Nebliges Derby

Die Dramaturgie im Hauptstadt-Duell zwischen Union Berlin und Hertha BSC bestimmen nicht die Spieler, sondern beide Fanblöcke

„Berlin sieht rot“: Ein Union-Ultra mit einem Bengalo im Stadion An der Alten Försterei Foto: reuters

Aus Berlin Gunnar Leue

Berlin sieht rot. Das hatte Union als Partymotto ausgegeben für das Spiel des Jahres: das erste Hertha-Union-Derby in der ersten Bundesliga in der Geschichte. Ein flotter Spruch gehört ja heutzutage zum großen Budenzauber Spitzenfußball dazu, und den Punkt hatte Union schon mal sicher, denn was Hertha BSC an die Tram-Haltestellen der Stadt plakatiert hatte, war ein merkwürdiger Slogan: „Mauer ist, wenn die Stadt geschlossen zusammensteht“. Klar, dass hier eine Brücke gebaut wurde in die Mauerstadtvergangenheit, deren Überwindung vor 30 Jahren gerade gefeiert wird. Kaum anzunehmen, dass es auch eine Reminiszenz an die Zeit vor dem Mauerfall sein sollte, als Hertha und Union eine Art Fanfreundschaft verband und ein Hertha-Fan sogar eine Schallplatte mit dem Titel „Freunde hinter Stacheldraht“ mit Vereinshymnen auf beide Klubs herausgab.

Heute ist Rivalität angesagt, wenngleich keine Hassrivalität, sondern eher Jeder-macht-sein-Ding-Rivalität, wie die Köpenicker den Charlottenburgern verdeutlichten, als Letztere der DFL vorschlugen, das Derby auf den 9. November zu legen, wo­rauf Union-Präsident Dirk Zingler wissen ließ, dass der Mauerfall den Menschen zu verdanken sei, „die in der DDR so mutig waren, sich gegen das Regime aufzulehnen“. Der Fußball habe damit nichts zu tun.

Die sportliche Ausgangslage vor dem Derby war einigermaßen offen. Der Rahmen des Hochsicherheitsspiels, das in der Stadt mit allem medialem Aufregungs-Chichi begleitet wurde, war ohnehin perfekt. Das Stadion seit Wochen ausverkauft, und die 22.000 Zuschauer wurden vom Stadionbeschaller perfekt eingegroovt, unter anderem mit dem Wendejahrsong „DaDa in Berlin“ der Ostberliner Punkband Die Skeptiker.

Unterhaltsam wurde es nach dem Anpfiff auch auf dem Platz, wo in der dritten Minute fast ein Tor fiel. Der Kopfball des Unioners Christopher Lenz sprang jedoch vom Innenpfosten zurück ins Feld. Es blieb die größte Chance auf beiden Seiten in der ersten Hälfte, die die Eisernen so dominierten, dass Trainer Urs Fischer seine Mannschaft hinterher als wirklich überzeugend lobte. Kurz nach der Pause dann Höhepunkt der Mottoparty. Berlin sah rot – im Block der Union-Ultras leuchte das Pyrofeuer rot. Auf der anderen Stadionseite mit den etwa 2.500 Hertha-Fans wurde ebenfalls ordentlich gezündelt. So weit, so normal. Doch dann wurden von dort auch rote Leuchtspurraketen aufs Feld und in benachbarte Fanblöcke geschossen. Eine Rakete ging unmittelbar neben der Union-Trainerbank nieder. Schiedsrichter Deniz Aytekin, der die Partie insgesamt absolut souverän leitete, bat die Spieler in die Kabine. Ein Spielabbruch schien nahe.

„Das waren keine schönen Bilder“

Ante Covic, Trainer von Hertha BSC Berlin

Als es nach zehn Minuten weiterging, war der Bruch im Spiel unübersehbar. Beide Teams brachten wenig zustande, wobei Hertha BSC etwas bestimmender auftrat, ohne wirklich glasklare Torchancen zu erzielen. Das umkämpfte, aber nie unfaire Spiel steuerte auf ein 0:0 zu, bis ein Elfmeterpfiff in der 88. Minute für Erstaunen sorgte. Unions Christian Gentner war von seinem Gegenspieler im Strafraum so beim Torschussversuch behindert worden, dass Schiri Aytekin sofort auf Strafstoß entschied und seine Entscheidung nach einer gefühlten halben Stunde Videoanalyse nicht änderte.

Der kurz zuvor ­eingewechselte Sebastian Polter wuchtete den Ball ins Tor. Jubel, Trubel, Feiern bei den Unionfans. Schäumende Wut dagegen in der blau-weißen Ecke bei den Hertha-Fans, die sogleich diverse Union-Textilien verbrannten. Die Niederlage nach 10-minütiger Verlängerung konnten sie damit nicht verhindern, aber die Ouvertüre zum Nachspiel einleiten, denn nach dem Abpfiff kletterten ein paar vermummte Union-Ultras über den Zaun, um über den Platz in Richtung Hertha-Block zu stürmen, woran sie von eigenen Spielern heftigst gehindert wurden – wofür vor allem Unions Torwart mit „Gikiewicz, Gikiewicz“-Sprechchören gefeiert wurde. Der Pole hat gezeigt, wie Profifußball-Leidenschaft eben auch geht.

Durch den Sieg stieg Union in der Tabelle auf Rang 13, einen Punkt hinter Hertha.