Forever Young

Das Gesellschaftsressort tazzwei feiert heute seinen 16. Geburtstag. Aus diesem Anlass: Acht Erinnerungen an ein manchmal großartiges Alter

„Als ich noch jung und hübsch war, frisch und knackig aussah, niemals meinen Körper schonte und bei meinen Eltern wohnte“ … (Rio Reiser) Fotos: privat, Montage: taz

„Dafür lag ich nicht 13 Tage im Glaskasten“

„Es ist nicht immer gut, anders zu sein“, raunte mir ein Mitschüler, nennen wir ihn Benedikt, zu. Wir waren in der 10. Klasse und ziemlich unterschiedlich, obwohl mein Vater und seine Mutter das Gleiche arbeiteten. Benedikt war auf dem Peak seiner Pubertät und bereits stockkonservativ, ich die Kleinstadtkommunistin, über die man sich lustig machte. Dick und Kanak_in war ich auch noch. Ich musterte Benedikts schweinefleischrosa Gesicht, das zwischen seinen gelben Haaren und dem weißen Polohemd zum Draufspucken einlud.

Ich hätte mich natürlich einschüchtern lassen können von diesem Typen, der schon mit 16 wusste, dass er Soldat werden will. Aber dafür lag ich als Säugling nicht 13 Tage im Glaskasten. Ich ging meinen Weg, egal, was die anderen sagten, das fühlt sich 12 Jahre später befriedigender an als jeder Schlag in seine Fresse. Hengameh Yaghoobifarah

„Dr. Sommer ermutigte zum Verdrängen“

Mit sechzehn galten mangels Alternative noch immer die guten, alten Ratschläge von Dr. Sommer aus der Zeitschrift Bravo, wenn es um Sexualität ging. Und mit sechzehn ist Sexualität eine mitunter drängende Frage. In den achtziger Jahren aber vertröstete Dr. Sommer und ermutigte eher zum Verdrängen, wenn es um Homosexualität ging: Du begehrst das eigene Geschlecht? Sammel­umkleiden machen dich nervös? Keine Sorge, es ist wahrscheinlich nur eine Phase! Das war die Pille Hoffnung, die einem damals verabreicht wurde.

Nun bin ich 46 Jahre alt und warte noch immer auf das Abklingen dieser „Phase“. Und nach dieser Ratschlagserfahrung bin ich zu der Erkenntnis gelangt, dass ich selbst keine Ratschläge zu erteilen habe, sondern eher auf Beratung durch die Jugend hoffe. Eine Sache aber: Benutzt Zahnseide. Martin Reichert

„Erkenntnisse wie heute auf Facebook“

Meinen Freund hatte ein progressiver Deutschlehrer mit Beatnikliteratur bekannt gemacht und damit auch mich. Besonders begeisterte uns Jack Kerouacs Roman „­Unterwegs“.

Es war schönes Wetter und wir trampten sofort los, am Straßenrand schrieben wir spontane Gedanken ins Buch. Ich schätze: so Erkenntnisse wie man sie heute massenhaft auch auf Facebook findet. Wir kamen bis Osterholz-Scharmbeck, wo zu unserer Überraschung die Disko schon auf hatte.

Als wir reingingen befanden sich nur drei Jungs dort, die sofort gegen uns Bremer in Stellung gingen – und uns schließlich ­rausschmissen, genauer gesagt: Wir flüchteten, da handgreiflich ungeschult, nach draußen. Die Sonne verblasste die Farben der Kreisstadt und unser „Unterwegs“ endete dort erst mal. Helmut Höge

„Ein Kajalstift, meine Waffe“

Man kann sowjetisch geprägte Eltern auf viele Art und Weisen enttäuschen, ich tat es mit einem schwarzen Kajalstift. Sechzehn zu sein hieß für mich, meine eh schon ausgeprägten Augenringe mit schwarzem Make-up zu betonen. Für meine Mutter war es die größte Krise, war ich eine optische Enttäuschung. Sie lebte in ständiger Angst, ich könne sie vor ihren deutschen Kolleg*innen blamieren. Denn ich, die Enttäuschung, hieße: sie, die Versagerin.

Es muss mein Geburtstag gewesen sein, da schenkte sie mir einen Gutschein. Schminkkurs im Drogeriemarkt Müller. Im Pausenraum der Mitarbeiter*innen saß ich zwischen Frauen Anfang fünfzig und lernte, mich so zu schminken, dass es nicht auffiel. Zu Hause hielt meine Mutter das Ergebnis fotografisch fest. Mit sechzehn kann ein Kajalstift eine Waffe sein, die dich vor der Außenwelt schützt. Meine Mutter wollte sie mir nehmen. Erica Zingher

„Bis heute hat mich Russland fest im Griff“

Mit sechzehn Jahren machte ich meine Eltern ratlos. Das lag nicht nur an meinen chronisch grenzwertigen Schulleistungen, sondern auch daran, dass ich mein Herz verloren hatte – dummerweise an der rumänischen Schwarzmeerküste. Die Entscheidung, zu Weihnachten nach Bukarest zu fliegen und die christlichen Feierlichkeiten zu boykottieren, hätte fast zum Abbruch der Familienbande geführt.

Die Liebesgeschichte, die sich in Ermangelung jeglicher Perspektive einige Jahre später erledigte, hatte langfristige Folgen. Denn sie war wohl auch ein Grund für meinen erwachenden Expansionsdrang nach Osten. Will heißen: Nach dem Abitur schrieb ich mich für „S(K)lavistik“ an der Universität ein. Bis heute haben mich Russland und Umgebung fest im Griff – wie das eben so ist, wenn das Urteil „lebenslänglich“ lautet. Schön ist das manchmal nicht! Barbara Oertel

„Meine Kleidergröße mit 16: verwirrend“

Als 16-Jährige bist du kein Kind, aber auch kein Erwachsener. Für ein Kind gibt es klare Regeln, für Erwachsene auch. Aber für die Zwischenzeit? Meine Mutter blickte mich komisch an, wenn ich mich wie eine Erwachsene und noch komischer, wenn ich mich wie ein Kind verhielt. Das merkte ich am stärksten beim Einkaufen: Dort gab es eine Kinder­abteilung, aber auch eine für Erwachsene. Wo sollte ich hingehen?

Meine Mutter begleitete mich häufig, denn sie kannte manche Verkäufer. Das war der beste Weg, um an besondere Kleidung zu kommen. Sie wurden von den Verkäufern im Keller versteckt und nur wenn Stammkundinnen kamen herausgeholt. „Welche Größe hat dein Mädchen?“, flüsterte die Verkäuferin einmal zu meiner Mutter. Sie antwortete auf Arabisch: „Sie ist 16. Größe: ‚mohayyer‘.“ Auf Deutsch: „verwirrend“. Heba Alkadri

„Ich bin oft ausgerastet in der Schule“

Als ich sechzehn war. bin ich entweder noch zur Sonderschule gegangen oder ich war schon in der Behindertenwerkstatt. Mir gefiel das gar nicht. In der Schule bin ich oft ausgerastet. Das sind auch mal Stühle geflogen. Ich wollte nicht, dass andere bestimmen, was ich machen soll. Ich hatte auch einen Familienhelfer, der mich an einigen Tagen von der Schule abgeholt hat. Dann haben wir Ausflüge gemacht oder andere Sachen unternommen. Irgendwann hat das Amt gesagt, dass dafür kein Geld mehr da ist. Das passiert mir bis heute immer wieder.

Ich hätte es gut gefunden, wenn es damals schon Theaterprojekte oder Zirkus gegeben hätte. Das hätte ich gerne gemacht. Jetzt sagen immer viele, dass das Therapie ist, aber das stimmt nicht. Das ist wie Arbeit. Und die hätte ich mir selber ausgesucht. Das ist viel besser. Christian Specht (Protokoll: krt)

„Das Beste an mir war mein Autismus“

Bis ich zwölf war, sprach ich mit den Tieren, sie waren immer für mich da. Dann antworteten sie mir plötzlich nicht mehr, das Unglück kam über mich, das Ende der Kindheit – aber das wusste ich damals natürlich nicht. Ausgerechnet im Orwell-Jahr 1984 wurde ich sechzehn und kam in die elfte Klasse. Sonst erinnere ich mich an nichts, außer an diese irrsinnigen, wunderschönen Lachkrämpfe und an A., aber das gehört nicht hierher, sondern uns. Ich möchte sagen, das Beste an mir damals war mein Autismus, der mich davor schützte, allzu sehr von der Abgefucktheit, der Brutalität, dem Beckmessertum und dem Opportunismus der Erwachsenenwelt angesteckt zu werden. Manche sagen, ich hätte mir diesen Autismus bis heute erhalten. Vielleicht deswegen, obwohl ich jetzt dermaßen unvorstellbar alt geworden bin, gefällt es mir bei tazzwei so gut – Happy Birthday! Ambros Waibel