Die 90er für die Nachkommen retten: Die Kinder sind angefixt

Das letzte Jahrzehnt des vergangenen Jahrtausends hat uns viele kulturelle Perlen beschert. Es ist wichtig, das auch Kinder davon wissen.

Wigald Boning und Olli Dietrich bei einem Fernsehauftritt

Die Doofen, bei einem Fernsehauftritt 1995 Foto: teutopress/imago

Codo!“, ruft meine Tochter. „Mach Codo!!“ Meine Freundin ist verwirrt. „Codo!!!“, brüllen beide Kinder.

Die Mädels waren beim Zähneputzen total drüber, erzählt mir meine Freundin später am Abend, nachdem ich nach Hause gekommen bin.

Ne, sage ich, die waren nicht drüber. Die sind voll druff.

Es war Zeit für ein Geständnis: Abends zum Zähneputzen darf sich jede unserer Töchter ein Musikvideo bei YouTube aussuchen, das sie dann beim Schrubben sehen und hören dürfen. Wahrscheinlich ist das schlecht. Ich weiß. Prädikat: pädagogisch besonders wertlos. Dummer, dummer Papa. Aber, tja, ich bin doch auch nur ein Mensch, schluchz, und das Zähneputzen am Abend ist ja meistens mein Job, und dieses ewige „Der Mund ist rund, der Mund ist rund, Zähneputzen ist gesund“, das ist so langweilig und mit so viel Überzeugungsarbeit verbunden und manchmal gar mit Kämpfen, und da habe ich es einfach getan: Ich habe das Handy rausgeholt und die Kinder von den Guilty Pleasures meiner eigenen Kindheit und frühen Jugend abhängig gemacht. Vom richtig harten Scheiß.

Da ist „Codo“ von DÖF fast noch die intellektuelle Spitze des Eisbergs.

Ich habe zum Beispiel das aus meinem Hirnsediment geharkt, was mir noch einfiel, was auf der „Hits“-Kassette von 1991 drauf war, die mein Kumpel Casi und ich immer gehört haben: „Resi, i hol di mit mei’m Traktor ab“ von Wolfgang Fierek (kam nicht so gut an bei meinen Töchtern, haben die preußischen Kinder wahrscheinlich nicht verstanden) oder „Hier kommt Kurt“ von Frank Zander (erntete verstörte Blicke) oder „Ich bin der Martin, ’ne …?!“ von Diether Krebs (was erstaunlicherweise überhaupt keine Reaktion auslöste).

Ich steigerte die Dosis mit „Käsebrot“ und „Fitze Fitze Fatze“ von Helge Schneider, was sie viel besser fanden, aber kein Vergleich war zum härtesten Stoff, den mein altes Ich und YouTube zu bieten hatten: Die Doofen. Davon sind meine Töchter mittlerweile völlig angefixt. „Codo“ von DÖF wird nicht mehr als ein Intermezzo sein. „Ich bau Dir ein Haus aus Schweinskopfsülze“ und „Jesus“ von Den Doofen werden immer bleiben.

Das ist schön. Denn das fand ich damals geil. Und das finde ich heute auch noch geil. Ich steigere mich rein in eine Rede, in der es um das kulturelle Erbe der 90er geht, dieses ganz besonderen Jahrzehnts, und darum, dass man dieses Erbe doch an die nächste Generation weitergeben müsste, und überhaupt, Die Doofen und Helge Schneider, „ist doch beruhigend zu wissen, dass sich am Ende auch bei unseren Kindern Qualität durchsetzt“, sage ich zu meiner Freundin.

„Du bist verrückt“, sagt sie.

„Im Sinne von ‚positiv verrückt‘?“, frage ich.

Sie geht Zähne putzen.

Ich höre mir „Toastbrotbaby“ von den Doofen an.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Ist heute: Redaktionsleiter bei Übermedien und freier Autor. War mal: Leiter des Ressorts tazzwei bei der taz. Davor: Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig studiert. Dazwischen: Gelernt an der Axel Springer Akademie in Berlin.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.