SPD
vor
Schicksalstag

Hannover war die SPD: Hier hatte die Partei erstmals politische Macht, hier ist sie gegründet worden – und hier hat sie ihre größten Schurken hervorgebracht und ihre traurigsten Helden. Jetzt sucht die Stadt eine neue Verwaltungsspitze und es ist nicht unwahrscheinlich, dass erstmals kein Sozialdemokrat ins Amt des Oberbürgermeisters gewählt wird 43, 44+45

Und dann kannst du mich von hinten sehen: Stefan Schostok (SPD), heutiger Ex-OB der Stadt Hannover, verlässt eine Pressekonferenz zur Affäre um die Bezahlung von Mitarbeitern Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Von Benno Schirrmeister

Hannover wird es überleben. Aber die SPD? Am kommenden Sonntag, den 27. Oktober, steht der erste Wahlgang fürs Amt des Oberbürgermeisters von Hannover an. Und es ist unsicher, ob die SPD gewinnen kann, ja sogar, ob sie in die Stichwahl kommt. Und das in Hannover: Katastrophe, Tod, Untergang.

Denn es gibt keine Stadt in Deutschland, mit der das Schicksal der Partei enger verbunden wäre, als mit Hannover. Diese Großstadt war die erste überhaupt, die einen Sozialdemokraten zum Oberbürgermeister hatte, Robert Leinert, den Armenhäusler und Maler. Ein Aufsteiger, dem es im November 1918 gelingt, Besitzende und Arbeiter- und Soldatenräte zu einem Konsens zu bringen.

Sechs Jahre später haben ihn dann die widerwärtigen Bürgerlichen und die Kackkommunisten aus dem Amt gedemütigt, indem sie ihm nur noch die behandschuhten Hände zum Gruße reichten: Glacé die Kaufmannskaste, Arbeitshandschuhe die Genoss*innen. 1924 war das. Die Nazis haben Leinert dann später auch noch die Pension gestrichen.

Hier, in Hannover, ist die SPD 1946 neu gegründet worden, aus Trümmern, von Kurt Schumacher, einem Versehrten, der das KZ mit Not überlebt hatte, und von Erich Ollenhauer, der aus dem Exil die Parteistrukturen bewahrt hatte. Hier hat die SPD Größe geatmet. Selbst im Ruhrgebiet haben die Fliehkräfte der SPD nie heftiger gegeneinander gewirkt als hier, in Hannover. Nirgends sind die Widersprüche und Bosheiten, die in einer Partei des linken Spektrums möglich sind, offener zutage getreten: Ihre Superschurken wohnten in Hannover genauso wie ihre traurigen Helden, ihre aschgrauen Langweiler, ihre Flitzpiepen: die Noskes und Schröders, die Leinerts und Schumachers, die Hansmanns, Weils – und zuletzt eben Stefan Schostok.

Der hatte laut taz schon auf seinen Wahlplakaten ausgesehen, als wisse er nicht, wohin mit sich. Und infolge seiner Orientierungs-, Sorg- und Ahnungslosigkeit hat er einigen besonders ergebenen Verwaltungsbeamten so selbstlos wie illegal Zulagen in Höhe von mehreren 10.000 Euro monatlich bewilligt. Ein Skandal von unfassbarer Blödheit. Aber vielleicht muss das herauskommen, wenn man jemanden zum OB macht, der im Kinderkarneval zu lange einen Elefantenkopf getragen hat.

Als Helden stehen übrigens der aufrechte Kurt Schumacher und der beeindruckende Robert Leinert in der Reihe, die beide allmählich in Vergessenheit geraten, na klar, die alte Tante ist ja auch bald 130. Mitunter löscht die Demenz die Glücksmomente zuerst.

Dass dies hier eine reine Männergeschichte ist, ist sehr wahrscheinlich Teil des Problems: Sozialdemokratie bedeutet ja prinzipiell, tolle Ideen zu haben, wie den Sozialismus oder die Gleichberechtigung, und dann Mittel und Wege zu finden, sie nicht umzusetzen. Also, wenigstens nicht in einer Schärfe, die am Ende noch das Kapital verschreckt. Denn eigentlich will man doch mit denen spielen. Je länger, je lieber. Was dazu führt, dass man deren klassistische Verhaltens- und Denkweisen verinnerlicht und ihre staatserhaltende Frömmigkeit annimmt.

Früher war es Sozen wichtig, die soziale Stellung und das Abi, wenn überhaupt, auf dem zweiten Bildungsweg erkämpft zu haben, stets gegen Widerstände: Willy Weber, Tapezierersohn, Vollwaise mit zwei, Bäckerlehrling, erster frei gewählter Oberbürgermeister nach dem Zweiten Weltkrieg. August Holweg, sein Nachfolger, ein Dreher aus Linden, im Untergrund ab 1933, Betriebsrat. Von Rekordmann Herbert Schmalstieg, 35 Jahre im Amt, wusste jeder, dass er als Sparkassen-Stift angefangen hatte und Sohn einer Putzfrau war.

Heute fehlen solche Angaben. Manchmal mit Absicht. Manchmal, weil man eben einfach Gymnasiast ist, Akademikerspross, im Studium kurz in den Marx-Lesekreis reingeschnuppert hat und die SPD eine gute Wahl war, wenn man Karriere vorhatte.

Es gibt keine Stadt in Deutschland, mit der das Schicksal der SPD enger verbunden wäre

Man versteht sich nicht länger als Teil der Arbeiter*innenbewegung und des Klassenkampfes, was konkret bedeutet: Man hat die Seite gewechselt.

Sehr sozialdemokratisch in dieser Hinsicht wirkt da der aktuelle OB-Kandidat Marc Hansmann: Der Stadtwerke-Boss, Ex-Kämmerer, Dr. phil und Honorarprofessor verrät lebenslauftechnisch gerade mal, dass er aus Georgsmarienhütte stammt, was Kenner Niedersachsens als Industriestandort abgespeichert haben. Und ja, aber da muss man schon lange suchen, irgendwo findet sich auch ein Hinweis, dass seine Eltern nicht reich genug gewesen seien, die Studiengebühren in England zu übernehmen.

Das wird alles überstrahlt durch den Glanz der anderen Stationen, die Karriere bei Privatisierungs-Berater Kienbaum und im Bundesfinanzministerium, wo er die Schuldenbremse vorbereiten half. Wissenschaftlich hat er in Aufsätzen – gestützt auf die fatale Bundesbank und Thilo Sarrazin – die These vertreten, es sei „ein Verdienst“ der rot-grünen Koalition gewesen, „Strukturprobleme“ durch Riesters Teilprivatisierung der Altersvorsorge „und die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe (Hartz-IV) in Angriff genommen zu haben“, sprich, den Rückbau aller sozialdemokratischen Errungenschaften. Auch die damalige Dämpfung des Anstiegs der Rentenausgaben lobt er. Vor politischem Gestaltungswillen und Sendungsbewusstsein warnt er, weil „Fachpolitiker den Haushalt als Mittel zum Zweck“ sehen.

Vielleicht ist die SPD schon tot. Ihr eigener Wille, das, was in ihren Programmen steht, ist längst nicht mehr, was sie bewegt. Die guten Ideen sind weg: eine Zombiepartei. Für die ist es egal, ob ihr Repräsentant in Hannover verliert. Für die Stadt schiene das nicht die schlechteste Option. Der Wahltag so kurz vor Halloween spricht hingegen für die Wiederkehr der SPD.