Steine im Kopf

Im Krankenhausmuseum in Bremen fällt die Ausstellung „Madness“ ein wenig aus der Reihe. Auch wegen Christian Fogarolli, der sich als einziger ausdrücklich mit der Geschichte der Psychiatrie befasst

Irgendwo zwischen Fotografie und Installation: Christian Fogarolli, „In Pink“ Foto: Christian Fogarolli

Von Jan-Paul Koopmann

So richtige Irre sind die gar nicht – keine Sorge. Es stehen keine Diagnosen in den Lebensläufen und die Bilder wurden diesmal auch nicht wieder mit Schuhcreme auf die Zellenwände abgelegener Verwahranstalten gekritzelt. Das mit dem Wahnsinn und der Kunst fällt doch etwas komplizierter aus, auch wenn die Ausstellung in der Bremer Kulturambulanz so schön schlicht „Madness“ heißt. Und kompliziert ist in diesem Fall gut, weil das Klischee vom verrückten Genie so doof ist und weil nicht wenige der andernorts immer wieder beschworenen Grenzgänge zwischen Kreativität und Irrsinn ja doch eher penibel kalkuliert und abgedroschen ausfallen.

Also, hier gibt es keine Art brut zu sehen, keine Selbstoffenbarungen, sondern wohldefinierte Kunstmalerei, die von den Rändern zwar, aber doch entschieden auch auf den Markt drängt. Es wäre ja auch ein Unding, würde sich das seit ziemlich genau 30 Jahren der Aufklärung verpflichtete Museum bei der Auswahl seiner Künstler*innen auf klinische Diagnosen verlassen.

Statt also zu beurteilen, wer hier wie gesund ist, verlässt sich „Madness“-Kurator Uwe Goldenstein rein aufs ästhetische Erleben – auf ein Gefühl also, das sich beim Betrachten der Arbeiten von immerhin sieben internationalen Künstler*innen auf bemerkenswert ähnliche Weise einstellt.

Dass Verrückte schlichtweg einen Stein im Hirn hätten, glaubte man früher ja wirklich. Und dass man den herausschneiden könne

Zentral für die Ausstellung ist Christian Fogarolli, der sich hier als einziger ausdrücklich mit der Psychiatriegeschichte befasst. Der italienische Künstler befasst sich unter anderem mit der Auflösung der geschlossenen Anstalten von Triest, was ab den 70er-Jahren Vorreiter eben der Reformbewegung war, die sich auch in Bremen so wirkmächtig niedergeschlagen hat – und der nicht zuletzt auch das Krankenhausmuseum seine Existenz verdankt.

Irgendwo zwischen Fotografie und Installation rekonstruiert Fogarolli mit seiner Serie „Stone of Madness“ historische Vorstellungen krankhafter Psyche. Leuchtend lila angestrahlte Gesteinsbrocken kleben auf schwarz-weißen Porträtfotos: mal auf der Stirn, mal von schräg hinten am Hirn. Eigens für diese Fremdkörper sind kreisrunde Löcher in die Abdeckscheiben geschnitten, was den Arbeiten nicht nur eine bemerkenswerte Tiefe verleiht, sondern ihnen auch eine sonderbare Präzision einschreibt: Diese Anordnung verweist einerseits abstrakt auf die sinnlosen Versuche, das Seelenleben zu vermessen, und erinnert andererseits aber auch direkt an den OP-Tisch. Dass Verrückte schlichtweg einen Stein im Hirn hätten, glaubte man früher ja wirklich. Und dass man den herausschneiden könne. Bei Fogarolli blitzen in einem einzigen simplen Aufbau Gedanken zur Stigmatisierung auf, über klinischen Intervention und auf die Kunstgeschichte: wie Hieronymus Boschs berühmter „Steinschneider“, den Bosch schon 1500 als Quacksalber markiert hatte.

So weit, so klar – und dann kommt Sergiu Toma. Die großformatige Malerei des Rumänen zeigt düstere Szenarien: schwarze Wolken, die unheilschwanger ihre Bahnen durch eingefrorene Augenblicke ziehen. Eine davon scheint ein Hausdach einzureißen, wobei sich die Farbe im Vordergrund zuletzt untrennbar mit der Wollmütze eines Menschen verbindet. Es ist der Kopf des Künstlers, der sich hier selbst porträtiert. Das alles hat es Unheimliches und Geisterhaftes – lässt sich aber erklären. Eigentlich geht es nämlich um die Zeit und um verschüttete Erinnerungen.

Das ein zentrales Sujet der postsowjetischen Kunstszene Rumäniens und erschließt sich unmittelbar aus der Vergangenheit des Landes. Und da wird es eben auch für eine Ausstellung interessant, die aus grundverschiedenen Perspektiven auf die Idee von Wahnsinn schaut. Hier ist es eine kollektive Erfahrung, weltgeschichtlich fundiert und rationalisiert – die, wenn es stattdessen nur um einen einzelnen Menschen ginge, geradezu sinnbildlich auch fürs Verrücktwerden stehen könnte. Aber kann das noch Wahnsinn sein, wenn sich eine ganze Generation einig ist?

Großformatige Malerei düsterer Szenarien: Sergiu , „Introspection, detail“ aus dem Jahr 2018 Foto: Pavel Curagau

Dass Toma hier hängt, hat auch persönliche Gründe. Kurator Uwe Goldenstein, der auch die Berliner Galerie Selected Artists betreibt, hat nicht nur lange zu Osteuropa gearbeitet, sondern auch ein unübersehbares Faible für das Abseitige und Düstere.

Das dürfte auch bei Simone Haack eine Rolle spielen, die wie Goldenstein vor einigen Jahren aus Bremen nach Berlin gezogen ist. Sie malt vor allem Zwillinge – überhaupt Konstellationen, die aus scheinbar schlichter Dopplung mit einiger Effektwucht Unheimliches herauskitzelt. Fast Pop ist das, mit tiefschürfendem Untergrund. Ähnliches lässt sich auch über die erzählerischen Porträtaufnahmen von Per Morten Abrahamsen sagen, der nicht Promis wie den doch eher scheuen Filmemacher Lars von Trier ins Eiswasser springen ließ – sondern hier in „Madness“ gleich eine ganze Abteilung dänischer Kinostars dazu bewegt, den Kopf in eine wassergefüllte Plastiktüte zu stecken. Schon dass es diese Bilder gibt, ist eine Sensation, ihre suggestive Kraft zwischen Inszenierung und Erstickungsangst kommt noch dazu. Es ist kein Zufall, dass Abrahamsen auch als Hochkaräter der Theaterfotografie gehandelt wird.

Unheimliches herausgekitzelt: Simone Haack, „Junge mit Hund“ Foto: Lea Gryze

Es ist schon ein gewaltiges Pathos, das sich durch sämtliches Positionen der Schau zieht. Dass dies alles wenig subtil ausfällt, macht es nicht schlechter. In ihren besten Momenten besticht die Zusammenstellung, gerade weil sie den Exhibitionismus so offen verhandelt.

Im Bremer Krankenhausmuseum fällt „Madness“ nach den nachdenklich stillen Auftritten der letzten Zeit ein wenig aus der Reihe. Doch der Bombast tut der Galerie im Park ganz gut – und die Aufmerksamkeit zum anstehenden 30. Geburtstag ist ihr auch von Herzen zu wünschen. Und auch das ist schon Besonderes: Auf dem Gelände der Klinik auch die Schattenseiten des Apparats zu thematisieren. Oder wie Kulturambulanzleiter Achim Tischer sagt: „die Psychiatrie kritisch zu begleiten“.

Den hier angerissenen Bezügen zwischen den Reformen in Bremen und Triest will Tischer im kommenden Jahr eine weitere Ausstellung widmen, was sicher auch eine Erdung des aktuellen Spektakels verspricht. Ein Erfolg ist „Madness“ aber auch jetzt schon: wegen des Kunststücks, Landes-, Gesundheits- und Körperpolitik mit auch knallbuntem Pop zu verstricken – ohne die komplexe Problemlage für bloße Effekte auszuschlachten.

„Ausstellung „Madness“: bis 16. 02. 2020, Klinikum Bremen Ost, Galerie im Park, Züricher Str. 40, Bremen