Verbot von „Original Play“: Schluss mit der „Spielerei“

Nach Missbrauchs­vorwürfen hat Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD) das Konzept „Original Play“ in Berliner Kitas verboten. CDU fordert Aufklärung.

Rumtoben ist und bleibt Kindersache Foto: Kathrin Brunnhofer/plainpicture

Mit den Missbrauchsvorwürfen im Zusammenhang mit dem Pädagogikkonzept „Original Play“ befasst sich diesen Donnerstag das Abgeordnetenhaus. Die Fraktionen von CDU und FDP fordern den rot-rot-grünen Senat in dringlichen Anträgen auf, „kinderwohlgefährdende Spiele“ zu verbieten: Bei „Original Play“ kuscheln und raufen Kinder und Erwachsene – kindlichen Tobespielen nachempfunden – sehr körperbetont miteinander.

Das ARD-Magazin „Kontraste“ hatte vergangene Woche von einem angeblichen Missbrauchsvorfall berichtet: In einer Kreuzberger Kita, die zur evangelischen Landeskirche gehört, soll es im Rahmen dieses „Spiels“ zu sexueller Gewalt zwischen einem Erwachsenen und einem Kind gekommen sein. Einen ähnlichen Vorfall soll es in einer Hamburger Kita gegeben haben.

Offenbar unter dem öffentlichen Druck wandte sich Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD) am Mittwochnachmittag mit einem Schreiben an die Kitas: „Original Play“ sei mit dem Bundeskinderschutzgesetz nicht vereinbar, heißt es darin. Deshalb sei die Methode „in Tageseinrichtungen für Kinder im Land Berlin zu unterlassen“. Es sei „nicht auszuschließen, dass es bei der Anwendung zu Grenzüberschreitungen bzw. Grenzverletzungen sowie zu Gefährdungen des Kindeswohls kommt.“

„Das ist wirklich erschütternd, da wird ein geschützter Bereich zerstört“, hatte sich CDU-Fraktionschef Burkard Dregger zuvor vor Journalisten empört. Er hat eine persönliche Verbindung zu dem Kreuzberger Fall: Schon im Mai 2018 hätten sich die Eltern des Kindes an ihn als damaligen innenpolitischen Sprecher der CDU-Fraktion gewandt. Sie hatten zuvor Strafanzeige erstattet, aber das Gefühl gehabt, „es gehe nicht voran“.

Dregger will daraufhin beim Landeskriminalamt darauf gedrängt haben, die Sache weiterzuverfolgen. Stattdessen aber stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein – laut Dregger, ohne mit den Eltern, dem Kind oder der Kitaleitung gesprochen zu haben. Die Staatsanwaltschaft äußerte sich auf taz-Nachfrage am Mittwoch nicht dazu, warum man die Verdachtsfälle strafrechtlich nicht weiterverfolgt habe.

Seminare für „Kuschelraufen“

Nach Dreggers Darstellung bot die Kita Seminare für Erwachsene für das „Kuschelraufen“ an und ließ dabei engen Körperkontakt zwischen den ihr anvertrauten Kindern und diesen Erwachsenen zu.

„Wir müssen unbedingt ausschließen, dass das eine Einladung zur Pädophilie ist“, sagte Dregger. „Wenn Kinder gegen Geldzahlung zur Verfügung gestellt werden, dann ist das für mich Kinderhandel.“ Später korrigierte die Pressestelle der CDU-Fraktion per Mail: gemeint sei Kindes­missbrauch, nicht Kinderhandel.

Die Evangelische Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz schreibt in einer öffentlichen Erklärung zu den angeblichen Vorfällen, der Evangelische Kirchenkreisverband für Kindertageseinrichtungen Berlin Mitte-Nord habe die Kita erst im Januar 2017 übernommen. Allerdings war die Kita nach taz-Informationen auch zuvor schon in evangelischer Trägerschaft; damals war die örtliche Kirchengemeinde zuständig. Diese hatte „Original Play“ 2014 in ihr pädagogisches Konzept aufgenommen – die Eltern seien nach Kirchenangaben dabei umfassend beteiligt gewesen. 2016 und 2017 habe es zwei „Veranstaltungen mit Gästen“ gegeben, offenbar die von Dregger kritisierten.

Fest steht: Ab Mai 2018 hatte der Kirchenkreisverband als Kitaträger entschieden, das Spiel nicht mehr zuzulassen. Man habe außerdem die verantwortlichen ErzieherInnen vom Dienst suspendiert und „vollumfänglich mit Polizei und Staatsanwaltschaft zusammengearbeitet“, wie eine Kirchensprecherin am Mittwoch sagte.

Kreuzberger Kita ein Einzelfall

Momentan werde die Methode auch in keiner Kita dieses Trägers mehr angewandt. Seitens der Kirche heißt es auf taz-Anfrage, alle evangelischen Kitas in Berlin und Brandenburg – insgesamt 180 Träger mit 460 evangelischen Kitas – seien angeschrieben worden: „Die bisherigen Rückmeldungen zeigen, dass keine Kita Original Play anbietet und dies auch nicht vorhatte.“

Auch aus der Bildungsverwaltung heißt es: „Es ist uns derzeit keine Kita bekannt, die das Konzept anwendet.“ Allerdings werden die Kitas in dem am Mittwoch versandten Rundschreiben explizit aufgefordert, die Kitaaufsicht „unverzüglich in Kenntnis zu setzen“, wenn Original Play in der Vergangenheit angewandt wurde.

In dem Fall der Kreuzberger Kita sei die Kitaaufsicht nach Bekanntwerden der Fälle 2018 tätig geworden: Es habe mehrere Elternversammlungen gegeben, und nach der Sommerschließzeit habe die Kita mit einem neuen Team gearbeitet. Seither habe es auch keine Beschwerden von Eltern gegeben, sagt eine Sprecherin der Bildungsverwaltung.

Doch auch wenn der Missbrauchsverdacht in der Kreuzberger Kita ein Einzelfall sein sollte und die Methode Original Play nun ohnehin nicht mehr erlaubt ist: Die Frage bleibt, wie transparent und nachdrücklich solchen Verdachtsfällen tatsächlich nachgegangen wird.

Der CDU ist es mit einem Verbot der Original-Play-Methode deshalb auch nicht getan. In einer parlamentarischen Anfrage mit 19 Fragen fordern die Abgeordneten Dregger und Stefan Evers von der Bildungsverwaltung Aufklärung grundsätzlicher Natur – etwa zu der Frage, wer wann bei solchen Verdachtsfällen Bescheid weiß. Dann klärt sich vielleicht auch die Frage, warum die Kitaaufsicht erst 2018 tätig wurde – nachdem die Eltern offenbar beim Träger lange auf Granit gebissen hatten.

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