Illustration eines Hasuausweises für den deutschen Bundestag

Maximilian T. hat mit einem Hausausweis ohne Sicherheitskontrollen Zugang zum Bundestag Illustration: Oliver Sperl

taz-Recherche zu rechtem Netzwerk:Risiko im Reichstag

Gegen den Bundeswehr-Offizier Maximilian T. wurde wegen Terrorverdachts ermittelt. Heute ist er AfD-Mitarbeiter im Parlament.

26.10.2019, 12:30  Uhr

Es ist eine Horrorvorstellung: Extremisten besorgen sich einen Hausausweis, Zugang ins Parlament und damit ins Innerste der Demokratie. Und dann schlagen sie zu.

Oder, schlimm genug: Es fließen aus dem Bundestag hochsensible Informationen über die Arbeit von Polizei und Geheimdiensten in rechtsex­treme Netzwerke.

Wie realistisch ist das?

Maximilian T. steht aufrecht da, trägt einen schwarzen Anzug mit Einstecktuch, die Haare hat er streng zurückgekämmt, so wie viele dieser jungen Männer, die bei der AfD anheuern, seit sie in den Bundestag eingezogen ist. T. hält den Hausausweis des Parlaments in die Kamera. Der berechtigt ihn, ohne Sicherheitskontrollen ins Reichstagsgebäude zu gehen, mit seinem Chef in Ausschusssitzungen, bei denen mal über Neuanschaffungen der Bundeswehr gesprochen wird und mal über den mutmaßlichen Rechtsterroristen Franco A.; er darf damit ins Jakob-Kaiser-Haus, in dem Claudia Roth ihr Büro hat.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Es ist gar nicht so lange her, da vermuteten Ermittler, Maximilian T. habe sich darauf vorbereitet, unter anderem die Grünen-Politikerin Claudia Roth zu töten. Gemeinsam mit Franco A. Sie sollen eine Feindesliste angelegt, Pläne geschmiedet haben. „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ heißt das.

Es ging um Terror. Und jetzt darf Maximilian T. im Bundestag arbeiten.

Als das Foto aufgenommen wird, ist T. 28 Jahre alt, hauptberuflich Bundeswehrsoldat, er hat eine Nebentätigkeit aufgenommen, sieben Stunden pro Woche im Büro des AfD-Verteidigungspolitikers Jan Nolte. Nolte ist auch Soldat und Hessen-Vorsitzender der AfD-Nachwuchsorganisation „Jun­ge Alternative“, die der Verfassungsschutz inzwischen als Verdachtsfall beobachtet.

Am 28. November 2018 postet Nolte das Foto von sich, T. und dem Hausausweis auf Twitter. Er schreibt: „Nach langer Wartezeit durfte ich heute meinen Mitarbeiter Maximilian T. im #Bundestag willkommen heißen. Alle Vorwürfe gegen ihn wurden fallen gelassen. Frau von der Leyen darf nun gerne Verbindung mit dem Büro Nolte aufnehmen, um sich persönlich bei ihm zu entschuldigen.“

In einem Gebüsch vor einer Kneipe will Franco A. eine geladene Pistole gefunden haben

Das ist fast ein Jahr her. Ursula von der Leyen ist längst nicht mehr Verteidigungsministerin. Franco A. ist noch immer beschuldigt, der Bundesgerichtshof muss entscheiden, ob er die Anklage wegen Terror zulässt. Maximilian T. ist juristisch unbescholten. Aber kann man ihn jetzt wirklich einfach seine Arbeit im Bundestag machen lassen?

Armin Schuster bittet in sein Büro im Bundestag. Er war lange bei der Bundespolizei, bevor er Innenpolitiker der CDU wurde und Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums, das die deutschen Geheimdienste überwachen soll. Vor knapp fünf Monaten wurde sein Parteifreund Walter Lübcke in Hessen von einem Neonazi erschossen.

Das Parlamentarische Kontrollgremium hat sich Ende letzten Jahres rund 100 Aktenordner vom Generalbundesanwalt und den Geheimdiensten kommen lassen, es sind die Ermittlungsunterlagen zu Franco A., aber auch zu der Prepper-Gruppe in Norddeutschland, die sich auf den Tag X vorbereitet und unter dem Namen „Nordkreuz“ bekannt wurde. Die Parlamentarier im Kontrollgremium wollen wissen: Übersehen unsere Behörden eine Bedrohung von rechts in der Bundeswehr?

Das Kontrollgremium arbeitet streng geheim, deswegen darf Armin Schuster inhaltlich nicht viel sagen. Er kann sich aber politisch äußern, und er ist der Ansicht, dass man mit polizeilichen und juristischen Mitteln allein bei Maximilian T. nicht weiterkommt. „Die politische Hygiene würde es erfordern, dass Maximilian T. nicht im Bundestag arbeitet“, sagt er. „Dass jemand wie er hier ein- und ausgehen darf, ist geradezu entwürdigend für das Parlament.“

Die Ermittlungsbehörden haben das Terrorverfahren gegen Maximilian T. vor einem Jahr eingestellt, und trotzdem bleibt er für viele einer, der nicht in den Bundestag gehört. Man hätte verhindern können, dass Maximilian T. dorthin kommt, wo er Unbehagen bereitet, vielleicht auch Angst. Die Bundeswehr und ihr Geheimdienst, der Militärische Abschirmdienst (MAD), sowie die AfD haben nichts getan. Sie wissen bereits: Maximilian T. hat deutlich mehr rechtsextreme Bezüge als bisher bekannt.

Ein Netzwerk ist noch keine Straftat. Doch es passieren immer wieder rechtsextreme Anschläge, bei denen die Täter bestens vernetzt waren, über deren Absichten man etwas hätte wissen können.

Deshalb gehen wir noch einmal zurück zu den Anfängen des Franco-A.-Skandals, zu den Ermittlungen gegen Maximilian T. Und noch viel weiter – zur Linkspartei und ins Reichsbürgermilieu.

Die Kameraden

Am Anfang trennen Franco A. und Maximilian T. gerade einmal 20 Kilometer. 1989 wird A. in Offenbach in Hessen geboren, T. 1990 in Seligenstadt. Sie treffen sich als erwachsene Männer, bei der Bundes­wehr. Sie sind Offiziere, als sie Anfang 2016 Teil des Jägerbataillons 291 im französischen Illkirch nahe Straßburg werden.

Der Verband ist Teil der Deutsch-Französischen Brigade und wurde in seiner heutigen Form 2010 gegründet. Bereits kurz darauf kam es vermehrt zu rechten Vorfällen. 2012 streuten Unbekannte ein Hakenkreuz auf den Boden der Kaserne, zwei Soldaten wurden Anfang 2013 entlassen, weil sie Hitlergrüße zeigten. Ein Soldat, der sich Jahre später, erst im Zuge der Aufklärung rund um Franco A., mit diesen Schilderungen an einen General wandte, soll sogar von einem „rechtsradikalen Netzwerk“ in Illkirch, Hammelburg und Donaueschingen gesprochen haben, berichtete der Spiegel – und auch von Standortchefs, die nichts unternahmen.

Das ist das Umfeld, in das Franco A. und Maximilian T. versetzt werden. In Straßburg gehen sie zusammen mit ihren Kameraden aus, sie chatten in Gruppen, in denen auch mal ein Hakenkreuz verschickt wird. In der Kaserne statten Soldaten einen Gemeinschaftsraum mit Wehrmachtsdevotionalien aus.

Maximilian T. lädt Franco A. ein, als Familienmitglieder ihn in Straßburg zu besuchen, mindestens einmal war er auch bei einer Familienfeier in T.s hessischer Heimat. Irgendwann werden Franco und Sophia, Maximilians Schwester, ein Paar. Franco A. und Maximilian T. sind mehr als nur Arbeitskollegen. Was sie auch verbindet: Beide sind ihren Vorgesetzten wegen rechter Vorfälle bekannt. Das geht aus Unterlagen des Bundestags hervor.

Dieser und viele weitere Artikel wurden durch finanzielle Unterstützung des Auslandsrecherchefonds ermöglicht.

Franco A. gibt Ende 2013 eine Master­arbeit an der französischen Militärakademie Saint-Cyr ab, in der er antisemitische Verschwörungstheorien ausbreitet und gegen eine offene Gesellschaft argumentiert; seine französischen Vorgesetzten machen die Kollegen der Bundeswehr darauf aufmerksam, die aber entscheiden sich für eine Erziehungsmaßnahme statt einer disziplinarischen Strafe: Franco A. muss eine neue Abschlussarbeit schreiben.

Im Folgejahr wird dann der MAD auf Maximilian T. aufmerksam. Ein Zeuge meldet sich. Er erzählt von einer Begegnung mit T. vor einer Diskothek in Magdeburg im September 2015. Der habe sich über die Asylpolitik beschwert. Am Ende des Gesprächs soll Maximilian T. davon gesprochen haben, dass man noch Mitstreiter suche, um sich zu organisieren.

Der MAD befragt T., der bestätigt das Treffen und streitet alles Weitere ab. Der Geheimdienst sucht weiter, findet keine Vorstrafen, keine Hinweise bei Verfassungsschutzämtern. Es stehe Aussage gegen Aussage, teilt das Verteidigungsministerium mit, außerdem seien die Beteiligten betrunken gewesen. Ein Jahr später wird die Überprüfung eingestellt.

Was die Geheimdienste nicht wahrnehmen: Franco A. und Maximilian T. beschäftigen sich tatsächlich längst mit Bürgerkriegsszenarien. Franco A. legt ein Depot im Keller seiner Mutter an, Nahrung für sich, Tabak und Schnaps zum Handeln. Über einen gemeinsamen Kameraden werden beide Mitglied in Chatgruppen, in denen es um solche Katastrophenvorbereitungen geht. In den Gruppen, das belegen unsere Recherchen, geht es um Funktechnik beispielsweise, aber auch um Truppenbewegungen nahe Russland. Oder die vermeintlich wahre Zahl Geflüchteter, die nach Deutschland komme.

In diesen Chatgruppen vernetzen sich Männer und Frauen, die als Polizisten arbeiten, als Feuerwehrleute, Ärzte sowie aktive und ehemalige Bundeswehrsoldaten. Es gibt sie im Norden, Süden, Westen und Osten des Landes. Franco A. war in der Chatgruppe Süd. Maximilian T., das haben Recherchen der Welt ergeben, war Mitglied im Osten. T. selbst sagt, er sei unfreiwillig drin gewesen und nur kurz.

In der norddeutschen Gruppe „Nordkreuz“ sollen zwei Männer ebenfalls Feindeslisten angelegt und die Tötung von Personen aus dem linken Spek­trum geplant haben. Die Bundesanwaltschaft ermittelt auch in diesem Fall, die regionale Staatsanwaltschaft in einem weiteren: Gegen einen Ex-Polizisten beim Spe­zial­ein­satz­kommando SEK, der knapp 60.000 Schuss Munition und eine Maschinenpistole gehortet haben soll. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass er sie für seine Prepper-Gruppe „Nordkreuz“ besorgt hat. Als Franco A. im Süden und der Terrorverdacht im Norden bekannt werden, lösen sich die Chatgruppen auf.

Dieses Prepper-Netzwerk wurde aus der Bundeswehr heraus orchestriert. Ein Kamerad aus dem Offizierslehrgang von T. hatte geholfen, die Chats ins Leben zu rufen, auf Geheiß eines damaligen Soldaten des Kommandos Spe­zial­kräfte (KSK), der sich „Hannibal“ nennt. André S., so sein tatsächlicher Name, ist der Gründer des Netzwerks.

Im Januar 2017 reisen Maximilian T. und Franco A. nach Wien, sie wollen einen Reservisten besuchen, den sie aus Illkirch kennen. Er hat sie zum Offiziersball eingeladen. Auch Francos A.s Freundin Sophia T. begleitet sie.

Am Abend nach dem Offiziersball gehen Maximilian T. und Franco A. in eine Kneipe. In einem Gebüsch findet Franco A. dann angeblich eine geladene Pistole, das Modell der Wehrmachtsoffiziere im besetzten Frankreich. Dabei ist er so betrunken, dass er sie vergisst und tags darauf erneut findet, in seiner Jackentasche, just bevor er am Wiener Flughafen die Sicherheitskontrolle passieren will. Er versteckt sie im Putzschacht einer Behinderten­toi­let­te. Macht ein Foto vom Versteck, verschickt es in einer Chatguppe, der auch T. angehört. Das ist die Version, die er später den Ermittlern erzählt. Und auch die Version, die Maximilian T. aussagt.

Zwei Wochen später kehrt Franco A. zurück, will die Waffe am Flughafen holen. Was er nicht weiß: Eine Putzfrau hat sie bereits gefunden, die Polizei ist alarmiert. Sie haben Franco A. eine Falle gestellt.

Als sie ihn ergreifen, glauben die Ermittler zunächst, einen Linksradikalen gefasst zu haben, so schildern sie es Politikern in Wien. Erst später kommt ihnen der Verdacht: Könnte es sich um einen Rechtsextremen mit Anschlagsplänen handeln?

Franco A. ist nicht nur ein Bundes­wehrsoldat, der eine seltsame Geschichte von einer gefundenen Waffe erzählt. Er ist auch syrischer Flüchtling. Zumindest hat er sich so eine Identität gegeben: Am 19. Dezember 2015 meldet sich ein David Benjamin bei der Kriminalinspektion in Offenbach. Er gibt vor, ein französischsprachiger Christ aus Syrien zu sein, stellt einen Asylantrag, kommt zeitweise im Landkreis Erding in einer Flüchtlingsunterkunft unter. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gibt seinem Antrag statt.

Die Bundesanwaltschaft steckt Fran­co A. am 26. April 2017 in Untersuchungshaft. Sie glaubt, er habe mit der Waffe vom Wiener Flughafen ein Attentat auf Politiker oder Aktivisten geplant – mit der Identität des syrischen Flüchtlings David Benjamin.

Bald glauben die Ermittler: Maximilian T. hat die Tat mitgeplant. Sie führen dafür zwei Belege an: T. soll seinen Kameraden einmal bei der Bundeswehr unter einem Vorwand entschuldigt haben, als A. in seiner Identität als Flüchtling David Benjamin einen Termin wahrnehmen musste. Als sie bei Maximilian T. schließlich eine Liste mit Namen bekannter Politiker finden, fragen sie: Hatten Franco A. und er gemeinsam eine Liste mit potenziellen Opfern angelegt? Maximilian T. wird zwei Wochen nach Franco A. festgenommen.

Bald kommt er wieder frei, die Ermittlungen werden eingestellt. Spricht man mit Menschen, die sich mit den Ermittlungen auskennen, ist dort zu hören: „Das ist ja ein Wahnsinn, was der hier vorführt.“ Ursula von der Leyen nennt ihn vor Verteidigungspolitikern: „obskur“.

Was ist damit gemeint?

Maximilian T. arbeitet für einen Politiker im Verteidigungs-ausschuss, dessen Thema er selbst mehrfach war. Seither fragen sich die Abgeordneten: Können wir noch über diese Dinge reden?

Für unsere Recherchen reisen wir quer durch Deutschland und bis nach Wien. Dort laufen wir am Flughafen die Wege ab, um die Geschichte mit der Waffe zu überprüfen. Wir lesen Protokolle, Vermerke aus Ermittlungsunterlagen, Vernehmungen. Wir sprechen Ermittler an, Anwälte, Familienmitglieder, Freunde. Es gibt zahlreiche Zeugen und natürlich Franco A. und Maximilian T. selbst, die sich als Gesprächspartner eignen. Mit manchen dieser Personen können wir reden, oft nur unter der Zusage, dass niemand davon erfährt.

Maximilian T. ruft uns zweimal an, als er mitbekommt, dass wir in seinem Umfeld recherchieren, um sich darüber zu beschweren. Auf ein Gespräch lässt er sich nicht ein. Schriftliche Fragen beantwortet er auch nicht.

Die Abgeordneten

Lange war es die größte Gefahr im Bundestag, verloren zu gehen in diesem Labyrinth aus dunklen Fluren, Balkonen, Brücken und Fahrstühlen, die manchmal nur halbe Etagen nehmen. Hier gibt es keine Aufpasser, keine sichtbaren Patrouillen der Bundestagspolizei. Und jetzt Maximilian T.

Es ist eine paradoxe Situation. T. arbeitet für einen Politiker im Verteidigungsausschuss, dessen Thema er selbst mehrfach war. Deshalb wissen viele der Abgeordneten dort, was die Bundeswehr über ihn zusammengetragen hat. Seither fragen sie sich: Können wir überhaupt noch über Franco A. und die Prepper-Gruppen reden? Erfahren die dann nicht alle gleich davon?

Die Abgeordneten wissen zum Beispiel: Im Juni 2014 verschwand bei einer Schießübung im bayerischen Grafen­wöhr eine P8-Pistole. Maximilian T. hatte an dieser Übung teilgenommen.

Sie erfahren: Obwohl Zeugen berichten, dass Franco A. Schusswaffen besitze, finden Ermittler sie nie. Dafür aber Munition und Übungsgranaten, die aus Bundeswehrbeständen stammen. Die Bundeswehr überprüfte, ob „drei Offiziere“ dazu Zugang gehabt hätten, das sagt ein Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums bei einem Gerichtstermin. Ist einer von ihnen Maximilian T.?

Die Abgeordneten wissen auch: Ein Oberleutnant aus Augustdorf bekam ein Uniformtrageverbot verhängt, weil er unter anderem vom deutschen Königsberg fantasierte. Einmal erzählte er einem Kameraden von einer Gruppe in Illkirch, die versuche, Waffen und Munition zu sammeln, um sich auf einen Bürgerkrieg vorzubereiten. Er und T. kennen sich.

Hört man sich in Sicherheitskreisen um, fällt ein Satz: „Maximilian T. ist der mit den guten Kontakten.“

Was die Abgeordneten im Verteidigungsausschuss nicht erfahren: Maximilian T. ist der mit dem Smartphone, auf dem nichts drauf ist, als die Ermittler es untersuchen. Das bestätigen zwei Personen, die mit den Vorgängen vertraut sind. Als die Ermittler ihn um sein Handy bitten, sind alle persönlichen Daten gelöscht.

Warum tut Maximilian T. nicht alles dafür, sich von dem Verdacht, ein Terrorist zu sein, zu distanzieren? Um diese Frage zu beantworten, haben wir uns mit seiner Herkunft, seiner Familiengeschichte beschäftigt.

Illustration von Verpflechtungen zwischen Franco A. und Maximilian T. und den Todeslisten

Die Illustrationen von Franco A. und Maximilian T. basieren auf Fotografien. Von Vater T. liegen uns keine Bilder vor Illustration: Oliver Sperl

Der Vater

In der AfD-Landeszentrale in Magdeburg kennt man Maximilian T.. Das Büro liegt im Haus einer Apotheke. Außen hängt kein Schild, innen zeigt ein Pfeil rechts zum AfD-Büro. T. arbeitet nicht nur für einen AfD-Abgeordneten im Bundestag, er ist auch selbst Mitglied im Landesverband Sachsen-Anhalt. Mindestens seit Anfang 2017 schon. Inzwischen leitet er den Landesfachausschuss „Außen- und Sicherheitspolitik“.

Die „Junge Alternative“ postet hier Fotos von Höcke, prorussische Hardliner wie Markus Frohnmaier sind zu Gast. Schnellroda, Treffpunkt der Neuen Rechten, liegt ganz in der Nähe. Es gibt enge Kontakte zur Identitären Bewegung und rechten Burschenschaften.

Auch Maximilian T.s Vater ist in diesem Landesverband unterwegs. Thomas T. wohnt in einer der Straßen in der Haller Innenstadt, in die viel Nachwende-Geld geflossen ist. Schon in den 90er Jahren ist er von Hessen in die neuen Bundesländer gezogen. In Magdeburg hat er mit Immobilien Geschäfte gemacht, in Halle gastronomische Einrichtungen vermietet, Fertighäuser verkauft, mit Edelmetallen gehandelt. So zumindest lautet der offizielle Geschäftszweck seiner Firmen.

Zuletzt hat er vor allem daran gearbeitet, zusammen mit einem alten Weggefährten eine deutsche Siedlung in Russland aufzubauen. Oder wie es in einem Werbetext heißt: „Die Idee einer sicheren Arche im Königsberger Gebiet nimmt weiter Gestalt an!“ Die Rückkehr nach Ostpreußen, das hatten schon in den 90er Jahren deutsche Neonazis vor.

Thomas T. trat Mitte der Nullerjahre in Ostdeutschland als „Inspekteur des Deutschen Reichs“ auf, war für ein „Reichsverwaltungsamt“ in Magdeburg tätig, das mit „Staatsanleihen“ des „Deutschen Reiches“ Geschäfte machte. In Vorträgen führte er aus, dass es sich bei der Bundesrepublik Deutschland um ein illegales Gebilde handele, weswegen man auch keine Steuern zahlen müsse. Thomas T. ist ein Reichsbürger. Und in Halle nicht zu finden.

An seiner letzten Adresse wohnt er nicht mehr, aus dem Melderegister ist er ausgetragen. Als wir Geschäftsadressen aufsuchen, erinnern sich Nachbarn, die seit Jahrzehnten dort leben, nicht an ihn. Wir fragen bei der Kreisgeschäftsstelle der AfD in Halle nach. Man kennt ihn, aber hat ihn lange nicht gesehen, Monate mindestens, er sei ja auch viel unterwegs, in Russland etwa.

Wir finden Thomas T. in einem Buch. Der Autor Tobias Ginsburg hat monatelang undercover in der Reichsbürger-Szene recherchiert und dabei Thomas T. mehrmals getroffen, zum ersten Mal 2017 bei einer Veranstaltung im thüringischen Kahla, bei der der neurechte Verleger Jürgen Elsässer sprach. Ginsburg hat die Gespräche teilweise aufgezeichnet. Wir konnten sie anhören.

Ginsburg beschreibt Thomas T. als einen Mann, der konservativ erscheint, schnell aber prahlt, früher bei den „Re­publikanern“ und der NPD gewesen zu sein, der die Wehrsportgruppe Hoffmann gut findet, und wie er die weiße Rasse retten will. Von seinem Sohn, der damals als Terrorverdächtiger in Untersuchungshaft sitzt, erzählt er nicht. Dafür über seine politische Ideologie: „Du kannst die Welt nur noch mit einer ganz radikalen Maßnahme retten. Wenn du Milliarden biologisch und den ganzen Nahen Osten atomar vernichtest.“

Was ist er für ein Typ? Ginsburg überlegt. „Er hatte die joviale Aggression des ehemaligen Zuhälters, der dir jederzeit in die Fresse hauen könnte“, sagt er. „Nicht unsympathisch.“ Thomas T. sei wichtig, um zu verstehen, was es mit der Reichsbürger-Szene auf sich habe. Es gehe bei ihm um die „pragmatische Umsetzung von rechtsextremistischer Ideologie“.

Wie nah sind sich der Vater und seine Kinder? Die politische Gesinnung muss nicht abfärben. Personen aus dem familiären Umfeld sagen, der Vater habe keinen großen Anteil an der Erziehung seiner Kinder gehabt, gleichwohl ein Kontakt bis heute besteht.

Wir wollen mit dem Vater darüber sprechen, rufen ihn an. Er sagt: Oh je. Er klingt noch immer sehr hessisch.

Er sagt, er wisse schon, welche Fragen man stellen wolle, das sei immer gleich. Und wir wüssten ja eh schon, was wir schreiben.

Die Bundeswehr hätte verhindern können, dass Maximilian T. Zugang zum Bundestag bekommt. Warum hat sie es nicht getan?

Er sagt, wir dürften nicht schreiben, dass er NPD-Mitglied gewesen sei. Dann würde er uns verklagen bis zum Jüngsten Gericht.

„Ich war in keiner Reichsregierung“, sagt er. Er habe sich damals wissenschaftlich mit dem Deutschen Reich beschäftigt und Vorträge darüber gehalten. „Ich engagiere mich nicht mehr politisch, das Thema ist völlig durch.“

Das Telefonat dauert etwa eine halbe Stunde. Es geht um Franco A. („der Bundeswehroffizier wird diskreditiert“), seinen Sohn („ein falscher Verdacht“) und die Frage, ob es uns in Deutschland gutgeht („nein“). Das Telefonat ist kein Gespräch, sondern der Versuch, zwischen Beschimpfungen und Unterstellungen ein paar inhaltliche Sätze zu wechseln.

Es gibt Verbindungen, die es einem scheinbar leicht machen, ein Urteil zu fällen. Der Vater ein Reichsbürger, der Sohn rechtsextremen Terrors verdächtig. Sie sind aktiv im gleichen AfD-Landesverband, kennen die gleichen Funktionäre. Es gibt ja tatsächlich regelrechte Nazidynastien, erst Recht dort, wo Maximilian T. und sein Vater sich bewegen.

Und doch gilt: Niemand kann etwas für seine Familie. Vielleicht sollte man auch nicht verlangen, dass sich jemand von seinen Eltern, Geschwistern oder Freunden distanziert. Aber wenn sich jemand selbst politisch engagiert, sieht es dann nicht etwas anders aus? Und muss man nicht erst recht von einem Bundeswehrsoldaten, der im Bundestag arbeiten will, erwarten, dass er durch sein Handeln zeigt, dass er für die freiheitliche Demokratie einsteht? Maximilian T. tut dafür nicht viel.

Vielleicht sind es auch immer wiederkehrende Zufälle, die Maximilian T. bedrängen. Oder wie ist es zu erklären, dass seine Schwester, die Tochter eines Reichsbürgers, ausgerechnet mit Franco A. zusammenlebt?

Die Schwester

Am 14. Februar 2017 geht Sophia T. in eine Berliner Kreisgeschäftsstelle der Linkspartei. Nur elf Tage zuvor ist ihr Freund in Wien festgenommen worden. Franco A. muss zu diesem Zeitpunkt geahnt haben, dass seine Identität als syrischer Flüchtling auffliegt. Er hat bereits begonnen, Munition und Übungsgranaten zu verstecken, die aus Bundeswehrbeständen stammen. Seine Freundin aber füllt ein Formular aus, es ist ein Mitgliedsantrag. Sie wird nun Parteimitglied.

In der Partei fragt man sich heute: War das nur Show? Versuchte sie, die Freundin eines mutmaßlichen Rechtsterroristen, eine alternative Erzählung zu etablieren?

Menschen, die sie aus dieser Zeit kennen, beschreiben sie als politisch links, sie sei an Bildungsthemen interessiert, an sozialer Gerechtigkeit. Sie lebt in Berlin, studiert und beginnt sich in der Partei zu engagieren, ihr Foto taucht online auf und in einer Wahlkampfbroschüre. Sie kommt zu Parteitreffen, mehrmals begleitet von Franco A., erstmalig Anfang 2017, zuletzt im Frühjahr 2018, heißt es in Parteikreisen. Zwischendrin sitzt er in Untersuchungshaft.

Ein Ruderfreund von Franco A. aus Jugendzeiten sagt vor Gericht aus, Franco A. hätte nicht nur Munition bei ihm untergestellt, sondern ihm auch mal ein Buch übergeben, Hitlers „Mein Kampf“ – offenbar, so sagt er, weil seine Freundin nun bei ihm wohnt.

Dass die Ermittler auch ihre WG durchsuchen, wird sie geahnt haben, am Morgen war das BKA schon bei ihrer Familie und erst später bei ihr. Bis heute haben sie weder die Ermittler noch Nachrichtendienste befragt. Gegen Sophia T. selbst liegt nichts vor.

Heute führt Sophia mit ihrer Schwester und ihrem Bruder Maximilian eine Firma. Zusammen mit Franco A. lebt sie in Offenbach. Sie haben eine Familie gegründet.

Tag der offenen Tür

An einem Sonntag im September dieses Jahres empfangen Spitzenpolitiker, Clowns und Musiker zum Tag der offenen Tür im Bundestag. Rund 23.000 Bürgerinnen und Bürger kommen. Darunter ein Mann mit weißem Käppi und Bart, die dunklen Haare so lang gewachsen, dass sie sich zum Zopf binden lassen. Keiner erkennt ihn. Nicht die Mitarbeiter der Grünen, an deren Stand er vorbeischaut. Nicht die Bundestagspolizei, bis sie jemand aufmerksam macht: Das ist Franco A..

Es soll Maximilian T. gewesen sein, der ihn gemeldet hat. Das jedenfalls posten sein Chef Jan Nolte später auf Face­book und Maximilian T. in einem Kommentar darunter. Wenn das zuträfe, hätte sich Maximilian T. erstmals von seinem Kameraden distanziert.

Die Bundestagsverwaltung beantwortet uns die Frage nicht, ob sich die Situation so zugetragen hat. Erst später erfahren wir: Die Sicherheitsbeauftragten der Fraktionen wurden über den Vorfall informiert und sogar verschiedene Ministerien. In den Fraktionen hören wir vor allem Fragen: Halten die das für einen Witz? Wollen die unsere Empörung, damit man über sie spricht? Müssen wir Angst haben?

Die Bedrohten

Sechs Tage nach dem Attentat in Halle sitzt Anetta Kahane in einem Lokal in Berlin-Mitte, die Öffentlichkeit diskutiert nun über Vorratsdatenspeicherung den stark verbreiteten Antisemitismus unter jungen Männern. “Halle“, sagt Kahane, “hat gezeigt, wie gefährlich es für uns ist“.

Anetta Kahane ist Chefin der Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich gegen Rechtsextremismus engagiert und sie ist Jüdin. Ermittler fanden ihren Namen in Franco A.s Aufzeichnungen, in seinem Handy Fotos aus der Tiefgarage des Büros. Er hatte sie offenbar ausgespäht. Die Ermittler haben Kahane mehrfach als Zeugin befragt und ihr erklärt, dass keine Gefahr für sie bestehe.

Die Ermittler haben ihr nicht die Namen von Personen aus Franco A.s Umfeld gegeben. Sie kennt Maximilian T. nicht, Sophia T. nicht. Hört nur aus Medienberichten davon, dass Franco A. nun vermehrt öffentlich auftaucht so wie im Bundestag, in einer Gerichtsverhandlung, bei verschiedenen eher linken politischen Gruppen in Berlin.

Wir beschreiben ihn: Weißes Käppi. Dunkle Haare. Drei Tage nach dem Attentat bemerkten die Mitarbeiter der Stiftung einen seltsamen Mann im Gebäude. Weißes Käppi, dunkle Haare.

„Ist er das?“, fragt sie und zeigt ein Foto. Er ist es nicht, das ist leicht zu erkennen. Nur nicht für Anetta Kahane, keiner der Ermittler hat ihr ein Foto gegeben.

Die Bundeswehr

Wir bitten die Experten für Rechtsextremismus des MAD um ein Hintergrundgespräch über Franco A. und Maximilian T., doch die lehnen ab: Sie hätten zurzeit zu viel zu tun in diesem Themenfeld.

Wir hätten ihnen gern eine Frage gestellt: Die Bundeswehr, Maximilian T.s Dienstherrin, hätte eine Nebentätigkeit nicht genehmigen müssen. Das ist ein Akt, der bürokratisch klingt. Damit hätte die Bundeswehr aber verhindern können, dass ein Mann, der den Ermittlungsbehörden Kopfzerbrechen bereitet, Zugang zum Bundestag bekommt. Dass er interne Informationen darüber, wie es um Deutschlands Verteidigung steht, in Protokollen und Vermerken nachlesen kann. Dass er, dem zugetraut wird, zu fantasieren, welche Politiker er umbringen würde, sich frei im Parlament bewegen kann.

Warum hat die Bundeswehr das nicht verhindert? Warum nicht der MAD?

Zu „Einzelpersonalangelegenheiten“ äußere man sich nicht, teilt ein Sprecher des Verteidigungsministeriums mit. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat sich bereits Anfang des Jahres festgelegt: Maximilian T. ist ein Rechtsextremist, bei ihm liegen tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung vor. Der Militärische Abschirmdienst will sich auf Anfrage nicht so deutlich posi­tio­nie­ren: Es sei in dem Fall zu Einstufungen der Kategorien „Extremist“ und „Person mit Erkenntnissen über fehlende Verfassungstreue“ gekommen.

Im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags gibt es mittlerweile einen Zwischenstand zu möglichen Versäumnissen der Geheimdienste. Der interne Bericht soll verheerend ausgefallen sein, schreibt der Spiegel: Verdächtige hätten sich herausreden können; andere seien aus Kameradschaft geschont worden. Mehrere Soldaten wurden aus der Bundeswehr wegen extremistischer Einstellungen entlassen – und keines der Verfassungsschutzämter informiert, die hätten übernehmen können.

Der Militärische Abschirmdienst hat vor Kurzem große strukturelle Umbauten angekündigt. Fortan sollen beispielsweise mehr Zivilisten in der Leitung der Behörde tätig sein.

Maximilian T. arbeitet bis heute bei der Bundeswehr. Er ist inzwischen heimatnah stationiert, auf dem Truppenübungsplatz Altmark im Norden Sachsen-Anhalts. Im dortigen „Gefechtsübungszentrum Heer“ üben Soldaten die Methoden moderner Kriegsführung.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.

Illustration: taz/Infotext-Berlin (Montage)

Hannibals Schattennetzwerk

Hintergründe zum Prozess gegen Franco A.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Alle Artikel zum Thema