Sich in der Geschichte verorten

Die afroamerikanische Künstlerin Carrie Mae Weems ist in der US-amerikanischen Kunstszene ein Star.In der Galerie Barbara Thumm setzt sie sich mit Museen, Macht und White Supremacy auseinander

Ansicht der Ausstellung von Carrie Mae Weems in der Galerie Barbara Thumm Foto: Galerie Barbara Thumm

Von Brigitte Werneburg

Tempel und Altäre sind zurzeit in Berlin ein wiederkehrendes Motiv der Kunst. Gerade hat Norbert Bisky in der St. Matthäus Kirche ein Altarbild aufgehängt, eine abstrakte Collage in Öl auf Leinwand auf Spiegel. Im Hamburger Bahnhof lässt sich Cevdet Ereks Pergamonaltar besteigen, eine aus Function-One-Lautsprechern errichtete Soundinstallation. Carrie Mae Weems nun, in der Galerie Barbara Thumm, baut ihren Altar ebenfalls aus einer Tonspur und leichten, semitransparenten Tüchern, die sie gestaffelt in den Raum hängt.

Die beiden vordersten der mit historischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen bedruckten Stoffbahnen zeigen den Säulengang eines antiken Tempels. Eine über den Lauf der Jahrhunderte konturlos gewordene und damit weder geschlechtlich noch ethnisch zu kategorisierende, antike Statue verhindert, dass der Blick gleich weiter vordringt, zu den Bildern derer, die auf dem Altar von White Supremacy und Ariertum geopfert wurden.

Deshalb ist das Auschwitz-Bild zu sehen, das bei der ersten Präsentation von „Ritual and Revolution“ 1998 im Künstlerhaus Bethanien nicht gezeigt worden war. Es geht der afroamerikanischen Künstlerin nicht darum, das singuläre Verbrechen des Holocaust naiv in eine Reihe mit dem Verbrechen der Sklaverei zu stellen. Sie will vielmehr, gerade jetzt, wo der Antisemitismus erschreckende Konjunktur hat, das Bild bewusst zeigen, das an den spezifisch deutschen eliminatorischen Judenhass und Rassismus erinnert.

Ein Bild von Bürgerrechtsdemonstranten in Alabama, die sich mit massiver Polizeigewalt konfrontiert sehen, stammt aus den 1960er Jahren. Doch Polizeigewalt herrscht bis heute, woran Carrie Mae Weems mit der Fotoserie „All the Boys“ von 2016 erinnert. Die Bilder der kaltblütig erschossenen, der halbtot- oder totgeprügelten jungen schwarzen Männer sind im amerikanischen, ja sogar im globalen Alltag ubiquitär, weshalb die Künstlerin die individuellen Figuren im blauen Dunst des Fotodrucks verschwimmen und verschwinden lassen kann. Auch hier könnte ihre Stimme, wie bei der Installation „Ritual and Revolution“, darüber sprechen „I have been here always … & saw you body fragment into zillions pieces“.

Carrie Mae Weems ist in der US-amerikanischen Kunstszene ein Star mit Einzelausstellungen im MoMA und im Guggenheim Museum in New York, dazu vielfach ausgezeichnet, etwa mit dem „Genius Grant“, dem mit knapp 650.000 Dollar dotierten MacArthur Fellowship. Ihr Gastauftritt in Spike Lees Serie „Nola Darling“ zeigt sie popkulturell verankert, was auch die Inspiration des Musiker Kedrick Lamar durch ihre „Kitchen Table Series“ bestätigt. In 20 Schwarz-Weiß-Fotografien und 14 Texttafeln handelte sie 1990 dort den Themenkomplex Häuslichkeit, Familienarbeit, Freundschaft und darin die Position der eigenen Person ab.

Polizeigewalt herrscht bis heute, die Fotoserie „All the boys“ erinnert daran

Bei Barbara Thumm zu sehen sind nun auch zwei Bilder aus der Serie „Constructing History“ (2008), die den Mörder („An Assassin’s Bullet“) und die trauernden Hinterbliebenen („Mourning“) auf den Sockel hebt. Auch diese Fotoinszenierungen sind in realem Geschehen verankert, sind Tatortfotografien, „Beweisstücke im historischen Prozess“, wie Walter Benjamin einst die Stärke der Fotografie definierte. Insofern kann die Kunstwissenschaftlerin Abigail Solomon-Godeau sagen, dass Carrie Mae Weems für „die Abdankung des universellen Künstlers“ steht und die Geburt eines sich als „spezifisch und historisch“ verortenden Künstlers.

Universell bleibt für diesen Künstlertyp die Frage der Repräsentation, die Frage von Macht oder Ohnmacht. Die Serie ­„Beacon“ (2002) etwa handelte in atmosphärisch dichten Bildern von der durch die Deindustrialisierung gebeutelten Industriestadt Beacon und ihrer Wiedergeburt durch die Eröffnung des Dia:Beacon, einem bedeutenden Museum für Kunst nach 1960. Wie sie es gerne macht, ist auch hier Carrie Mae Weems selbst im Bild und stellt damit das Hoffnungszeichen Museum schon wieder infrage, ist die dort gezeigte kanonische Avantgarde doch durchweg weiß und männlich.

Die bei Barbara Thumm gezeigten Arbeiten wie „Louvre“ (2006), „Zwinger Palace“ (2006) knüpfen daran an. In diesen Fotoinszenierungen baut sich Weems mit dem Rücken zur Kamera vor den berühmten Museen auf. Sie steht sehr aufrecht, worin sich ihre Bereitschaft auszudrücken scheint, den Kampf aufzunehmen mit dem Museum als einem Zentrum der Macht, wo über Exklusion und Inklusion entschieden wird, mit durchaus weitreichenden Folgen.

Bis 1. Februar, Galerie Barbara Thumm, Markgrafenstr. 68, Di.-Fr. 11–18 Uhr, Sa. 12–18 Uhr