Bedrohte Demokratien: Der Geist von 89

30 Jahre nach dem Mauerfall fehlt das Verständnis, dass es nicht um Freund und Feind geht, sondern um Respekt und Kompromisse.

Udo Lindenberg und sein Bassist stehen vor einem bunt angemalten Zug

Beförderte den Geist von 1989 mit: Udo „Sonderzug nach Pankow“ Lindenberg (rechts) Foto: dpa

Dreißig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer spreche ich als Leiterin einer Menschenrechtsinstitution viel von Bedrohungen. Dabei handelt es sich in der Region, die vor 30 Jahren ihren Weg in die Demokratie begonnen hat, um ganz reale Bedrohungslagen: um fehlenden Respekt für das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit; um zunehmenden Hass in der öffentlichen Debatte, der verstärkt auch in Äußerungen führender Politiker zum Ausdruck kommt; und um eine sich verschärfende Polarisierung, die jeglichen Dialog unmöglich macht.

Gleichzeitig bin ich mehr denn je überzeugt, dass wir uns auf den Optimismus, die Aufbruchstimmung und den Zukunftswillen, den Geist von 1989, zurückbesinnen müssen – dass dies der Schlüssel für die Lösung vieler unserer Probleme ist. Schließlich sind wir weit gekommen – weiter, als viele von uns damals zu träumen gewagt hätten.

Es gibt aber eine zentrale Grundvoraussetzung, damit die Gesellschaften in dieser Region prosperieren können. Das Verständnis, dass es bei Demokratie nicht um Gewinner und Verlierer geht und genauso wenig um Freunde und Feinde, sondern um den Respekt für unterschiedliche Meinungen und die Entschlossenheit, nach Kompromissen zu suchen. Die Mentalität des Nullsummenspiels, die momentan vielerorts zu beobachten ist, ist nicht nur schädlich, sondern stellt eine existenzielle Bedrohung für unsere Demokratien dar sowie für die Menschenrechte, auf denen diese Demokratien gründen.

Vor 30 Jahren, als Bilder von strahlenden, überglücklichen Menschen, die rittlings auf der Berliner Mauer saßen, um die Welt gingen, war klar, dass Menschenrechte für alle da sind. Am 9. November 1989 stellte niemand ihre Universalität infrage. Heute ist das anders. Genau diese Rechte werden von Populisten mit ihren schrillen Parolen verachtet. Wir müssen daher unermüdlich erklären, dass Menschenrechte weder ausschließlich für die Mehrheit noch für Minderheiten da sind: Sie sind für alle. Damals wie heute.

Aus dem Englischen von Katya Andrusz.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist Direktorin des OSZE-Büros für Demokratische Institu­tionen und Menschenrechte (ODIHR) in Warschau.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.