die woche in berlin
: die woche in berlin

In Berlin demonstrieren Menschen gegen den völkerrechtswidrigen Einmarsch der türkischen Truppen in Syrien, in Potsdam signalisieren SPD, CDU und Grüne Einigkeit in der schwierigen Frage der Energiepolitik, und es gibt endlich neue Erkenntnisse zum schrecklichen SUV-Unfall mit vier Toten

Der Wolfsgruß als bewusste Provokation

Demonstrationen gegen Ein­marsch der Türkei in Nordsyrien

Seitdem die US-Truppen in Rojava, Nordsyrien, abgezogen sind, gehen in deutschen Städten Menschen auf die Straße. Sie protestieren gegen den völkerrechtswidrigen Einmarsch der Türkei in Rojava, gegen Menschenrechtsverletzungen, und gegen Massaker an der Zivilbevölkerung. Sie fordern einen Exportstopp für Waffen in die Türkei, diplomatischen, wirtschaftlichen und politischen Druck, um diesen Krieg zu beenden. Die Menschen, die auf die Straße gehen, haben die verschiedensten kulturellen Hintergründe. Nicht alle, die demonstrieren, sind Kurd*innen.

Die Demonstrant*innen fordern die Einhaltung von Menschen- und Völkerrecht. Sie machen von Artikel 20 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte Gebrauch, das jedem Menschen zustehende Recht, sich zu friedlichen Zwecken zu versammeln. Das Demonstrationsrecht, als Bestandteil der Versammlungsfreiheit, ist essenziell für jede Demokratie.

Meistens demonstrieren sie friedlich. Leider nicht immer. In Herne zum Beispiel, Nordrhein-Westfalen, kam es zu Ausschreitungen. Dabei wurden ein türkisches Café und ein Kiosk angegriffen. In Bottrop kam es zu Ausschreitungen, acht Verletzte.

Auch in Berlin gab es Ausschreitungen. In Kreuzberg kam es auf zwei Demonstrationen zu Prügeleien, nachdem Passanten den Wolfsgruß, das Erkennungszeichen der faschistischen MHP und der Grauen Wölfe, gezeigt hatten. Ein Wolfsgruß ist eine Provokation. Er steht für das Überlegenheitsdenken von türkischen Faschist*innen, für Nationalismus, für eine Politik der Auslöschung. Der Wolfsgruß ist ein Zeichen von Gewalt.

Auf den Demonstrationen sind auch Menschen, die oder deren Familienangehörige Opfer geworden sind von türkischem Faschismus, deren Verwandte sich gerade in Rojava befinden und bombardiert werden. Dass bei diesen Menschen der Wolfsgruß Wut auslöst, ist legitim.

Ausschreitungen, Handgreiflichkeiten hingegen sind nicht legitim. Und sie schaden dem Anliegen. Sie lenken den öffentlichen Blick von dem, wofür eigentlich demonstriert wird (für ein Ende dieses brutalen Angriffskrieges), darauf, wie demonstriert wird (mit Ausschreitungen). Und sie geben dem alten deutschen Narrativ Futter, die Kurd*innen wären militant und kriminell. Die kurdische Gemeinde Deutschland hat jüngst in einer Pressemitteilung gefordert: „Wer für den Frieden demonstriert, muss friedlich bleiben.“

Nicht legitim sind die Provokationen von türkischen Nationalisten am Straßenrand, die Beleidigungen (in türkischer Sprache) und der Wolfsgruß, ein klar rechtsextremes Zeichen. Auch darauf sollte die Polizei vorbereitet sein, und deeskalierende Maßnahmen ergreifen. Nicht zuletzt sollte die Politik darauf Antworten finden und friedliche Demonstrationen, im Sinne der Versammlungsfreiheit, nicht aber faschistische Hetze dulden. Selbst wenn die Demonstrationen wegen der gerade ausgerufenen Waffenruhe erst einmal aufhören sollten. Der Konflikt ist damit lange nicht vorbei. Ronya Othmann

Kenia kann in Potsdam kommen

SPD, CDU und Grüne einigen sich beim schwierigsten Thema

Sie werden noch ein paarmal tagen müssen, das eine oder andere besprechen und sich auch noch auf ein Vorwort einigen müssen, das in Koalitionsverträgen immer unter „Präambel“ läuft. Aber im Kern haben SPD, CDU und Grüne am vergangenen Mittwoch klargemacht, dass in Brandenburg künftig unter dem Label „Kenia“ ein rot-schwarz-grünes Bündnis regieren kann.

Um Energiepolitik und vor allem den Kohleausstieg ging es in jener Verhandlungsrunde, und bei diesem Thema lagen vor der Landtagswahl am 1. September gerade die Grünen und die SPD um Ministerpräsident Dietmar Woidke gefühlt Lichtjahre auseinander. Jetzt heißt es: keine neuen Tagebaue, keine Erweiterung von bestehenden und auch keine Umsiedlung mehr von Dörfern.

„Wir haben uns zusammengerauft und stehen gut gelaunt hier“, sagte Grünen-Fraktionschefin Ursula Nonnemacher nach der Einigung. Schon nächste Woche soll ein Koalitionsvertrag vorliegen, über den CDU und Grüne basisnah per Befragung oder Urabstimmung alle Mitglieder entscheiden lassen wollen. Bei der SPD reicht es, wenn ein Parteitag zustimmt.

Dieses Zusammenraufen scheint der zentrale Punkt zu sein, der die Verhandlungen in Potsdam von anderen parallelen Verhandlungen unterscheidet, wo ein Aufeinanderzugehen lange gar nicht erkennbar war, nämlich beim koalitionsinternen Streit über den Mietendeckel in Berlin und auf europäischer Ebene beim Brexit.

Neben viel Pragmatismus war es mutmaßlich auch die Furcht vor Neuwahlen, die in Brandenburg die drei Parteien kompromissbereiter machte. Laut Landesverfassung müsste nämlich neu gewählt werden, wenn das Parlament nicht bis Weihnachten einen neuen Ministerpräsidenten bestimmt, der in diesem Fall, in Person von Woidke, der alte sein wird. Das ist zwar noch über zwei Monate hin, doch ohne die jetzige Einigung hätte es mit all den Parteitagen und Urabstimmungen knapp werden können.

Neuwahlen aber wären beste Wahlkampfmunition für die am 1. September ohnehin schon auf 23,5 Prozent angewachsene Brandenburger AfD gewesen. Tenor: Seht her, die Altparteien kriegen es nicht hin.

Dass SPD, CDU und Grüne in Brandenburg unter diesem Erwartungsdruck einen Weg gefunden haben, der weder eigene Ziele aus dem Blick lässt noch die jeweiligen Partner überfordert, ist ein erster Leistungstest gewesen. Ihn so sicher zu bestehen lässt darauf hoffen, dass die drei auch in den nächsten fünf Jahren in einer fairen Weise miteinander umgehen werden, wovon die benachbarte rot-rot-grüne Koalition derzeit gerade nur träumen kann. Stefan Alberti

Der Fall ist noch längst nicht aufgeklärt

Der SUV-Unfall soll auf Krampf- anfall zurückzuführen sein

Es war ein Krampf. Sechs Wochen nach dem schweren Unfall an der Invalidenstraße, ist der Fall aufgeklärt. Das zumindest war der Tenor der Berichterstattung, nachdem die Generalstaatsanwaltschaft am Mittwoch per Twitter bekannt gegeben hatte, dass nach derzeitigem Ermittlungsstand der Crash, bei dem es vier Todesopfer gab, „auf einen Krampfanfall zurückzuführen“ sein soll. Kein technischer Defekt am Wagen. Kein krasser Fehler des Fahrers. Sondern einfach nur eine fatale körperliche Reaktion? Schicksal also?

So einfach kann man das sehen – vor allem wenn man die heftige Kritik an den übermotorisierten SUV abwürgen will. Tatsächlich ist der Hergang des Unfalls alles andere als klar. Darauf weist nicht nur die Staatsanwaltschaft hin: „Die Ermittlungen dauern an.“

Da ist zum einen die Frage, ob der Fahrer sich überhaupt hinters Steuer hätte setzen dürfen. Ob ihm, da er regelmäßig Medikamente einnehmen musste, nicht hätte bewusst sein müssen, welche Gefahr wegen seines Gesundheitszustands bestand? Und ob die Regelung, wonach auch Epileptiker in bestimmten Fällen Auto fahren dürfen, nicht dringend überdacht werden muss.

Ungeklärt ist auch der genaue Unfallverlauf. Die vielleicht entscheidende Frage ist: Wann genau setzte der Krampf ein, sodass der Fahrer seinen Fuß nicht mehr vom Gaspedal bekam?

Im einzig bekannten Video von dem Unfall sieht man folgende Situation: Die Fußgängerampel hinter der Kreuzung mit der Ackerstraße zeigte Rot für Fahrzeuge. Auf der Invalidenstraße warten daher mehrere Autos, als der Porsche von hinten auf der Gegenfahrbahn Richtung Ampel rast. Zuvor soll das Unfallfahrzeug laut Zeugenaussagen weiter hinten an der Invalidenstraße gestanden haben.

Hätte der Fahrer den Krampf erlitten, während er sich ordnungsgemäß in den Stau vor der Ampel eingereiht hätte, wäre er nach wenigen Metern auf ein vor ihm stehendes Fahrzeug gekracht – mit deutlich geringerer Geschwindigkeit. Ortskundige Anwohner, die immer noch an der mit Trauerblumen zur Gedenkstätte umfunktionierte Kreuzungsecke diskutieren, vermuten einen anderen Ablauf: Hat der Porschefahrer versucht, sich am Stau vorbeizumogeln, um vor der Ampel in die Ackerstraße abzubiegen? Hat er sich beeilen müssen, weil die Ampel auf Grün umsprang und wieder Gegenverkehr anrückte? Hat er dabei den Krampf erlitten und deshalb die Kurve nicht gekriegt? Stress gilt als ein Faktor, der epileptische Anfälle verursachen kann.

Die Beantwortung all dieser Fragen ist wichtig. Denn es geht keineswegs nur um Schuld und Sühne. Sondern um die Frage, welche Konsequenzen man aus dem Unfallgeschehen ziehen muss.

Der Senat hat bereits angekündigt, bis Jahresende eine Tempo-30-Zone und Fahrradstreifen einzurichten. Beides ist absolut zu begrüßen. Doch beides hätte nach derzeitigem Erkenntnisstand den Unfall nicht verhindern können.

Der Porsche Macan, auch das haben die Ermittler jetzt berechnet, ist mit 104 Stundenkilometern gegen die Ampel und die dort stehenden Fußgänger gekracht. Nicht weil ein Tempo-30-Schild fehlt, sondern weil er es kann. Dank der wahnsinnigen Beschleunigung brauchte er genau 7 Sekunden – gut 100 Meter – um aus dem Stand auf dieses mörderische Tempo zu kommen.

Als im Frühjahr eine Boeing-Maschine wegen technischer Mängel abstürzte, wurde der Typ vom Markt genommen – aus Sicherheitsgründen. Aber, werden viele sagen, das ist ja ganz was anderes. Ist es das wirklich? Gereon Asmuth

Schicksal also? So einfach kann man das sehen, vor allem wenn man die heftige Kritik an den übermoto­risierten SUV abwürgen will

Gereon Asmuthüber den Stand der Ermittlungen zu dem tödlichen SUV-Unfall