Das Risiko Schönheitsoperation

Jede dritte Frau, die sich nach einer Brustkrebs-OP und Bestrahlung die Brust plastisch aufbauen lässt, muss mit Komplikationen rechnen. „Wenn ich das vorher gewusst hätte, hätte ich das nie getan“, sagt das Bremer Opfer einer völlig misslungenen Operation – und klagt nun vor Gericht auf Schadenersatz

Wie eine Kriegsversehrte kommt Lisa Feder* heute daher. Die rechte Brust ist amputiert, die dicken Narben darüber schmerzen, und auch die linke Brust tut weh, seit dort ein Bremer Chirurg im Dezember 2000 ein Implantat einlegte – ohne Auftrag, in eine völlig unversehrte Brust. Lediglich den plastischen Aufbau der rechten Brust, die nach einer Krebsoperation neun Jahre zuvor teilamputiert war, hatte Lisa Feder doch gewollt. „Hätte ich nur auf diese Operation verzichtet“, beklagt die 44-Jährige heute auch diesen einst gewünschten Eingriff – den Krankenkassen für Krebspatientinnen in der Regel anstandslos zahlen.

„Viele Frauen gehen deshalb von einem geringen Risiko aus“, sagt Ursula Schielke. Die Bremerin wurde im Frühjahr mit dem Bundesverdienstkreuz dafür ausgezeichnet, dass sie sich seit Jahren für Frauen einsetzt, die durch Brustimplantate geschädigt wurden. „Überall wird der Eindruck erweckt, Implantate seien unbedenklich“, kritisiert sie. Das gelte für Krankenkassen und für Chirurgen – die den Brustaufbau heute vielfach direkt im Anschluss an eine Krebsoperation vornehmen. Routine. Während Fälle wie der von Lisa Feder in der Welt des chirurgisch Machbaren als unglückliche Einzelfälle gelten.

„Ich kenne viel zu viele missglückte Operationen. Vor Schönheits-Chirurgie kann ich nur warnen“, sagt dazu Ursula Schielke. Ob die Einlagen aus Silikon oder Muskelmaterial des eigenen Körpers stammten, unterscheidet sie kaum. Insbesondere an Brustkrebs erkrankte Frauen würden über die Risiken von Schönheitsoperationen in den seltensten Fällen ausreichend informiert. „Im vernarbten Brustgewebe oder unter Silikonkissen ist es viel schwieriger, neue Krebsgeschwüre zu erkennen“, sagt Schielke. Die regulären Früherkennungsmethoden wie Mammographie reichten dafür nicht aus. „Es ist paradox, dass gerade bei dieser Hochrisiko-Gruppe der bereits Krebsoperierten keine Kernspintomographie durchgeführt wird.“

Häufig höre sie zudem von wieder eingelegten Implantaten. Auch bei Lisa Feder wurde dasselbe Kissen zweimal eingebaut. „Davor warnen sogar die Hersteller“, sagt Schilke. Anders als Feder allerdings würden viele Frauen nach einem missglückten Eingriff lieber schweigen, als an die Öffentlichkeit zu gehen. „Die Opfer bekommen doch zu hören: Selber Schuld. Schönheitsoperation. Aber wo liegt denn die Schuld? Welche Frau kann das Vorgehen eines Chirurgen beurteilen? Man ist doch den Empfehlungen des Arztes ausgeliefert.“

Von alldem wusste Lisa Feder nichts, als sie sich nach langem Zögern für einen Brustaufbau entschied – der im Fiasko endete. Den zwei kosmetischen Brustoperationen im Bremer Diako-Krankenhaus folgten weitere Eingriffe in einer niedersächsischen Klinik. „Es tat ja alles so weh. Ich musste doch irgendwo hin.“ Den Glauben an den ersten Operateur hatte Feder da schon verloren. Gegen ihn klagt sie nun auf Schadenersatz. Das Angebot seiner Arzt- Haftpflicht, der Zürich Versicherung AG, gegen die Zahlung von 3.000 Euro auf die Klage zu verzichten, kann die Geschädigte nicht akzeptieren. Auch, weil sie die Ansicht nicht teilt, im Hause des Versicherten sei alles „lege artis“ zugegangen. Dass die erste ärztliche Aufklärung über die geplante OP falsch war, ist dokumentiert. Ebenso dass die letzte – auf Drängen der Patientin selbst – erst spät in der Nacht stattfand, nur wenige Stunden vor dem geplanten Eingriff. Eine Unterschrift für den Eingriff an zwei Brüsten gab sie nie.

Fünf Jahre ist das her. Bis heute sendet das unverlangt eingesetzte Implantat im linken Busen Stiche in den Körper. Auf der rechten Seite, wo eine entzündete, künstliche Brust ihr fünf Monate lang Schmerzen bereitete, bevor sie abgenommen wurde, klaffen großflächig Narben. Ebenso an Bauch und Oberschenkel. Dort hatten Mediziner Gewebe entnommen, um es auf die offene Brustwunde zu verpflanzen. Dabei wollte Feder nur eine vermeintlich einfache, sorgfältig bedachte Operation haben, die während des Urlaubs zwischen einem Stellenwechsel geschehen sollte.

Den Arm heben, etwas Schweres tragen oder die Schulter frei bewegen – das kann die gelernte Steuerfachgehilfin Feder immer noch nicht. Sie bringt sich mit einer Mini-Erwerbsunfähigkeitsrente durch. Begründete Schadenersatzansprüche erkannte die Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen in Hannover jedoch lediglich an, weil die Patientin an ihrer heilen linken Brust operiert worden war, ohne dass sie dafür ihr Einverständnis gegeben hatte. Für die Schmerzen und den zerschnittenen Körper nach einem missglückten Aufbau der rechten Brust soll die Operierte nichts bekommen, obwohl eine Krankenkassen-Expertise die Operation in mehreren Punkten bemängelt.

Feders Anwältin wirft dem Gutachten der Schlichtungsstelle unterdessen Einseitigkeit vor. Tatsächlich geht der Gutachter – den Feder persönlich nie gesehen hat – unangemessen weit in seiner Einschätzung, die Betroffene hätte die Operation in jedem Fall gewollt. Egal, welche Risiken. „Das zu lesen war wie ein Schlag ins Gesicht“, sagt die Versehrte. Blusen und Kleider trägt sie nur noch hoch geschlossen – auch weil ihr für gute Brustprothesen, die nicht verrutschen und zugleich die empfindlichen Narben schonen, das Geld fehlt. Aber die Schlichtungsstelle formulierte, dass es zwar „keine Anhaltspunkte dafür (gibt), dass über den möglichen Totalverlust gesprochen wurde. Damit sind aber Ansprüche noch nicht begründet.“ Schließlich habe Lisa Feder angegeben, „bedingt durch Trennung, Scheidung und aufgrund eines neuen Partners ... aus psychischen Gründen“ eine Rekonstruktion der Krebsbrust zu wünschen. Sie gehen deshalb davon aus, „dass ein etwaiger Aufklärungsmangel sich nicht ausgewirkt hat, weil mutmaßlich auch bei umfassender Information in die Behandlung eingewilligt worden wäre“. Ein Albtraum.

„Als ich nach der OP aufgewacht bin, war ich überall verbunden und links hat alles weh getan“, erinnert sich Feder mit Tränen in den blauen Augen. „Ich habe immer gefragt, was da gemacht worden war.“ Doch habe ihr niemand eine klare Antwort gegeben. Erst als ihre Mutter auf Station Alarm schlug, weil die linke Brust so schmerzte, „dass ich glaubte, ich würde platzen“, sei sie nach einem Tag notoperiert worden.

Da erfuhr sie, dass der Arzt auch die heile linke Brust aufgeschnitten und ein Kissen eingelegt hatte. „Um die Brüste anzugleichen“, habe er ihr gesagt. Gegenüber der Schlichtungsstelle äußerte er, er habe der Patientin einen zweiten späteren Eingriff ersparen wollen. Warum er in die vergleichsweise große Brust aber ein zusätzliches Kissen einlegte, erklärte er seiner Patientin nie. „Eine Verkleinerung wäre logischer gewesen“, sagt deren Anwältin. Ursula Schielke folgert nüchtern: „Zwei Implantate sollen oft den besseren optischen Effekt bringen.“ Der Operateur wollte zur taz über ein schwebendes Verfahren keine Angaben machen.

Seine ehemalige Patientin hat unterdessen eine weitere Hiobsbotschaft erhalten. Röntgenbilder weisen inzwischen Ablagerungen im Drüsengewebe nach, bei denen es sich „wahrscheinlich um freies Silikon handelt“ – so ein ärztliches Gutachten von vergangenem Jahr. Auch die Rheumawerte in Lisa Feders Blut sind deutlich gestiegen – Erscheinungen, über die viele Silikon-implantierte Frauen klagen. Doch Ärzte müssen nicht für das Produkt haften – sondern allenfalls für einen falschen Umgang damit. Die schmerzhaften Komplikationen, die Lisa Feder fünf Monate lang an der rechten Brust erlebte, bis das Implantat unter der viel zu dünnen Haut immer deutlicher sichtbar wurde, gelten als ihr eigenes Risiko.

Dass die Gefahr von ernsthaften Komplikationen in ihrem Fall – als ehemals bestrahlter Brustkrebspatientin – bei 30 Prozent liegt, erfuhr Feder erst durch die Stellungnahme der Schlichtungsstelle. Ebenso, dass es „nach vorausgegangener Karzinomtherapie praktisch keine evidenzbasierten Daten zum optimalen Vorgehen“ bei einem Brustaufbau gibt. „Das hat mir vorher nie jemand gesagt“, will Feder, dass solche Informationen endlich bekannt werden. Sie sagt: Hätte sie das gewusst, hätte sie auch auf die nächste Brustoperation in Hildesheim verzichtet. Mit Eigengewebe sollte der zuvor missglückte Brustaufbau gerettet werden. Das bescherte ihr eine große Narbe am Bauch – aus dem das so genannte „Eigengewebe“ gewonnen wurde – und später Narben am Oberschenkel und einen bis auf die Brust gedehnten Rückenmuskel.

„Man darf diesen letzten Eingriff nicht als eine weitere Schönheits-Operation missverstehen“, erklärt Ursula Schielke. „In solchen verzweifelten Situationen wollen Betroffene alles nur irgendwie ungeschehen machen. Es soll wieder so sein wie vorher.“ Lisa Feders Körper lehnte diesen Versuch ab. Die bestrahlte Haut und die Adern darunter waren schon viel zu dünn.

Mit ihrer Anwältin geht die Geschädigte jetzt aufs Ganze. „3.000 Euro für den Verzicht auf eine Klage? Bei allem, was vielleicht noch vor mir liegt?“ Das erscheint ihr zu wenig. Schon um beruflich eine neue Existenz aufzubauen, die ihrer Behinderung gerecht wird, brauche sie mehr Geld. Auch seien weitere Operationen zu befürchten, wenn beispielsweise das Implantat weiter Schwierigkeiten bereite. Ihre Anwältin wies die Gegenseite darauf hin, dass zwei verlorene Finger schon mal 20.000 Euro Schadenersatz brachten. Doch für Feder geht es nicht nur um Geld. Sie hat Vertrauen verloren, das sie notfalls vor Gericht zurückgewinnen will. Sie will hören, dass sie an ihrem Schaden nicht auch noch selbst Schuld hat. Hatte sie doch für den Brustaufbau den selben Arzt gewählt, der ihr Jahre zuvor den Tumor wegoperiert hatte. Ihn verklagt sie jetzt. Eva Rhode

*Name von der Red. geändert