstes Konzert der drei Norweger. Vor Kurzem habe ich noch eine Karte für ihren Auftritt im November 2020 in Hamburg bestellt. Fünfte Reihe, 200 Euro.

Ich pflege keine postcoole Retro-Macke

Wenn ich Freund*innen und Kolleg*innen davon erzähle, lachen sie. Sie hören auf, wenn ich klarstelle, dass ich keine postcoole Retro-Macke pflege. Dabei wissen die wenigsten, worüber sie lachen. Der einzige A-ha-Song, an den sie sich, wenn überhaupt, vage erinnern, ist „Take on me“. Der erste und größte Hit der erfolgreichsten norwegischen Band aller Zeiten, 1985 die Nummer eins der Charts in elf Ländern, inklusive der USA, fehlt auf keinem 80er-Jahre-Sampler.

Noch bekannter ist das dazu gehörige Video. In dem überschreitet der Sänger Morten Harket (Wangenknochen, Lausbubengrinsen, Dreiwetter-Taft-Haare) die Grenzen zwischen einer Comic- und der „echten“ Welt, um bei seinem Mädchen zu sein. Fast eine Milliarde mal wurde es auf Youtube geklickt, es gibt nur drei Songs, die in derselben Liga spielen.

Aber A-ha sind alles andere als ein One-Hit-Wonder. Zehn Studioalben haben sie zusammen aufgenommen. Gerade stehen sie wieder einmal auf Bühnen in ausverkauften Konzerthallen weltweit. Sie spielen ihre Debüt-Platte „Hunting High and Low“. Die Aussicht einer Reise in die 80er Jahre zieht nicht nur die ganz hartgesottenen Fans an. Sondern alle, die mal Karottenjeans getragen haben und sich an die Anfänge des Musikfernsehens erinnern. Manchmal gebe ich mir Mühe und versuche, ihre anhaltende Beliebtheit zu erklären. Versichere, dass A-ha nie eine Boyband waren, wie viele denken, weil sie so unglaublich hübsch waren, sondern fähige Instrumentalisten und Songschreiber.

Aber klar, es ist auch eine Frage des Geschmacks. Das, was ich an A-has Musik als schön empfinde, erscheint anderen pompös. Wer die Güte von Musik am Grad ihrer Knorzigkeit misst, kann A-ha nicht mögen. Viel zu melodiös und perfekt arrangiert. Dabei aber so komplex, dass die wenigsten Stücke aufs erste Hören eingängig sind. Ich fand bisher jedes Album erst mal beknackt, bis ich mich eingehört hatte.

Den Rest gibt einem die Stimme. Morten Harket kann sehr tief und sehr hoch singen und das alles glasklar und dabei ganz weich. Das klingt sehnsüchtig und immer „larger than life“, nach großer Geste, die spätestens im Refrain schamlos eingesetzt wird, um alle Gefühlsregister zu ziehen. Nicht nur die Musik, auch die Texte drücken ein Sehnen aus. Das wiederkehrende Thema ist Vergänglichkeit: Das Leben, Beziehungen, Gefühle. Oft geht es um Einsamkeit, um eine Individualität, die sie sich gegenüber einer anderen behaupten muss.

Existenzialistisches Jammern auf hohem Niveau

A-ha, das ist existenzialistisches Jammern auf hohem musikalischen und oft auch lyrischen Niveau – und damit Teenie-Musik in reinster Form. Als wäre das etwas Minderwertiges, wird A-ha oft als „Erwachsenen-Pop“ bezeichnet. Als könne Pop jemals erwachsen sein und wäre nicht per se gleichermaßen albern wie todernst, gefühlsduselig und größenwahnsinnig. Vielleicht liegt darin ein Grund, warum ich mit Mitte 40 die Liebe zu dieser Musik wieder entdecke. Wenn sich mehr Türen schließen oder bereits verschlossen sind, fällt der Blick vom Äußeren aufs Innere zurück. Wer bin ich und wie lange noch?

Nun mag ich nicht einfach die Musik. Ich höre auch gerne die britische Musikerin Tracy Thorn und habe sogar ihre Autobiografie gelesen. Aber ihr Twitter-Account lässt mich kalt. Täglich checke ich hingegen die Fan-Seite „a-ha-live.com“, mit den „latest news on Magne, Morten and Paul“ und habe von Ersterem ein Foto als Hintergrundbild auf meinem Desktop. So etwas war mir bisher fremd. Wenn meine Friseurin – 28 Bryan-Adams-Konzerte in 29 Jahren – mir mit verklärtem Blick und nicht zum ersten Mal erzählte, wie ER sie einmal auf die Bühne geholt hatte und sie danach drei Monate neben sich stand, wunderte ich mich, dass sie nicht flüsterte. War ihr das nicht peinlich?

Weibliche Fans von männlichen Musikern würden – etwa von der männlich dominierten Musikkritik – als Opfer ihrer Lust dargestellt. Das schreibt die US-amerikanische Medienwissenschaftlerin Tonya Anderson 2012 in einem Aufsatz über „Female fandom and the politics of popular music“, der ihre Doktorarbeit zusammenfasste. Anderson hat erwachsene Fans der britischen 80er-Jahre Band Duran Duran befragt. Fast alle schämen sich für ihre Leidenschaft. Entweder weil sie genug dumme Sprüche gehört oder selbst realisiert haben, dass „ihr liebster Zeitvertreib für unreif und unangemessen gehalten wird“. Besonders schambesetzt sind die – sexuellen – Fantasien über Begegnungen mit den Stars.

Wie ich hatte Anderson ein spätes Coming-out als Fan, weil sie sich schon früh bewusst war, wie uncool das ist. Sie beschreibt, wie sie mit zwölf ihre Freundinnen dabei beobachtete, wie sie Duran Duran im Fernsehen sahen, schmachtend und kreischend. Sie sah sich das aus einer Zimmerecke an, peinlich berührt und gleichzeitig verwirrt, weil sie merkte, wie sie sich in den Sänger verknallte. Mir ging es genau so. Ich beneidete meine Freundin Birte um ihr A-ha-T-Shirt, hätte das aber nie zugegeben. Nur meinem Tagebuch vertraute ich an, wie „supergeil“ ich die Band fand.

Tief sitzende Angst vor weiblicher Sexualität

Anderson führt die Abwertung des weiblichen Fans auf „eine historische Angst vor allem, was mit weiblicher Sexualität zu tun hat“ zurück. In der Folge würde sie pathologisiert. Ein Stadion mit Zehntausenden kreischender Frauen und Mädchen kann auf manchen bedrohlicher wirken als eins mit derselben Menge an grölenden männlichen Fußballfans. Anderson erinnert daran, dass aus demselben Grund Frauen in früheren Jahrhunderten verboten wurde, Romane zu lesen.

Dabei seien die von ihr befragten Duran-Duran-Anhängerinnen alles andere als passive Opfer, sagt sie. „Eine der Freuden von Popmusik ist, dass es die freie Lizenz gibt, Männer zu objektifizieren.“ Für erwachsene Frauen – das ist das Fazit ihrer Untersuchung – sei das Begehren allerdings eher ein nostalgisches als ein tatsächliches. Das Festhalten oder Wiederentdecken ihres Fantums helfe ihnen, an die positiven Seiten ihres Teenager-Selbst anzudocken, vor allem in schwierigen Zeiten könne das eine Ressource sein. Die geliebte Band fungiere als „Übergangsobjekt“, ein Terminus aus der psychoanalytischen Objekt-Beziehungstheorie. Das Objekt – für ein Baby eine Decke oder ein Kuscheltier – ist eine „Quelle emotionaler Wärme“ in Zeiten der Verunsicherung. Die heftigste ist die Pubertät.

Nur meinem Tagebuch vertraute ich an, wie „supergeil“ ich die Band fand

A-ha ist nach dieser Lesart meine Schmusedecke, seitdem ich zwölf bin. „Hunting High and Low“ war meine erste Platte, gekauft von meinem Taschengeld im Famila-Markt. Sie markierte die musikalische Emanzipation von meinen Eltern. A-ha waren – jedenfalls damals – blubbernder Synthie-Pop, damit konnten sie nichts anfangen. A-ha war meins, wie mein erster Freund der Sphäre meiner Eltern entrückt.

Und tatsächlich hat sich meine Leidenschaft für die Band voll entfaltet, als ich gerade aus einer schweren Krise herausfand und einiges in meinem Leben neu organisieren musste. Ich weiß nicht, ob mir in einer anderen Verfassung die Plakate aufgefallen wären, die ein A-ha-Konzert in Uelzen ankündigten. Uelzen! Südheide, Kaff – ich war nicht schlauer als meine lachenden Freund*innen und Kolleg*innen.

Vergessen wie eine verflossene Jugendliebe

Dabei hätte ich es besser wissen können. Anfang der 2000er hatte ich – ebenfalls in einer Krisensituation – zwei damals erschienene Alben rauf- und runtergehört und mir ein paar der früheren besorgt, die ich einige Jahre später in einer Aufräumaktion wegschmiss. Wie eine verflossene Jugendliebe habe ich A-ha vergessen, gleich zwei Mal über mehrere Jahre. Ich bekam nicht mit, als sie sich Anfang der 90er-Jahre trennten, dann weitermachten, sich wieder trennten, dieses Mal für immer, um dann 2015 ein neues Album herauszubringen und 2017 ein Unplugged-Konzert auf einem norwegischen Inselchen zu spielen. Ein Mitschnitt der dort aufgenommenen Akustik-Version von „Take on me“ war das Erste, was ich im Herbst 2018 seit Langem wieder von A-ha hörte. Ich war hin und weg. Welch ein Glück, dass ich nicht zu spät kam und mir mehr blieb, als meine greise Jugendliebe zu Grabe zu tragen.

Ich bin bereit zu kreischen.

A-ha play hunting high and low live: Sa, 16. 11., 20 Uhr, Bremen, ÖVB-Arena; Di, 3. 11. 2020, Hamburg, Barclaycard Arena

Eine längere Version des Textes finden Sie auf taz.de.