Urteil zu Hartz-IV-Sanktionen: Investition in den sozialen Frieden

Weniger harte Sanktionen bei Hartz-IV – schürt das nicht Ungerechtigkeit? Mag sein, aber ein Sozialstaat muss das aushalten.

Menschen protestieren mit einer selbstgebastelten 1-Eueo-Münze

Proteste am 2. Mai in Berlin, dem internationalen Kampf- und Feiertag der Arbeitslosen Foto: Christian Mang

Endlich hat das Bundesverfassungsgericht dem Sanktionsirrsinn bei Hartz IV Grenzen gesetzt, teilweise zumindest. Wer sich weigert, einen bestimmten Job anzunehmen, muss künftig nicht mehr damit rechnen, dafür so heftig bestraft zu werden, dass er vielleicht nicht einmal mehr Geld für Essen hat. Oder sogar aus der Wohnung fliegt, weil das Jobcenter nicht mehr für die Miete aufkommt. Machen wir uns nichts vor: Die Macht von Jobcenter-Mitarbeiter*innen gegenüber Bedürftigen ist immens hoch, sie entscheiden über die Existenz von Menschen – und die ihrer Angehörigen, in vielen Fällen über die von Kindern.

Das Urteil ist auch aus psychologischer Sicht zu begrüßen. Aus zahlreichen Studien ist seit Jahren bekannt: Druck bewirkt eher das Gegenteil dessen, was er erzeugen soll. Man kennt es doch selbst aus eigener Erfahrung: Wem gedroht wird, der reagiert mit Gegenwehr. Wer mit Hartz-IV-Empfänger*innen spricht, hört häufig Sätze wie: „Die da im Jobcenter üben Willkür aus, sie hören mir gar nicht richtig zu. Ich will ja arbeiten, aber nicht das tun, was sie mir aufzwingen.“ Wer so negativ motiviert wird, begibt sich eher in die innere Emigration statt in die selbstständige (Job-)Offensive.

Zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass es Menschen gibt, die nicht arbeiten wollen – aus welchen Gründen auch immer. Die sich in die „soziale Hängematte legen“, um mal ein klischiertes Narrativ zu bedienen. Ja, diese Menschen leben auf Kosten der Gesellschaft. Und ja, sie in diesem Habitus zu unterstützen, regt berechtigterweise auf. Vor allem jene, die sich Tag für Tag abrackern, manche sogar für sehr wenig Geld und eine mickrige Rente. Doch Menschen, die weniger am Gemeinwohl und mehr am eigenen Vorteil interessiert sind, wird es immer geben – ob mit oder ohne Sanktionen.

Die Frage, die hierbei im Raum steht: Darf der Staat das legitimieren? Darf er eine neue Ungerechtigkeit aufbauen, indem er eine andere abbaut – und nichts anderes tut er, indem er die Hartz-IV-Sanktionen abmildert? Aber ein Sozialstaat, der Deutschland immer noch ist, muss das aushalten. Es ist eine Investition in den sozialen Frieden.

Menschen mit bedingungslosem Grundeinkommen arbeiten meist weiter wie zuvor. Aber es geht ihnen besser, vor allem psychisch

Eine echte sozialstaatliche Konsequenz – und das Ende aller Sanktionsdebatten – wäre indes das bedingungslose Grundeinkommen. Eine finanzielle Zuwendung in Höhe des Existenzminimums für alle hat vor allem einen Effekt: Ohne Behördendruck und Angst vor drohendem Existenzaus ist nun tatsächlich jede und jeder selbst dafür verantwortlich, wie gut es einer und einem geht. Wer nicht arbeiten will, muss das nicht tun – und dafür mit weniger auskommen.

Die Zahl derer, die ausschließlich vom Grundeinkommen leben, dürfte allerdings gering sein. Erfahrungen des Projekts „Bedingungsloses Grundeinkommen“, das seit einiger Zeit 1.000 Euro für zwölf Monate verlost, besagen nämlich, dass die Gewinner*innen so weiterleben wie zuvor. Aber es geht allen besser, vor allem psychisch.

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Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.

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