Wie Extinction Rebellion funktioniert: Revolution vom Reißbrett

Exctinction Rebellion liebt die große Inszenierung. Auf theoretischer Ebene hat die Bewegung allerdings nicht viel zu bieten.

Menschen kippen eimerweise Kunstblut auf eine Treppe

Die Bewegung produziert am liebsten drastische Bilder Foto: dpa

Das Blut der Kinder, der kollektive Suizid der Gesellschaft, die Aufopferungsbereitschaft der Bürger*innen: Es sind drastische Bilder, mit denen Extinction Rebellion arbeitet. Genauso drastisch und schockierend wie auch das übergeordnete Thema der Umweltaktivist*innen: das Aussterben der Menschheit, das kurz bevorstehe.

Dass Klimaaktivist*innen derart auf Emotionen setzen – genauer: auf Todesangst –, gab gab es bislang in Deutschland noch nicht. Ob es zum Erfolg führt, wird sich erst längerfristig zeigen, aber eines erreicht XR in jedem Fall: Aufmerksamkeit. Auf der Theorieebene hingegen hat die Bewegung nicht viel zu bieten.

Die verstörenden Bilder, die die Ortsgruppen von Extinction Rebellion bei ihren Aktionen mit literweise Kunstblut produzieren, oder indem sie sich bei sogenannten Die-ins wie Leichen auf den Boden legen, benutzen sie auch in ihren Reden. Und sie ziehen sich wie ein roter Faden durch das Buch, das die theoretische Grundlage für die Bewegung liefern soll: „Common Sense for the 21st Century“ von XR-Mitbegründer Roger Hallam.

Hallam ist gewissermaßen der Stratege von XR. Zwar betonen Aktivist*innen immer wieder, dass er weder der alleinige Gründer sei noch jede*r Rebell*in sein Buch gelesen habe. Aber wer die 79 Seiten liest, merkt, dass die Straßenblockaden und anderen Aktionen genau so ablaufen, wie er es entworfen hat.

Nach jeder Kurzblockade die „Wie geht’s mir?“-Runde

Wenig bescheiden hat Hallam den Titel für sein Buch gewählt: „Common Sense“, auf Deutsch: „gesunder Menschenverstand“, ist angelehnt an die gleichnamige Schrift Thomas Paines von 1776, die damals von rund einem Zehntel der Nordamerikaner*innen gelesen wurde. Ein gewisser Größenwahn scheint also schon durch den Buchdeckel.

Die jeweilige Landeshauptstadt müsse zum Ziel tagelanger Blockaden werden, schreibt Hallam. Nicht irgendeine kleinere Stadt, weil in der Hauptstadt nun mal Regierung sitze, die Eliten arbeiteten, die großen Medien ansässig seien. Siehe: Berlinblockade. Dass die Straßenblockaden dabei wirklich effizient seien, sei gar nicht so wichtig, schreibt er weiter – es gehe mehr um das Symbolische.

Respekt, Inklusion, Diversität sind immer nur Mittel zum Zweck, der da lautet: Wachstum

Auch dafür sind die XR-Blockaden bekannt. In Hamburg etwa blockieren sie selten länger als ein, zwei Ampelphasen am Stück. Nach jeder Kurzblockade sammeln sich die Aktivist*innen zur „Wie geht’s mir?“-Runde. Auch das empfiehlt Hallam. In den Aktionen solle eine spaßige Atmosphäre herrschen, schreibt er zudem. Bei der Berlinblockade tanzten Rebell*innen Choreografien zu „Stayin alive“ von den Bee Gees.

Enttäuscht werden muss, wer von „Common Sense“ eine tiefe theoretische oder gar wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Klimakrise oder sozialen Bewegungen erwartet. Das Buch ist, Hallams eigene Theorie ausgenommen, ziemlich theoriearm. Es kommt fast komplett ohne Referenzen auf andere Werke aus. Dennoch erhebt Hallam den Anspruch, eine sozialwissenschaftliche Analyse vorzulegen.

Als Aktionsform empfiehlt Hallam zivilen Ungehorsam

Die geht etwa so: Die Klima- und sozialen Bewegungen der letzten 30 Jahre haben nichts erreicht, die korrupten Regierungen aller Staaten verleugnen diese Wahrheit und steuern wissentlich und mit Vollspeed auf die Katastrophe zu – die Ausrottung der Menschheit. Um zu retten, was zu retten ist, skizziert Hallam drei Prinzipien, die alle für sich unterschrieben müssen, die bei XR mitmachen wollen: „Sag die Wahrheit!“, „Handelt jetzt!“ und „Politik neu beleben!“.

Als Aktionsform empfiehlt Hallam zivilen Ungehorsam, also die angekündigte, massenhafte Gesetzübertretung. Darüber ließe sich an der Stelle viel Inspirierendes sagen. Man könnte über Henry David Thoreau reden, der 1849 den Begriff prägte, indem er sich weigerte, in Massachusetts Steuern zu zahlen und damit die Sklaverei zu unterstützen. Nach seinem Gefängnisaufenthalt schrieb er den Essay „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“, auf den sich auch Martin Luther King und Mahatma Gandhi bezogen.

Man könnte über Rosa Parks sprechen, die 1955 ihren Platz im Bus nicht für einen Weißen räumen wollte, oder über die erste Sitzblockade im antiken Griechenland im Jahr 411 v.Chr. durch Frauen, die ein Ende des Krieges mit Sparta erzwingen wollten.

All das interessiert Hallam aber nicht. Vielleicht will er XR auch nicht in eine Reihe mit Rosa Parks oder Henry David Thoreau stellen, um sich nicht festzulegen. XR versteht sich explizit nicht als linke Bewegung. Denn ihr oberstes Ziel ist Wachstum. Diesem Ziel ordnet sie alles andere unter.

Angst ist selten eine gute Beraterin

Die Bewegung müsse divers sein, schreibt Hallam. Das schaffe Sympathien und bringe Zulauf. Alte und Kinder müssten inkludiert werden, das wirke gegen aggressives Verhalten und bringe Aufmerksamkeit – also Zulauf. Am Ende müssten sich möglichst viele verhaften lassen – die friedliche Entschlossenheit generiere Zulauf.

Bei allem, was er predigt, geht es niemals um die Sache an sich, nie um Respekt, Inklusion, Diversität. All das ist immer nur Mittel zum Zweck, der da lautet: Wachstum und Aufmerksamkeit für noch mehr Wachstum.

Klar: Eine Massenbewegung muss eine Masse auf die Straße bringen, sonst bringt sie gar nichts. Diesem Ziel hat sich XR verschrieben. Dafür hat sich die Bewegung von Argumenten weitgehend verabschiedet. Stattdessen setzt sie auf Hallams Design: das Verbreiten von Panik. Angst aber ist selten eine gute Beraterin.

Mit einem gesellschaftlichen Prozess, in dem kritisch denkende Menschen zusammen Pläne diskutieren und Strategien entwickeln, hat das nicht viel zu tun. Auch nicht mit der Annahme, dass mehrere Köpfe mit unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen schlauer sind als ein einzelner. Hallam will die Revolution vom Reißbrett. Unbestritten: Am Ende steht ein wichtiges Ziel. Aber der Weg da hin wirkt doch etwas kopflos.

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Jahrgang 1986, hat Kulturwissenschaften in Lüneburg und Buenos Aires studiert und wohnt auf St. Pauli. Schreibt meistens über Innenpolitik, soziale Bewegungen und Klimaproteste, Geflüchtete und Asylpolitik, Gender und Gentrification.

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