Berliner Clubs und die Lärmfrage: Wenn der Nachbar lärmt

Immer wieder gibt es Ärger zwischen Clubs und Anwohnern. Am Dragonerareal wollen alle Beteiligten aus einem Streit über den Holzmarkt lernen.

Unter der Diskokugel das Nachtleben: Publikum im Berliner Club Gretchen

Musik, für manche auch Lärm: Konzert im Gretchen, dem Club auf dem Dragonerareal Foto: Karsten Thielker

Ein Baldachin, eine Stahltür, auf der das Logo prangt, ein G in einem runden Kreis. Im Hof ein Autoschrauber, nebenan der Bioladen LPG, gegenüber die Handwerkskammer, Büroraum also. Die nächsten Anwohner sind hier weit weg. Besser könnte es einem Berliner Club in lärmgeplagten Zeiten nicht gehen. Doch Pamela Schobeß denkt an die Zukunft, und dafür zitiert sie einen Begriff, in dem etwas Bedrohliches schwingt: „Heranrückende Wohnbebauung“.

Pamela Schobeß schließt die Clubtür auf und bittet zum Gespräch nach oben. „Dort“, sagt sie, „gibt es Tageslicht.“ Die 44-Jährige ist Betreiberin des Clubs Gretchen in der Obentrautstraße. Der Club liegt auf dem Dragonerareal, einem 4,7 Hektar großen Gelände, das das Land Berlin dem Bund abgekauft hat. Kein Investor wird dort das Sagen haben, sondern eine Vielzahl von Beteiligten, der Bezirk, der Senat, die Gewerbetreibenden, die Initiativen vor Ort. Ein Pilotprojekt, das Stadt und Zivilgesellschaft zusammen entwickeln. Und dennoch ist da für Schobeß diese Bedrohung: „Heranrückende Wohnbebauung“.

Schon einmal hat Schobeß erfahren müssen, wie es ist, wenn neben einem Club irgendwann Wohnungen entstehen. Mit ihrem Partner Lars Döring hat sie bis 2011 das Icon in Prenzlauer Berg betrieben. „Die Probleme begannen, als nebenan gebaut wurde“, erinnert sie sich. „Dann hat das Bezirksamt uns die Genehmigung entzogen.“ Zwar lenkte der Bezirk Pankow nach Protesten wieder ein, doch dann kam eine Mieterhöhung, und schließlich wurde der Mietvertrag nicht verlängert – das Aus.

„Wir haben lange überlegt, ob wir noch mal einen Club aufmachen sollen“, sagt Schobeß. Doch dann stolperte sie über das Dragonerareal. „Das war ideal. Da gab es überhaupt keinen, den wir stören konnten.“ Zwei Jahre später sei die Furcht allerdings wiedergekommen. „Das war die Zeit, in der der Bund das Areal an einen privaten Investor verkaufen wollte.“ Aber auch nachdem Berlin diesen Deal verhindert und das Gelände hinter dem Kreuzberger Rathaus und dem Finanzamt in die Obhut des Landes übernommen hat, ist die Besorgnis da. „Hier wird es am Ende 60 Prozent Wohnen und 40 Prozent Gewerbe geben“, zitiert Schobeß die Pläne. Herannahende Wohnbebauung also.

Schon jetzt hat das Gretchen Vorsorge getroffen. Vom neuen Lärmschutzfonds des Senats bekommt der Club 74.000 Euro Förderung für eine Schallschutzwand, 18.500 Euro müssen Schobeß und ihr Partner selbst dazuschießen. „Ohne Unterstützung könnten wir das nicht finanzieren“, sagt Schobeß.

Damit sind wir nicht mehr bei Pamela Schobeß, der Betreiberin des Gretchen, sondern bei Pamela Schobeß, der Vorsitzenden der Berliner Clubcommission, die den Lärmschutzfonds lange Zeit vom Senat gefordert hatte. Und wir verlassen das Dragonerareal, wo Konflikte noch in weiter Ferne liegen, und wenden uns einem Ort zu, wo der Konflikt zwischen Clubs und Ämtern im Sommer eskaliert war und noch immer gegenwärtig ist – dem Holzmarktgelände an der Spree.

Pamela Schobeß im Gretchen

Pamela Schobeß in ihrem Club, dem Gretchen Foto: Karsten Thielker

Protest gegen eine Sperrstunde

Am 6. Juni hatte die Clubcommission, ein Zusammenschluss von 240 Berliner Clubs, einen offenen Brief an das Bezirksamt Kreuzberg verfasst. „Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ist ein Sehnsuchtsort für Menschen aus aller Welt und steht wie kein anderer für Offenheit, Freiheit und Selbstverwirklichung“, heißt es darin. „Künstler, Kulturschaffende und Jungunternehmer verwirklichen hier Ideen, die anderswo nicht möglich wären. Nirgendwo auf der Welt ist die Dichte an Clubs, Kreativen und Kulturschaffenden höher als auf den 20 Qua­drat­kilometern unseres Bezirks.“

Nach dem Lob an Berlin und seine Clubkultur richtet sich der Brandbrief dann an den eigentlichen Adressaten: das Bezirks­amt, das ebendieser Clubkultur an den Kragen wolle. Das Clubleben in Friedrichshain-Kreuzberg sei nur möglich gewesen, „weil die Verwaltung über Jahrzehnte immer hilfsbereit war und ihren gesamten Ermessensspielraum nutzte, […] auch wenn es mal nicht ins konventionelle Raster passte“.

Nun aber stehe ausgerechnet der Holzmarkt – für die Clubcommission eine „Utopie, die Wirklichkeit wurde“ – vor dem Scheitern, „denn er steht im Fadenkreuz der Bezirksverwaltung“. Wir erkennen unseren Bezirk nicht wieder, heißt es weiter. „Wir sind ratlos, wütend und enttäuscht.“

Was war passiert? Wegen des Lärms auf dem Außengelände des Holzmarkts hatten sich Anwohner beschwert. Daraufhin schlug das Bezirksamt vor, den Ausschank auf die Zeit bis 21 Uhr zu begrenzen, damit um 22 Uhr Ruhe einkehrt. Die Holzmarkt-Genossenschaft protestierte gegen eine solche „Sperrstunde“ sogar mit einer Demo. Lange hing gut sichtbar für alle Bahnreisenden ein ­Transparent auf dem Holzmarkt: „Berlin braucht Kultur, keine Sperrstunde“.

Am Ende des offenen Briefes steht ein Appell. „Wir fordern Euch auf, auch mutig zu sein! Es muss ein Dialog entstehen, der lösungsorientiert ist.“

Clubnacht: Letztlich auch um gute – geografisch etwas erweiterte – Nachbarschaft geht es bei der von der Berliner Clubcommission veranstalteten European Club Night. Die findet geschichtsträchtig am Samstag, 9. November, statt – und ist offizieller Teil der Feierlichkeiten zum 30. Jubiläum des Falls der Berliner Mauer. Um aufzuzeigen, dass Europa nicht an den EU-Grenzen aufhört, sind auch Clubs aus Ländern wie der Schweiz, Norwegen, Georgien und Russland in die Veranstaltung eingebunden.

Partnerschaft: Bei der Nacht kollaborieren 27 Musikclubs aus 27 europäischen Ländern mit jeweils einem Berliner Club. Im Kater Blau auf dem Holzmarktareal beispielsweise ist Der Hall aus Estland zu Gast. Mit der European Club Night als Anregung sollen nach Möglichkeit auch langfristige europaweite Partnerschaften aufgebaut werden.

Die Frage nach Freiräumen
Christian Goiny, CDU

„Wir brauchen großzügigere Ausnahme­regelungen. Die Politik soll so clubfreundlich wie möglich sein“

Im Katerschmaus, dem feinen Restaurant am Holzmarkt, wartet Christian Goiny. Der CDU-Abgeordnete ist seit Jahren ein Fürsprecher der Berliner Clubszene und bekennender Reggae-Fan; unter anderem hat er sich für die Rettung des Yaam starkgemacht. Mitten im Streit über die sogenannte Sperrstunde hat sich Goiny auf Facebook eine bemerkenswerte Auseinandersetzung mit dem grünen Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt, geliefert. So schrieb Goiny an Schmidt: „Clubkultur […] braucht gerade Freiräume und Unabhängigkeit. Dazu gehört auch das Spontane und Improvisieren! […] Da haben Sie nichts geliefert!“

Schmidts Antwort folgte postwendend: „Ich habe es nicht nötig mir von Ihnen die Clubthematik erklären zu lassen. […] Von der Realität und den He­raus­forderungen haben Sie keine Ahnung. Das ist noch nicht mal professioneller Lobbyismus sondern nur ­unterirdisch.“

Nichts geliefert. Unterirdisch. Hinter vorgehaltener Hand hört man von Clubbetreibern, dass die Tonart von Goiny dem Anliegen der Ausgehszene nicht unbedingt förderlich sei. Dass die Gemengelage komplexer sei als ein Für oder Wider bei einem Facebook-Battle. Dass Florian Schmidt nicht unbedingt ein Feindbild sei, aber auch nichts dagegen habe, zurückzukeilen, wenn er angegriffen werde.

Für Christian Goiny ist die Sache aber klar. „Die innerstädtische Spree ist die Hauptschlagader des Berliner Clublebens“, sagt er. „Hier haben sich die Orte der Berliner Clubkultur angesiedelt.“ Deshalb fordert Goiny, wie auch die Verfasser des offenen Briefes, mehr Flexibilität der Verwaltung. „Wir brauchen großzügigere Ausnahmeregelungen“, meint er. „Die Politik soll so clubfreundlich wie möglich sein.“ Und er lässt keinen Zweifel daran: Florian Schmidt ist nicht der Richtige, um diese Flexibilität umzusetzen.

Wenn Goiny Schmidt Versagen vorwirft, schwingt dabei aber nicht nur die Empörung über die angebliche Sperrstunde mit, sondern auch die jüngere Geschichte des Holzmarkts selbst. So hat Schmidt dem Eckwerk, dem geplanten Hochhaus der Holzmarkt-Genossenschaft, die Genehmigung verweigert, weil es keine detaillierten Planungen zum Schallschutz gegeben habe. Daraufhin hat die Schweizer Stiftung Abendrot den Erbpachtvertrag mit dem Eckwerk gekündigt. Für Goiny ist das Schmidts Sündenfall, dem nun ein weiterer folgte. Ein unkonventioneller CDU-Mann kämpft gegen einen konventionellen Grünen, so sieht es Christian Goiny.

Doch das Eckwerk ist Geschichte; in Kürze, heißt es, werde die Schweizer Stiftung bekannt geben, wer anstelle der Holzmarkt-Genossenschaft auf dem begehrten Grundstück bauen darf.

Ganz aktuell ist dagegen der Konflikt zwischen Anwohnern und Clubs wegen des Lärms an der Spree. Und auch dazu hat CDU-Mann und Clubfreund Goiny ein paar Vorschläge. „Man muss den Kulturlärm ähnlich behandeln wie den Kinderlärm“, sagt er und fordert eine „lärmschutztechnische Privilegierung“ der Clubs. „Clubs gelten im Bundesrecht immer noch wie Spielhallen und Bordelle als Vergnügungsstätten und nicht als Kulturbetriebe.“ Dabei sei die Clubszene in Berlin nicht nur Kultur, sondern auch ein Wirtschaftsfaktor. Das hat auch eine Studie belegt, die Wirtschaftssenatorin Ramona Pop bei der Clubcommission in Auftrag gegeben hatte. 2018 seien 3 Millionen Touristen allein wegen der Clubkultur nach Berlin gekommen, heißt es darin. Über 200 Euro ließen sie pro Tag im Schnitt in Berlin, und insgesamt 1,48 Milliarden Euro gaben sie aus. Darüber hinaus beschäftigten die Clubs 9.000 Menschen.

Aber nicht nur der Bund muss handeln, fordert Goiny, sondern auch der Bezirk. So müsse es mehr Ausnahmegenehmigungen für Freiluftveranstaltungen geben. Denn am 1. Mai zum Beispiel habe eine Partydes Sage um 20 Uhr beendet sein müssen. Damit liegt Goiny ganz auf Linie mit Clubcommission-Chefin Pamela Schobeß. Die sagt: „Ein Open-Air-Konzert um 20 Uhr zu beenden ist wie beim Fußball nach 60 Minuten den Ball wegnehmen.“

Rechtliche Absicherung

Im 14. Stock des Rathauses Kreuzberg hat Florian Schmidt sein Büro. Das Dragonerareal liegt ihm zu Füßen, der Holzmarkt und die Spree sind weit weg. Zum Gespräch hat Schmidt seinen Referenten mitgebracht; es geht um ein brisantes Thema, da will alles abgewägt sein, auch der Vorwurf, ein Fußballspiel nach 60 Minuten abzubrechen, darf nicht im Raum stehen bleiben. Also sagt Schmidt: „Der Sage Beach war innerhalb des Gebiets, in dem am 1. Mai allgemein keine störenden Veranstaltungen genehmigt wurden. Im Rechtsstaat gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz, und somit wurde auch auf dem Sage Beach keine störende Veranstaltung genehmigt.“

Und dann überrascht Schmidt mit einer deutlichen Ansage. „Ich bin nicht nur Aktivist“, sagt der Grüne über sich, „ich muss mich auch an Recht und Gesetz halten.“

Um Recht und Gesetz geht es Florian Schmidt, der wegen seiner Politik des Vorkaufsrechts manchen als Robin Hood von Friedrichshain-Kreuzberg gilt, auch am Holzmarkt. „Wir haben in Friedrichshain-Kreuzberg inzwischen fast allen Clubs, die von anderswo vertrieben wurden, Asyl gegeben“, lacht er. „Aber die Zeiten, in denen Clubs, wenn es schwierig wird, einfach ihre Zelte abbrechen und weiterziehen, sind vorbei“, antwortet der Stadtrat auf die Forderung der Clubszene, wie früher halt einmal auch ein Auge zuzudrücken. „Wenn wir die Clubs sichern wollen, muss es für alle Pro­bleme und offenen Fragen eine Lösung geben.“ Das betreffe den Lärm ebenso wie das Fehlen von Baugenehmigungen oder abgelaufene Konzessionen.

Eines will Schmidt nicht auf sich sitzen lassen. „Bei uns gibt es keine Sperrstunde.“ Er sieht aber auch, dass die Eskalation im Juni vom Holzmarkt anders wahrgenommen werden konnte. „Das ist eine komplexe Gemengelage, die für den Holzmarkt so wirkte, als würde ihnen jemand etwas Böses wollen.“ Dennoch gelte auch an der Spree das Immissionsschutzgesetz. Das besage nun mal, dass ab 22 Uhr am Fenster des nächsten Anwohners eine Lautstärke von 40 Dezibel und 45 im Mischgebiet nicht überschritten werden dürfe. Die 21-Uhr-Regelung vom Juni war für Schmidt nur ein „Vorschlag“ des Bezirks, zu dem der Holzmarkt um Stellungnahme gebeten worden sei. „Daraus haben die dann die Sperrstunde gemacht.“ Doch nun, so Schmidt, sei das „Kriegsbeil begraben“.

Damit das Kriegsbeil am Dragonerareal gar nicht erst wieder ausgegraben wird, will Schmidt frühzeitig Vorkehrungen treffen. Gewerbe und Wohnungen auf dem Gelände sollen räumlich voneinander getrennt werden. „Das störende Gewerbe siedeln wir an der Obentrautstraße an“, sagt Schmidt, also dort, wo jetzt schon das Gretchen sein Domizil hat. Rückseitig davon wird dann Platz für das nicht störende Gewerbe sein, das eine Art Schallschutz für den Club und die Autoschrauber bietet.

Dennoch bleibt für Schmidt immer noch ein Fragezeichen. „Wir können wie am Columbia­damm bei der Columbiahalle Vereinbarungen mit den Bewohnern treffen und um mehr Toleranz für Lärm werben. Aber am Ende kann jeder Anwohner vor Gericht ziehen und gegen den Verursacher von Lärm klagen.“ Das sei auch am Dragonerareal möglich. „Ein Club ist rechtlich derzeit kein schützenswertes Gewerbe.“ Unklar sei dagegen, wie es wäre, würde ein Club als Kulturbetrieb gelten.

Die Botschaft ist für Pamela Schobeß als Clubinhaberin wie auch als Vorsitzende der Clubkommission also zweideutig. Der politische Wille ist da. Aber die „heranrückende Wohnbebauung“ ist und bleibt ein Unsicherheitsfaktor.

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