Leidenschaftliches Zerstörungswerk

Motto „Kaputt“: Beim Figuren- und Objekttheaterfestival „Theater der Dinge“ beschäftigt man sich in diesem Jahr mit destruktiven und produktiven Zerstörungsprozessen

Leichtigkeit durchzieht hier den Prozess der Destruktion: „Kaputt: Werkstatt der Zerstörung“ Foto: Fundus Theater

Von Katja Kollmann

Warum erfindet jemand, der schon viel Zerstörung erlebt hat, die Zerstörungskunst?“, überlegt Sybille Peters laut. Sie steht im Saal des Feld, dem Theater für junges Publikum am Winterfeldtplatz, und erinnert an den Fluxus-Künstler Gustav Metzger. Der verlor seine Eltern durch den Holocaust, wurde durch einen Kindertransport nach Großbritannien gerettet und gilt als Erfinder der „Auto Destruktive Art“.

Peters moderiert im Feld den Workshop „Kaputt: Die Werkstatt der Zerstörung“. Etwas mehr Kinder als Erwachsene sitzen um sie herum, die Wände ziert das Logo der „Akademie der Zerstörung“. Sybille Peters, Hanno Krieg und Christopher Weymann vom Hamburger Fundus Theater / Theatre of Research haben dieses Format entwickelt, in Kooperation mit vielen Hamburger Schulen durchgeführt und probieren sich nun auf Einladung des Festivals „Theater der Dinge“ in Berlin aus. Peters Denkanstöße, die das Thema „Zerstörung“ aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten, gipfeln in einer steilen These: Gesellschaftlich erlaubte kontrollierte Zerstörung führt zu einer Abnahme von destruktiven Energien und somit zu einem Rückgang von kriegerischen Konflikten.

Im praktischen Teil des Workshops werden Bücher „verwandelt“. Anregend wirkt da erst mal ein Foto von Dieter Roths Bücherverwurstung. Mustafa schlägt so lange mit einem Hammer auf ein aufgeschlagenes Buch ein, bis darin eine kraterähnliche Vertiefung entsteht, das Papier sich dort interessant wölbt und man nun diesen Wälzer aus einer neuen Perspektive betrachtet.

Man „baut auch nach Katastrophen“. Eva Meyer Keller und Sybille Müller haben dieses Format 2007 entwickelt. Auch sie sind Vorbilder der Akademie der Zerstörung. So bauen nun sehr junge und mittelalte Menschen, die alle an diesem Donnerstag ihr Diplom als Zerstörungskünstler erwerben, aus Nudeln aller Größen, Erbsen und Linsen eine Miniaturstadt. In der Mitte steht eine Wasserkaraffe mit Backpulver. Sarah gießt Essig darauf, der Vulkan bricht aus, und eine blubbernde, weiße Masse begräbt alles unter sich. Leichtigkeit durchzieht hier den Prozess der Destruktion.

Fruchtchirurgen machen sich dann an die Sezierung von Granatäpfeln, was in Großaufnahme auf der Leinwand zu Kunst wird, begleitet von gesampelter, mit einem Verstärkermikrofon aufgenommener Livemusik. Die Musikgeräte: eine Stahlplatte, zwei alte Schlüssel, eine alte Bürste, eine Eisenkette und drei Sägen.

Am Ende der Ausbildung steht die Diplomzerstörungsperformance, die genau 60 Sekunden dauern darf. Vorbereitung: 15 Minuten, im Team. Idea­lerweise hat man Sachen zum Kaputtmachen mitgebracht. Unser vierköpfiges Team hat dabei: eine Wanduhr, eine alte CD, vier Panini-Fußballkarten und einen alten Schal. Die Uhr wird an der Werkbank zerdrückt, die CD im Mixer in Glitzerschnee verwandelt, der zusammen mit den Panini-Karten-Fetzen auf die gequetschte Uhr herabschwebt. Am Schluss deckt der Schal alles zu. Und eine der jungen ZuschauerInnen findet den passenden Titel: „Die verstorbene Uhr“.

Das alljährlich von der Schaubude veranstaltete Figuren- und Objekttheaterfestival „Theater der Dinge“ steht dieses Jahr unter dem Motto „Kaputt“. Eröffnet wurde das Festival am Mittwoch vom ebenfalls aus Hamburg kommenden Monsun.theater mit „Das Hirn ist ein Taubenschlag“.

These: Gesellschaftlich erlaubte Zerstörung führt zur Abnahme von destruktiven Energien

In der Schaubude überdeckt dabei eine schräge Plattform aus Holz die Zuschauerreihen. Die ZuschauerInnen sitzen auf der Bühne und schauen „verkehrt“. 90 Minuten lang sitzt, liegt und kriecht Pablo Konrad als Adalbert Immenstein auf der Plattform. Der junge Schauspieler verkörpert einen 62-Jährigen. Cora Sachs hat ihm dazu eine Maske mit kleinen fiesen Augen verpasst. Die Stimme des alternden Autisten ist unangenehm hoch und quietscht. Dita Zipfel und Finn-Ole Heinrich haben basierend auf Recherchen den Monolog eines Menschen entworfen, der seine Lebensunfähigkeit mit infantilem Größenwahn und der Liebe zu Tauben kompensiert. Und der für seinen persönlichen Pflegenotstand eine radikale Lösung findet: den Mord an der Mutter.

Bis zum Schluss aber ist jedes seiner Worte Anklage oder Rechtfertigung. Das machte die Vorstellung vorhersehbar; das Spiel, die kluge Inszenierung von Cora Sachs und die feinsinnige musikalische Begleitung von Clara Jochum und Hannes Wittmer aber tragen den Abend.

Bis zum 29. Oktober sind beim „Theater der Dinge“ zwölf Inszenierungen aus zwölf Ländern zu sehen. So bringt das Psilicone Theatre aus Litauen „Hairy Hairy Mouth“ nach Berlin. Thema ist der Niedergang der litauischen Textilindustrie. Das ganze Festivalprogramm macht neugierig auf die unterschiedlichen Kontexte dieses Wieworts „kaputt“.

Theater der Dinge, bis 29. Oktober an verschie­denen Orten. Programm: www.schaubude.berlin