Vor der Landtagswahl in Thüringen: Wer Wind erntet, sät Sturm

Windräder verschandeln die Wälder, davon ist Tobias Gruber überzeugt. Bürgerinitiativen gegen Windkraft mischen den Wahlkampf in Thüringen auf.

Luftaufnahme des Windkraftparks Koelsa im Winter, fotografiert mit Drohne

Über allen Wipfeln ist keine Ruh: Windpark im Thüringer Wald Foto: Paul Langrock/Zenit

ST. GANGLOFF taz | Die Veranstaltung im Vereinshaus in St. Gangloff geht dem Ende entgegen. Der FDP-Direktkandidat für die Thüringer Landtagswahl Hardy Scheidig will zum Schlusswort ansetzen, da wird es noch einmal spannend. Christine Leithold von der „Bürgerplattform Pro Vogtland“ ergreift das Wort. „Die FDP ist gegen Windkraft im Wald“, sagt sie. „Aber warum ist sie nicht generell gegen Windkraft?“ „Das wäre nicht richtig“, sagt Scheidig. „Das hieße ja, sich gegen erneuerbare Energien generell zu stellen.“ Die Frau aus dem Vogtland ist nicht überzeugt. „Das kann ich nicht verstehen“, sagt sie. „Entweder bin ich gegen Windkraft oder nicht.“

Mehr als zwei Stunden haben die anfangs um die 90 Menschen im Vereinshaus Zum Schwan auf Einladung der FDP Vorträge und Diskussionsbeiträge gehört, in denen es um die Windkraft und ihre tatsächlichen oder vermeintlichen Gefahren für Stromversorgung, Natur und Gesundheit ging. St. Gangloff liegt zwischen Gera und Jena im Saale-Holzland-Kreis in einer wunderschönen Landschaft mit viel Wald und grünen Hügeln. Knapp 1.200 Menschen leben in dem Örtchen.

Viele fürchten, dass es bald mit der Idylle vorbei ist. Denn am Rande des Dorfs sollen neun gewaltige Windräder gebaut werden, für die viele Hektar Wald weichen müssen. Die Windräder werden mit einer Gesamthöhe von mehr als 230 Metern und einem Rotordurchmesser von fast 150 Metern die Bäume weit überragen. Die BürgerInnen fürchten um ihre Lebensqualität durch Bau und Betrieb, durch Lärm und durch die Zerstörung des Waldes. Wer ein Eigenheim besitzt, macht sich Sorgen um einen möglichen Wertverlust. 1.000 Widersprüche haben BürgerInnen gegen das Projekt eingereicht.

St. Gangloff ist kein Einzelfall. Deshalb sind auch Mitglieder von Bürgerinitiativen aus anderen Regionen wie Christine Leithold ins Vereinshaus gekommen. Der Thüringer Landesverband „Energiewende mit Vernunft“ vertritt nach eigenen Angaben 50 Gruppen, die gegen den Windkraftausbau mobilmachen. Denn die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen will, dass das Land bis 2040 zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien versorgt wird. Auf etwa einem Prozent der Landesfläche sollen Windkraftanlagen aufgestellt werden. Das ist mehr als doppelt so viel wie die heutigen rund 0,4 Prozent. Etwa 850 Windräder gibt es zurzeit in Thüringen.

Die FDP kämpft mit gegen die Windräder

Die FDP muss bei den Landtagswahlen um den Einzug ins Erfurter Parlament kämpfen. Am Eingang liegen neben FDP-Kugelschreibern Unterschriftenlisten für eine Petition an den Thüringer Landtag. „Waldschutz ist Klimaschutz“, steht darauf. „Die Kernforderungen der Bürgerinitiativen stehen im Wahlprogramm der FDP“, sagt Direktkandidat Scheidig. Das sind: ein Mindestabstand von zehn Metern mal Anlagenhöhe zum nächsten Haus, das Verbot von Windrädern im Wald und ein Ende der Privilegierung der Windkraft. Etliche im vollen Saal sind von auswärts gekommen, der Parkplatz vor dem Haus ist dicht besetzt. Anders als den Liberalen geht es vielen aber nicht nur um den Kampf gegen Windräder im Wald, sie sind grundsätzlich gegen diese Form der Energiegewinnung.

Gekommen ist auch Günther Peupelmann aus der Nachbargemeinde Hermsdorf. Er gehört zur Bürgerinitiative „Unser Holzland – kein Windkraftland“. „Die Windräder bringen der Gemeinde finanziell nichts“, sagt Peupelmann, der auch stellvertretender Bürgermeister der Verwaltungsgemeinschaft Hermsdorf ist, zu der St. Gang­loff gehört. Er ist zudem Wirt der Gaststätte Zur Linde, einem Restaurant mit rustikaler Einrichtung und Pensionsbetrieb, in dem die Thüringer Klöße noch selbstgemacht werden. Am Zaun zu seinem Parkplatz hängt ein Banner. „Thüringer Wälder – retten statt roden“ steht darauf. Peupelmann hat den Bürgermeister der Verwaltungsgemeinschaft Hermsdorf mitgebracht. Der 29-jährige parteilose Benny Hofmann ist der jüngste Bürgermeister Thüringens. Auch er ist gegen Windräder im Wald. „Als Bürgermeister einer Holzlandgemeinde kann ich nicht für Rodungen sein“, sagt er entschlossen.

Die FDP bietet sich als parlamentarische Arm der Windkraftgegner an. Doch die haben längst einen – jedenfalls in Hermsdorf. Die Bürgerinitiative hat bei den letzten Kommunalwahlen im Mai 46 Prozent geholt, im Landkreis über 10 Prozent. Als Direktkandidat für den Thüringer Landtag tritt eines ihrer Mitglieder an, der Landschaftsgärtner Tobias Gruber. Er ist ein kräftiger, vor Energie strotzender Mann. Gruber kommt nicht zur FDP ins Vereinshaus. Er hat heute eine eigene Wahlkampfveranstaltung mit der früheren Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld.

CDU, AfD, FDP – der Kampf gegen Windenergie ist populär

Wenige Stunden vor seiner Veranstaltung sitzt Gruber gut gelaunt bei Kaffee und Kuchen in der Linde. „Die FDP will auf unseren Zug aufspringen“, sagt der Mittvierziger – keineswegs verstimmt, sondern bestens gelaunt. „Wir haben ja eigentlich schon gewonnen“, findet er. „Wir haben es geschafft, das Thema Windenergie negativ zu besetzen.“ Parteipolitisch will er sich nicht festlegen. „Ich bin weder rechts noch links“, sagt Gruber. Die AfD habe bei ihm angefragt, doch auf deren Ticket wollte er nicht kandidieren. „Wo es um Windkraft geht, ist die AfD nicht weit“, sagt er.

Patrick Broniewski, Thüringens CDU-Sprecher

„Mit uns wird es keine Windkraftanlagen in unseren Thüringer Wäldern geben“

Auch die CDU hat das Thema entdeckt. „Die wollen alle in unserem Windschatten mitsegeln“, freut sich Gruber. Die CDU-Fraktion im Erfurter Landtag hat einen Baustopp für Windanlagen im Wald gefordert. Auf einem Wahlplakat mit Spitzenkandidat Mike Möring vor einer bewaldeten Landschaft mit Windrädern steht: „Windradwahnsinn“, daneben ein gelbes Schild mit der schwarzen Aufschrift: „Schluss damit“. „Mit uns wird es keine Windkraftanlagen in unseren Thüringer Wäldern geben“, sagt der Thüringer CDU-Sprecher Patrick Broniewski.

Tobias Gruber bezweifelt, dass die CDU an dieser Haltung bei einer Regierungsbeteiligung festhalten würde. Für ihn und seine MitstreiterInnen wäre es gar nicht so schlecht, wenn die ChristdemokratInnen in der Opposition bleiben würden, glaubt er. „Dann würde sich die CDU auf die Position gegen Windkraft im Wald festlegen müssen.“ Das wünscht sich der Landschaftsgärtner auch von anderen Parteien. Ruck, zuck könne er Dutzende DemonstrantInnen mobilisieren, sagt Gruber. Ob bei Wahlkampfveranstaltungen mit dem Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck oder Auftritten des linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow in der Region – was sie bietet, das nutzen die WindkraftgegnerInnen. „Meine Leute sind immer dabei“, sagt Gruber nicht ohne Stolz. Die AktivistInnen tragen grüne Westen – sie möchten an die Gelbwesten in Frankreich anknüpfen.

Ein Mann steht vor einem Haus

Will als Unabhängiger in den Landtag: Tobias Gruber kämpft gegen Windkraft im Wald Foto: Anja Krüger

„Wir sind die echten Grünen“

Gruber sieht sich und seine Leute als die wahren UmweltaktivistInnen. „Wir sind die echten Grünen“, sagt er. Er hat Schafe und pflegt seine Streuobstwiese. „Als Gärtner habe ich gelernt: Alles, was wir machen, hat Einfluss auf die Umwelt“, sagt er. Als Gruber vor sechs Jahren das erste Mal von den Plänen für die neun Windräder hörte, dachte er: „Das machen doch keine Grünen mit.“ Da hat er sich geirrt. Auf Landesebene ist das zum Landwirtschaftsministerium gehörende Infrastrukturministerium in der Hand der Linkspartei. Es ist für Windenergie zuständig. Doch die Linken spielen bei den WindkraftgegnerInnen eine untergeordnete Rolle, die SPD gar keine. Sie haben vor allem die Grünen im Visier. „Die Grünen sind es, die diese Debatte vorantreiben“, sagt Gruber.

Das sehen auch die Leute im St. Gangloffer Vereinshaus so. Sprechen sie über die grüne Umweltministerin Siegesmund, ist abfällig von „unserer Anja“ die Rede. Ein Mann beschwert sich über die grüne Landwirtschaftspolitik, dass die Grünen gegen Pestizide sind. „Schon das Wort ist falsch“, ruft er aufgeregt. „Das muss Pflanzenschutzmittel heißen.“ Das Wort „Ökodiktatur“ fällt mehrfach.

„Wir wollen dafür sorgen, dass kein Grüner ins Landwirtschaftsministerium kommt“, ruft der FDP-Landesvorsitzende Thomas Kemmerich. Er ärgert sich über die „Klimahysterie“ und die Fridays-for-Future-Bewegung. „16-jährige Gören erklären einem die Welt“, sagt er und erntet Applaus. Dabei stößt es durchaus auf ihre Zustimmung, als sich Detlef Ahlborn von der Initiative „Vernunftkraft“ über die „unglaubliche Hysterie, die rund um das CO2-Emissionen ausgebrochen ist“, mokiert. Er wirft Grafiken, Zahlen, Bilder auf eine Leinwand. Er spricht von Versorgungslücken, wenn die Windkraftanlagen ausfallen würden, über die vielen Milliarden, die die Energiewende schon gekostet hat. „Und wenn Sie sich fragen, wer das zahlt: Wenn Sie morgen früh beim Zähneputzen in den Spiegel schauen, dann wissen Sie es.“

Wann bricht das Stromnetz zusammen?

Nach ihm referiert der Landarzt Thomas Carl Stiller aus Göttingen zu dem, so sagt er, Pa­tien­tIn­nen aus dem ganzen Bundesgebiet kommen, die unter Lärm leiden. Schlaflosigkeit, Tinnitus, Schwindel, das Herz, die Lunge, das Gehirn – Windkraftanlagen können der Gesundheit ganz schön schaden, ist seine Botschaft. Jedenfalls, wenn man zu den 10 Prozent gehöre, die besonders sensibel auf Infraschall reagieren, dem lautlosen Lärm unterhalb der Wahrnehmungsschwelle, der von Windräder ausgehe. Der Arzt zeigt ein Bild von einem Gehöft. „Der da wohnte, musste sein Hof verkaufen“, ruft er. „Das ist valide, den kenne ich.“ Der Saal hört gebannt zu.

Zu den vielleicht zwanzig Personen, die bis zum Ende bleiben, gehört Dieter Böhme vom Thüringer Landesverband „Energiewende mit Vernunft“. Böhme ist ein drahtiger, eher kleiner Mann, dem schon am Tonfall anzuhören ist, dass er eine Mission hat. „Wir verstehen uns nicht als politisch“, sagt er und verweist darauf, dass er Physiker ist. „Wir argumentieren rein sachlich.“ Er ereifert sich über den „Zappelstrom“, der durch die Schwankungen bei der Versorgung mit Windenergie erzeugt wird, von „Klimaschwindel“ und „diesem ganzen Schwachsinn, den wir uns überbügeln lassen“. Er rückt nahe an seine GesprächspartnerInnen heran – und zieht nach, wenn die ausweichen. Auch eine Apokalypse hat er zu bieten: Das Stromnetz wird eines Tages wegen der Windkraft zusammenbrechen, prophezeit er. Dann werde man schon sehen, was man davon habe: Chaos. Auf Böhme hält Landschaftsgärtner Gruber große Stücke. Auch er spricht von „Zappelstrom“ und Chaos wegen Stromausfall.

In der Region gibt es durchaus AnwohnerInnen, die mit Leidenschaft für Windenergie sind, auch im Wald. Einer von ihnen ist Olaf Möller, Staatssekretär der Grünen im Thüringer Umweltministerium, einer der GegenkandidatInnen von Gruber. Im Wahlkampf begegnen sich die beiden nicht, denn niemand veranstaltet eine Podiumsdiskussion mit den DirektkandidatInnen. Auch Möller wohnt im Saale-Holzland-Kreis, in einem 120-Seelen-Dorf. Anfang der 1990er Jahre hat er einen alten Gasthof gekauft. Er betreibt im Nebenerwerb Biolandwirtschaft. „Ich schaue selbst auf drei Windparks“, sagt er. Schön findet er das nicht. „Aber die Landschaft wäre auch ohne Stromleitungen schöner“, sagt er. Und Windenergie ist nicht nur ökologisch. „Mittlerweile ist Windkraft die billigste Form der Energieerzeugung.“

Spaziergänger gehen an einer Plakatwand mit der Aufschrift "Holzlandwald Pro Windradwald No! Landrat, wir nehmen sie beim Wort! Keine Windräder im Wald!" im Mühltal im Thüringer Holzland vorbei

Schon bei der Kommunalwahl im Frühjahr erfolgreich: Plakat gegen Windenergie in Thüringen Foto: Volkmar Heinz

Staatssekretär beklagt emotionale Debatte

Möller kennt die WindenergiegegnerInnen und ihre Argumente. Er glaubt nicht an die Gefahren des Infraschalls, er hält Windräder im Wald für besser als auf freier Fläche. „Da sieht man sie nicht so“, sagt er. Windkraftgegner sprechen von bis zu 3 Hektar Waldfläche, die für eine Anlage gerodet werden muss. Stimmt nicht, sagt er. Es sind nur 0,86 Hektar. „Für die Fläche, die gerodet wird, wird mehr Wald wieder aufgeforstet“, betont er. Das Verhältnis liege bei 1 zu 1,5. Die Auflagen für die Anlagen seien streng – Grundwasserbelastung, Probleme beim Rückbau, Vogelflug, alles werde eingehend geprüft.

Die Forderung der Bürgerinitiativen, von FDP und CDU nach einem Abstand zum nächsten Haus, der zehnmal so lang wie das Windrad hoch ist, würde ein Aus der Windenergie in Thüringen bedeuten, erklärt er. Denn dafür ist das Land zu dicht besiedelt. Dass die CDU auf den Windkraftzug aufgesprungen ist, wird der AfD nutzen und nicht den Christdemokraten, fürchtet er. „Die CDU treibt die Leute auf die Bäume, sie wird es schwer haben, sie wieder runter zu bekommen“, sagt er. „Es sind auch CDU-Landräte, die über Standorte entscheiden“, sagt Möller.

Der Staatssekretär war bei etlichen Diskus­sions­veranstaltungen über Windkraft dabei. „Es wird sehr schnell emotional“, weiß er. Mit Argumenten durchzudringen, sei oft kaum möglich. Möller hat die Erfahrung gemacht, dass BefürworterInnen der Windenergie sich meistens nicht zu erkennen geben. „Ich war bei Veranstaltungen, da saßen Leute im Publikum, von denen ich wusste, dass sie bereits Verhandlungen mit Windkraftbetreibern über die Verpachtung ihres Landes führen“, berichtet er. Doch die blieben lieber still.

WindkraftbefürworterInnen wagen sich in Thüringen selten aus der Deckung. Selbst die Grünen haben für den Wahlkampf keine Plakate mit Windrädern gestalten lassen, und Veranstaltungen zu dem Thema gibt es nicht. Dafür machen einige junge Leute mobil. „Es gibt überall auf dem Land Probleme mit Windkraftgegnern“, sagt Annika Liebert von Fridays for Future Thüringen. „Aber es gibt auch Leute, die für Windkraft sind. Nur treten sie nicht in Erscheinung.“

Am vergangenen Wochenende haben Liebert und ihre MitstreiterInnen eine Demonstration für Windräder in Pößneck organisiert, rund 40 Kilometer von St. Gangloff entfernt. „Wir wollen ein Zeichen setzten für die Windkraft“, sagt die 21-Jährige. Junge Fridays-for-Future-AktivistInnen aus dem Ort hatten darum gebeten, in Pößneck zu demonstrieren, weil sie Rückenwind bekommen wollten. Rund 40 Menschen kamen in das 13.000-Seelen-Städtchen, zu dem man von Erfurt aus mit öffentlichen Verkehrsmitteln anderthalb Stunden braucht. Es habe sich gelohnt, findet Liebert: „Einige Leute aus dem Ort haben sich der Demo spontan angeschlossen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.