die woche in berlin
: die woche in berlin

Dass der Plagiatsvorwurf aus dem Weg geräumt ist und Franziska Giffey ihren Doktortitel behalten darf, pusht möglicherweise die SPD, der Streik der SchiedsrichterInnen verweist auf krawallhafte Umtriebe auf den unterklassigen Kickplätzen, und auf der Oberbaumbrücke lässt sich beispielhaft die Arbeit am neuen Mobilitätsgesetz sehen

Die Hoffnung hat wieder ein Gesicht

Franziska Giffey behält zum Glück für die SPD Doktortitel

Programme? Grundsätze? Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass der zentrale Faktor in der Politik stattdessen Gesichter und Personen sind (natürlich nicht bei den Grünen, die werden nicht wegen ihrer charismatischen und telegenen Habecks und Baerbocks gewählt, sondern ausschließlich wegen ihrer Klima- und in Berlin so erfolgreichen Radwegpolitik), so hat die Causa Giffey ihn geliefert. Bis Mitte der Woche war die SPD eine Partei auf dem Weg nach unten, sowohl auf Bundesebene wie im Land Berlin. Kaum aber ist die Möglichkeit vom Tisch, Franziska Giffey könnte ihren Doktortitel verlieren, sieht alles ganz anders aus.

Las man sich durch viele Kommentare und Analysen nach der Verkündung der FU Berlin am Mittwoch, dass sie den Titel behalten kann, so ist Giffey nicht bloß die Frau der Zukunft, sondern kann/muss/darf sich auch noch entscheiden, ob sie ganz Deutschland rettet oder doch nur als Regierende Bürgermeisterin Berlin.

Die Sache ist: All diese Kommentare und Analysen haben recht. Mit einer von Plagiatsvorwürfen freigesprochenen Giffey hat die SPD tatsächlich wieder eine Chance, eine große sogar. Sie, die langjährige Neuköllner Stadträtin und Bezirksbürgermeisterin, seit eineinhalb Jahren Bundesfamilienministerin, hat die seltene Gabe, Politik verständlich machen zu können, über Flügel, Gräben, Lager hinweg. Ihr „Gute-Kíta-Gesetz“ etwa hatte im Entwurf ihres Ministeriums einen Titel mit 23 Worten: „Das versteht nicht nur an der Sonnenallee keiner“, sagte Giffey vor ein paar Monaten bei einer Veranstaltung der Industrie- und Handelskammer. Dort, wo gemessen am langen Applaus über 260 Wirtschaftsvertreter ihrem Charme erlagen, bekam sie die Frage, wann denn nun das „Erfolgreiche-SPD-Gesetz“ komme – und was drinstehen müsse. „Hingehen, zuhören, anpacken“, antwortete Giffey. Es ist dieses Ansatz, der ihr in der Süddeutschen Zeitung die Überschrift „Deutschlands Bürgermeisterin“ einbrachte.

Pech für Giffey, dass sie sich tatsächlich entscheiden muss: die Wahl zum Abgeordnetenhaus steht wie die zum Bundestag, wenn nicht vorgezogene Neuwahlen dazwischenkommen, im Herbst 2021 an, möglicherweise sogar am selben Tag. Nun hat zwar der aktuelle Regierungs- und Landesparteichef Michael Müller noch überhaupt nicht gesagt, dass er nicht weiter zur Verfügung steht – außer, dass er jüngst im Tagesspiegel eine Bundestagskandidatur nicht für alle Zeiten ausschloss.

Aber gerade einer wie Müller ist klug genug, einer Giffey nicht im Weg zu stehen, wenn die sich für Berlin entscheiden würde. Vor allem, weil die durchaus in seinem Sinne weiterregieren würde: Als beim Landesparteitag vergangenen Samstag vor allem jüngere Genossen den im SPD-Grundsatzprogramm verankerten demokratischen Sozialismus herauskramten und nach Enteignung von Deutsche Wohnen & Co riefen, redete Giffey Klartext: „Für mich ist eine moderne Stadt eine, die nicht für Enteignung steht, sondern für Innovation.“

Stefan Alberti

Wenig Spaß auf dem Spielfeld

SchiedsrichterInnen streiken in den unteren Fußballklassen

Es mag ein Zufall sein, dass der SchiedsrichterInnen-Streik in Berlin am vergangenen Wochenende mit einer weiteren Streik-Ankündigung zusammenfiel. Die spanischen Erstligaspielerinnen haben einen unbefristeten Streik bei Ligaspielen angekündigt, im Kampf um ein Mindestgehalt und einen Tarifvertrag. Eine Arbeitsverweigerung gab es auch im September im Saarland, Schiris streikten wegen tätlicher Angriffe. Wird der brave Fußball widerständig?

Mindestens auffällig ist, dass die Aktionen nicht in der medial viel beachteten Bundesliga, sondern an den Rändern stattfinden: durch Frauen, die für ihr Profispiel nicht mal den Mindestlohn erhalten, durch Schiris, die sich ehrenamtlich in den unteren Ligen beleidigen, bedrohen und manchmal verprügeln lassen.

Dass ausgerechnet das sonst nicht revolutionär gesegnete Schiedsrichtermilieu auf die Barrikaden steigt, legt einigermaßen glaubhaft nahe, dass der (Männer-)Fußball der unteren Ligen ein Gewaltproblem hat. Spieler schlagen Schiedsrichter bewusstlos, Väter schlagen den Gegenspieler ihrer Söhne. Viel ist zu den Ursachen argumentiert worden, über schrumpfendes Ehrenamt und kriselndes Vereinswesen, aggressive Eltern und gesellschaftliche Spannungen, die sich auf dem Platz wiederfinden.

Viele dieser Ursachen haben einen gemeinsamen Nenner, der in letzter Konsequenz nicht ausreichend benannt wird: die Veränderung der Arbeitswelt. Deregulierter Kapitalismus, Egoismus, steigender Leistungsdruck hinterlassen ihre Spuren im Sport. Weniger Menschen haben unter der Arbeitsbelastung Zeit, sich einem Ehrenamt zu widmen. Weniger Menschen identifizieren sich mit dem Kollektiv Verein, weil das Individuum zählt. Viele sehen den Klub nur noch als Dienstleister. Schnelllebigkeit, Ellenbogenmentalität und Flexibilität lassen das aus dem 19. Jahrhundert kommende Vereinswesen an Grenzen stoßen.

Frei von Kulturpessimismus lässt sich feststellen, dass sich die Akteure verändern: Eltern halten ihr minderbegabtes Kind für den nächsten Ronaldo und rasten am Spielfeldrand aus, Kinder werden wie Profis trainiert und lassen unter Druck ihre Wut an anderen aus. Eindimensional wird bis in die Kreisliga ein Schuldiger am eigenen Versagen gesucht, denn man selbst, der ganz besondere Mensch, kann es ja nicht gewesen sein. Eindrücklich berichten das Menschen aus dem Amateurfußball aller politischen Couleur. Die Gesellschaft und der Fußball haben die Büchse der Pandora vor langer Zeit geöffnet, aber manche Auswirkungen kommen verspätet an. Es wird nicht der letzte unterklassige Streik sein.

Der Berliner Fußball-Verband möchte nun auf die Wünsche der Schiris eingehen. Verpflichtende Ordner bei jedem Spiel soll es geben, auch die Sportgerichtsbarkeit soll professionalisiert werden und ein Forum zwischen Schiris, Trainern und VereinsvertreterInnen geschaffen werden. All das klingt sinnvoll, einiges wird schon lange gefordert. Die Professionalisierung der unteren Ebenen ist im gegenwärtigen System der einzige konstruktive Weg. Aber Ordner in der Kreisliga hinterlassen auch einen sehr bitteren Nachgeschmack.

Alina Schwermer

Leibesübungen

Weniger Menschen identifizieren sich mit dem Kollektiv Verein, weil das Individuum zählt

Alina Schwermerüber den Streik der SchiedsrichterInnen in Berlin

Ginge doch alles noch viel radikaler

AktivistInnen sorgen sich um das Berliner Mobilitätsgesetz

Gleich an drei Stellen schien in dieser Woche wieder einmal der Konflikt zwischen den VerantwortungsträgerInnen in der Senatsverkehrsverwaltung und den Berliner Fahrrad-AktivistInnen auf, denen alle Bemühungen der Politik zu langsam, zu unentschlossen oder schlicht fehlgeleitet erscheinen.

Besonders heftig knisterte es bei der gerade erfolgten Neugestaltung der Oberbaumbrücke. Was die einen als radikale Verbesserung für den Radverkehr betrachten – ein deutlich breiterer Fahrradstreifen und eine Reduzierung der Kfz-Spuren von zwei auf eine –, empfinden die anderen als Zumutung: Der Radstreifen sei zum gegenseitigen Überholen zu eng, und die überbreite Solo-Spur für die Autos verleite deren FahrerInnen, auf den unverpollerten Schutzstreifen der Zweirädrigen auszuscheren. Mittlerweile hat Regine Günthers Haus durchblicken lassen, dass noch mal nachgearbeitet wird.

Rund um die Bergmannstraße regiert der ebenfalls grüne, aber deutlich experiementierfreudigere Stadtrat Florian Schmidt. Ihn hat nun, aktiviert durch einen AnwohnerInnenantrag, die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg aufgefordert, den Kiez noch radikaler verkehrszuberuhigen als bisher vorgesehen, nämlich allen Durchgangsverkehr zu verhindern. Was wiederum Zoff mit dem Senat ­geben dürfte. Der hält nämlich unter anderem eisern daran fest, dass die Achse Zossener Straße–Friesenstraße als Alternative zum Mehringdamm erhalten bleibt.

Am Donnerstag dann „schwärzten“ AktivistInnen an der Schillingbrücke das, was vor ein paar Jahren noch als fortschrittliche Innovation galt: einen Radstreifen in Mittellage, von der Radlobby mittlerweile als „Angstweiche“ gelabelt. Für Changing Cities und Co. steht fest, dass solche Straßenmarkierungen genau das Gegenteil von Sicherheit erzeugen, potenzielle RadlerInnen fernhalten und somit dem Berliner Mobilitätsgesetz diametral zuwiderlaufen.

All diese Szenarien skizzieren ganz gut die anhaltende Verwerfung zwischen Regierung und (Rad-)Volk, bei der man als Beobachter manchmal nicht weiß, zu wem man halten soll: Einerseits haben die Lobbyorganisationen vollkommen recht, wenn sie den Geist des von ihnen erkämpften Mobilitätsgesetzes ernst nehmen und sich mit weniger als dem Machbaren nicht zufriedengeben. Andererseits kann man sich vorstellen, dass die bisweilen sehr kleinliche Kritik, immer mit dem Zentimetermaß in der Hand, auch für die fortschrittlichen VerkehrsplanerInnen dieser Stadt zermürbend ist.

Etwas mehr Anstrengung bei den einen, etwas weniger Fundamentalismus bei den anderen, das hätte was.

Claudius Prößer