Protest nach rechten Angriffen auf Wohnungen

SCHÖNEWEIDE 200 Demonstranten fordern von der Polizei konsequenteres Vorgehen gegen Neonazis

„Es ist ein Unterschied, ob Läden angegriffen werden oder die eigene Wohnung“

HANS ERXLEBEN, DIE LINKE

„Wat is’n hier los? Hertha oder Union?“, fragt ein Flaschensammler in die Runde der Demonstranten auf dem S-Bahnhofs-Vorplatz in Schöneweide. Etwa 200 Menschen haben sich am Montagabend hier versammelt, sie schwenken ihre Fahnen. In Richtung Brückenstraße sind Transparente gespannt – dort residieren der Klamottenladen „Hexogen“ und die Neonazikneipe „Zum Henker“. Keiner der Demonstranten ist in Bierlaune, das merkt auch der Flaschensammler und schlängelt sich durch die Reihen zum nahen Einkaufszentrum.

Ein Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Gruppen hat zum Protest aufgerufen. Anlass für die kurzfristig angemeldete Kundgebung sind die rechtsextremen Attacken auf die Wohnungen des Jusovizechefs Nico Schmolke und des Linksparteipolitikers Hans Erxleben, die sich im Bezirk Treptow-Köpenick gegen rechts engagieren. Vergangene Woche wurde auf das Haus von Erxleben ein Anschlag verübt: seine Haustür demoliert, sein Briefkasten mit einer selbst gebastelten Bombe gesprengt. Die Attacke ähnelte dem Angriff auf die Wohnung von Nico Schmolke Anfang August. Generell gelten Schöneweide und neuerdings auch Johannisthal, beides Ortsteile von Treptow-Köpenick, als rechte Auflaufgebiete. Von hier aus, so vermuten Experten, werden auch Angriffe auf Linke unter anderem in Neukölln geplant.

Erxleben sieht in den Angriffen der vergangenen Wochen eine Grenze überschritten: „Es ist ein Unterschied, ob Läden angegriffen werden oder die eigene Wohnung“, sagte er bei der Kundgebung zu Beginn des Protest. Erxleben macht für die neuerlichen Attacken auch die Feindeslisten des rechtsextremen Nationalen Widerstands Berlin im Internet verantwortlich. „Dort wird man zur Hassfigur, zur Zielscheibe gemacht“, so Erxleben.

Harsche Kritik übte er in Richtung der Polizei: „Ich musste denen den Ziegelstein als Beweismittel hinterhertragen.“ Bei rechten Straftaten vermisst der Bezirkspolitiker eine Null-Toleranz-Strategie, wie sie erfolgreich im Rockermilieu angewendet werde. Die Berliner Polizei wollte sich am Dienstag zu den Vorwürfen nicht äußern.

Matthias Schmidt, Fraktionsvorsitzender der SPD im Bezirk, forderte gleichfalls eine verstärkte Aufmerksamkeit des Staates: „Es ist eine Zweiteilung aus Zivilcourage und staatlichem Handeln. Wir verlangen, dass der Staat seinen Teil beiträgt.“ Dass dabei eine bezirksübergreifende Strategie hermuss, machte Parteikollege Nico Schmolke klar. Die Nazis kämen nachts von den Partys in Schöneweide und liefen in Gruppen durch die Stadt nach Hause. Schmolke stellt klar: „Die Anschläge der letzten Wochen haben uns nur stärker zusammenrücken lassen.“

Nach einer Stunde ist die Kundgebung vorbei. Die meisten Passanten sind vorbeigelaufen, ohne von dem Protest Notiz zu nehmen. Auch deswegen rufen Parteien und Bündnisse am 15. September zu einem Spachtel-Spaziergang durch den Bezirk auf. Sie wollen dabei erneut rechte Plakate und Aufkleber entfernen. Johannes Wendt