berliner szenen
: Beinahe nichts geändert

Vor dem McDonald’s am Bahnhof Gesundbrunnen lag jugendliche Energie in der Luft. Die jungen Männer, einige von ihnen gestern noch Kinder, traten von einem Bein aufs andere, tänzelten umeinander, legten sich gegenseitig den Arm um die Schultern oder versetzten einander leichte Schläge mit den Ellenbogen – harmlose Bodychecks, aus denen, wenn es sein musste, jederzeit Ernst werden konnte. Früher hatte man sich ganz ungeniert in die Weichteile geboxt.

Ein Teil der Aufmerksamkeit zogen die kleinen Screens in ihren Händen ab, die über eine Schnittstelle akustische Signale in die Gehirne sandten, doch das direkte Miteinander, die Blicke, das Anfassen und Ansprechen, war weiterhin signifikant, so wie natürlich die Uniformen der großen Sportartikelhersteller, die es nahezu unverändert ins 21. Jahrhundert geschafft hatten, hierher an den südlichen Rand der glazialen Rinne, durch die ein Fließgewässertyp 19 floss, ein sogenanntes Kleines Niederungsfließgewässer, das auf dem Barnim bei Bernau entsprang und einige Kilometer weiter südlich von hier am Schiffbauer­damm in die Spree mündete, die Panke.

Ein älterer Teenager mit „Hugo“-Schultertasche und stechend blauen Augen unter der schneeweißen Schiebermütze nahm einen der Jüngeren beiseite, redete auf ihn ein, rief einen anderen herbei, der sich daraufhin katzengleich näherte, den Blick gesenkt, aber achtsam, als erwartete er nichts Gutes, und vermittelte dann zwischen den beiden Streithähnen, sie immer wieder zur Ruhe ermahnend und die anderen Brüder mit ausgestrecktem Arm auf Abstand haltend, die sich nicht abschütteln lassen wollten, erkennbar noch seine Rolle suchend, doch schon mit beträchtlicher Sicherheit. Es hatte sich beinahe nichts geändert.

Sascha Josuweit