Karliczeks Batteriezentrum: Ein Forschungsinstitut für Münster

Es wurde eine Kommission gegründet, um den besten Standort für das Institut zu finden. Dann entschied das Forschungsministerium ganz anders.

Potraitfoto: Anja Karliczek

Forschungsministerin Anja Karliczek soll ihre Entscheidung für den Standort Münster begründen Foto: Stefan Puchner/dpa

BERLIN taz | Bundesforschungsminis­te­rin Anja Karliczek musste an diesem Mittwoch zum zweiten Mal im Forschungsausschuss des Deutschen Bundestags antreten, um Auskunft in der sogenannten Batterieaffäre zu geben. Seit drei Monaten wird der Politikerin vorgehalten, dass ihr Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in der Standortentscheidung über die Errichtung einer Forschungsfabrik für Batteriezellen die NRW-Stadt Münster bevorzugt hatte, unmittelbar neben dem Wahlkreis der CDU-Bundestagsabgeordneten Karliczek. Zuletzt standen sogar Rücktrittsforderungen im Raum, sogar von der CDU-Kultusministerin Susanne Eisenmann aus dem unterlegenen Baden-Württemberg, ein ungewöhnlicher Vorgang – „friendly fire“.

Die Batterieaffäre hat in den letzten Wochen die Kommunikationsfähigkeit des deutschen Forschungsministeriums – mit 18 Milliarden Euro immerhin der viertgrößte Einzelplan im Haushalt der Bundesregierung – bis an die Grenzen belastet. Hintergrundgespräche und Briefings in Folge, eine außerplanmäßige Anhörung des Ausschusses in der Sommerpause, durchgestochene Dokumente aus den Beratungen – auf den Ministeriumsneubau am Rande der Spree rollte offenbar ein Polit-Tsunami zu.

Oder doch nur ein Sturm im Wasserglas? Am Dienstag dieser Woche trifft die Ministerin im Morgengrauen mit zwei Journalisten der Süddeutschen Zeitung zusammen, um Fehler einzugestehen, was sie tags darauf auch im Parlamentsausschuss wiederholen wird. Aber die Schuldeingeständnisse sind eher banal. So hätte die „Gründungskommission“ der Zellenfabrik aus ihrer Sicht einen weniger missverständliche Namen tragen müssen.

Tatsächlich aber ist die fragwürdige Vergabepraxis für die Forschungsfabrik nur die innere Puppe einer Art russischer Matroschka, die tiefer reichende Defizite der deutschen Innovations- und Industriepolitik in größeren Zusammenhängen symbolisiert. Puppe 2: Die innovative Fehlentwicklung der deutschen Automobilwirtschaft, die jedes Jahr Abermilliarden an Forschungsgeldern in die Fortentwicklung auslaufender Verbrennungstechnologien investiert und den Epochenübergang zur Elektromobilität verschlafen hat, zum Schaden des gesamten deutschen Volkswirtschaft.

Puppe 3: Der widerstandslose Abbau der Elektrochemie – einst ein Paradefeld deutscher Grundlagenforschung – in den Hochschulen der 80er und 90er Jahre, mit dem Nebeneffekt, dass der einst führende Batteriehersteller Varta in diesen Jahren zerlegt wird. Ausstieg aus einem Zukunftsfeld, auch durch Fehleinschätzungen der damaligen Wissenschaftspolitik. Der diesjährige Chemie-Nobelpreis 2019 für die Lithium-Ionen-Batterie geht logischerweise an keinen deutschen Forscher.

Ein internationales Wettrennen

Nun muss sich Deutschland sputen, um im internationalen Wettrennen um die Stromspeicher von morgen nicht abgehängt zu werden. Batterien unterschiedlicher Bauart werden nicht nur für die Elektromobilität auf der Straße oder die mobile Kommunikationstechnik, sondern vor allem als Puffer für die erneuerbaren Energien benötigt. In den letzten Jahren hat das BMBF rund 500 Millionen Euro in den Aufbau neuer Strukturen für die Batterieforschung investiert. Am stärksten profitiert hat davon der Standort Ulm in Baden-Württemberg.

Und dann wurden einfachneue Bewertungskriterien nachgeschoben

Im vorigen Jahr reiften im BMBF die Pläne zum Aufbau einer Forschungsfabrik für neue Verfahren zur Produktion von Batteriezellen, die mit 500 Millionen Euro aus dem Forschungsetat finanziert wird. Als Träger wurde die Fraunhofer-Gesellschaft ausgewählt. Vorbild ist die vor einigen Jahren installierte „Forschungsfabrik Mikroelektronik“, die von Fraunhofer zusammen mit der Leibniz-Gemeinschaft realisiert wurde.

Das BMBF-Vorhaben läuft parallel zum Aufbau einer konventionellen Fabrik zur Produktion von Batteriezellen, die das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) aus seinem Etat mit einer Milliarde Euro bezuschusst. Den Antrag eines europäischen Industriekonsortiums hat Wirtschaftsminister Peter Altmaier am 9. Oktober bei der EU-Kommission in Brüssel zur Genehmigung für ein sogenanntes IPCEI (Important Project of Common European Interest) eingereicht. Hauptziel ist es hier, die Abhängigkeit der europäischen Autoindustrie von asiatischen Antriebsbatterien zu verringern.

An dem Interessensbekundungsverfahren des BMWi hatten sich mehr als 30 Unternehmen aus der gesamten Wertschöpfungskette „mit Vorschlägen hoher Qualität beworben“, teilte das Altmaier-Ministerium mit. „Sie kommen aus den Bereichen Rohstoffe und Exploration, Materialgewinnung und Recycling, Kathoden-, Anodenfertigung und mechanische Komponenten, Batteriezellproduktion, -integration und -anwendung.“ Die Standort-Entscheidung soll in den nächsten Wochen getroffen werden.

Datenvernetzte Fabriken

In der Forschungsfabrik des BMBF sollen dagegen neue Wege beschritten werden. Anfang des Jahres 2019 wurde auf einer Veranstaltung des Batterieforums das BMBF-„Dachkonzept Forschungsfabrik Batterie“ vorgestellt, das den „Aufbau und Betrieb einer weltweit einzigartigen Pipeline für Batterieinnovationen“ umriss. Dabei geht es vor allem um die drei Teilbereiche „ Materialkonzepte“, „Zellkonzepte“ – wie sie auch schon in der Forschungsproduktionsanlage am ZSW in Ulm „validiert“ wurden sowie um „Produktionskonzepte“, bei denen die deutschen Stärken im Bereich von „Industrie 4.0“, der datenvernetzten Fabrik, ausgespielt werden sollen.

Durch die Forschungsfabrik solle einerseits die „Innovationspipeline“ mit neuen Technologien kontinuierlich gefüllt werden. „Andererseits muss eine Demonstration von Forschungsergebnissen mit Blick auf die großskalige Massenproduktion ermöglicht werden“, heißt es in dem Basispapier des BMBF weiter, „um den Transfer in die Industrie zu erleichtern und Eintrittshürden für neue Hersteller (Massenfertigung) zu senken“. Es gelte, „eine Brücke von der prototypischen Demonstration zur Großserienfertigung zu schlagen“.

Noch im Januar wurde vom BMBF eine „Gründungskommission benannt, die sich aus acht Industrievertretern und den Fachexperten der Fraunhofer-Gesellschaft und den Ministerien für Forschung und Wirtschaft zusammensetzte. Ihr Auftrag: die besten Akteure aus der Batterieforschung zur Realisierung des Konzepts ausfindig zu machen. In einer ersten Auswertung der Bewerbung von acht angeschriebenen Standorten ergab sich unter den Forschungseinrichtungen – nach den Auswahlkriterien Kompetenz, Industrie, Finanzierung, Zeit – die Reihenfolge: 1. Ulm, 2. Salzgitter, 3. Augsburg, 4. Münster/Ibbenbühren. Die Industrievertreter konnten damit leben und teilten dies Außenstehenden auch unter der Hand mit. Ein Verhalten, das Karliczek heute nicht mehr billigen würde, wie sie bei ihrer Fehleranalyse zugab.

Ein Bergwerksschacht in Ibbenbühren

Sie selbst mischte sich nicht in das Auswahlverfahren ein, aber ihre zuständigen Beamten waren mit dem Ergebnis nicht zufrieden, wie sich aus den Verfahrensunterlagen ergibt. Neue Bewertungskriterien wurden nachgeschoben. Nun ging es auf einmal auch um die Kompetenz der beteiligten Forscher, den volkswirtschaftlichen Nutzen und um ökologische Kriterien, wie die des Recyclings der ausgedienten Batterien. Hier ergaben sich plötzlich aussichtsreiche Chancen in einem ausgedienten Bergwerksschacht in Ibbenbühren, wo Karliczek vor ihrem Politik-Einstieg ein Hotel leitete.

Mit den neuen Kriterien hatte sich die Rangfolge geändert: Nun galt Münster wegen seines universitären Batteriezentrums als der optimale Standort der Forschungsfabrik, vor Salzgitter und Ulm. Vor der Schlussrunde der Expertenkommission Ende Juni wurde der Ablauf immer turbulenter, die Industrievertreter erklärten sich für befangen, das BMBF übergab den Vorsitz aus Neutralitätserwägungen an das BMWi, traf dann aber die Entscheidung durch einen Unterabteilungsleiter dann doch selbst. In der Folge protestierten die zu kurz gekommenen süddeutschen Standorte Ulm und Augsburg, unter anderem durch Briefe ihrer Ministerpräsidenten an die Bundeskanzlerin. Die Batterie hatte Feuer gefangen – der Worst Case dieser Speichertechnik.

Die nächste Etappe der Affäre – die Rekonstruktion der Entscheidungsfindung – dauert bis heute an. Als die Open Knowledge Foundation über das Informationsfreiheitsgesetz beim BMBF Einsicht in die Akten beantragte, wurde ihr mitgeteilt, „dass in den Standortbewerbungen inkl. Anlagen (2.898 Seiten) personenbezogene Daten Dritter (§ 5 IFG) sowie Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse (§ 6 IFG) enthalten sein können“. Das erfordere die „Durchführung von Drittbeteiligungsverfahren“, um sensible Stellen zu schwärzen, was mit „derzeit ca. 50 Arbeitsstunden im höheren Dienst“ veranschlagt wurde. „Sofern die gesamte Akte (insgesamt 5.547 Seiten) begehrt wird“, werde die Nutzungsgebühr „voraussichtlich 500 Euro betragen“.

Ein „freihändige Entscheidung“

Anna Christmann von der Grünen-Bundestagsfraktion konnte als Mitglied des Forschungsausschusses die Akten, die ihr im September vom Ministerium nach längerer Wartezeit zur Verfügung gestellt wurden, immerhin kostenlos einsehen. „Die Akten zeigen eindeutig: Das Vergabeverfahren war eine Farce“, stellte die aus Stuttgart kommende Abgeordnete fest: „Es gab nachweislich keinen fairen und transparenten Wettbewerb, sondern eine freihändige Entscheidung des Ministeriums entgegen fachlicher Expertise.“ Vier Expertisen hätten sich „unmissverständlich für den Standort Ulm“ ausgesprochen, seien aber vom Ministerium nicht an die Kommission weitergeleitet worden. Christmann: „Argumente für den Standort Münster kommen einzig und allein vom Ministerium selbst und beruhen auf plötzlich hinzuerfundenen Kriterien.“

Vorige Woche war die Landesgruppe der CDU-Bundestagsabgeordneten aus Baden-Württemberg zu Gast im BMBF. Natürlich war die Batteriefabrik das Topthema. Wie verlautete, will Baden-Württemberg aus dem 500-Millionen Euro-Topf einen Anteil von 50 Millionen für ihr Zentrum im Ulm bekommen. Genaueres wird am 28. Oktober im Hause Karliczek verhandelt. Dann sitzen alle Beteiligten der Forschungsfabrik an einem Tisch, um die genaue Aufteilung der halben Milliarde zu vereinbaren.

Während die politische Treibjagd noch nicht ganz zu Ende ist (FDP-MdB Thomas Sattelberger: „Karliczek muss jetzt ihren Hut nehmen“), wird das finanzielle Fell des Bären nun verteilt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.