Enorme Wissenslücken im Untergrund

Wissenschaft fordert Erhalt der Biodiversität. Das plant die Regierung seit 11 Jahren. Ohne Erfolg

Von Ulrike Fokken

Über die Insekten auf dem Boden und in der Luft wissen WissenschaftlerInnen wenig, über die kleinen Tierchen im Boden wissen sie nichts. Von „enormen Wissenslücken über die Boden-Biodiversität“ spricht Mariam Akhtar-Schuster, die als Wissenschaftlerin die deutsche IPBES-Koordinierungsstelle leitet.

IPBES ist der Weltbiodiversitätsrat, der im Mai 2019 die Öffentlichkeit mit einem Bericht über den Zustand der Natur schockierte. Von einem massiven Artensterben sprachen die WissenschaftlerInnen damals und forderten einen „Systemwechsel“, um das Artensterben aufzuhalten.

Die politischen Mühlen zermahlen seitdem die Ergebnisse, zum Beispiel zu einem „Aktionsprogramm Insektenschutz“. Die Bundesregierung fördert damit unter anderem die Forschung, lässt jedoch den Einsatz von Pestiziden auch in Naturschutzgebieten bis 2023 weiter zu.

Wissenschaftlerinnen und Naturschützer haben dazu eine klare Meinung. „Insektenschutz, nachhaltige Landnutzung, Klimaschutz müssen ressortübergreifend und ganzheitlich zusammengedacht werden“, sagt Akhtar-Schuster. Sie arbeitet unter anderem daran, dass die wissenschaftlichen Ergebnisse überhaupt mal bei den Bundestagsabgeordneten und den Beamtinnen in den Ministerien ankommen.

Die Botschaft aus der Wissenschaft verstanden hat Steffi Lemke, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag und Sprecherin der Fraktion für Naturschutz. Mit den Mitteln der Opposition versucht sie über Kleine Anfragen im Bundestag das Thema Insekten- und Vogelsterben aktuell zu halten. Oder sie kämpft in nächtlichen Bundestagssitzungen mit der Linken-Fraktion für eine Weidetierprämie. Damit sollen Schäfer unterstützt werden, die mit ihren Schafherden die biologische Vielfalt auf Wiesen und Magerrasen aufrechterhalten. „Nach dem Weckruf vom Weltbiodiversitätsrat hat sich die Bundesregierung wieder umgedreht und schläft weiter“, sagt Lemke.

Unerreichte Ziele

„Die Zahlen sind dramatisch“, sagt Lemke und kann sich damit auch auf eine erst am Mittwoch veröffentlichte Studie der TU München in Nature beziehen. In drei Regionen Deutschlands sank demnach die Insektenmenge um 40 Prozent von 2008 bis 2017. „Deprimierend“, sagt Lemke und meint damit die wissenschaftlichen Ergebnisse ebenso wie das Versagen der Bundesregierung.

Denn bereits 2008 hatte die damals auch schon von Angela Merkel geführte Bundesregierung die Nationale Biodiversitätsstrategie verabschiedet. Darin nimmt sich Merkel und die Große Koalition auf 180 Seiten neben vielen anderen Zielen auch den Stopp des Artentods bis 2020 vor. „Die Erreichung der Ziele klappt nicht“, sagt Dia­na Pretzell, Direktorin Biodiversitätspolitik beim WWF Deutschland. Ihr Forderung ist eindeutig: „Biodiversität muss eine Querschnittsaufgabe der Bundesregierung sein.“