Kleine Zisterne gegen die Barbarei

Peter Rühmkorf, Werner Riegel und Klaus Rainer Röhl gründeten in Hamburg Anfang der 1950er-Jahre die Zeitschrift „Zwischen den Kriegen – Blätter gegen die Zeit“. Es sollte ein Frontalangriff gegen die Großvätergeneration sein – eine literarische Widerstandsbewegung. Nun liegt eine Faksimile-Edition vor

Heft 7 der Zeitschrift „Zwischen den Kriegen“ ziert 1953 eine Grafik von Horst Sikorra Foto: Deutsches Literaturarchiv Marbach

Von Frauke Hamann

„Der Kampf um das Bestehen der abendländischen Kultur ist fast zu Ende. Wir liefern die letzten Gefechte. Es wird nichts nützen. Wir wissen es.“ So klang die Positionsbestimmung der „Finisten“ der damals mittzwanzigjährigen Werner Riegel, Peter Rühmkorf und Klaus Rainer Röhl 1952 in ihrer Zeitschrift Zwischen den Kriegen – Blätter gegen die Zeit; der lateinische Begriff „finis“ bedeutet Ende oder Ziel.

Der totale Krieg war vorbei, der atomare Krieg schien bevorzustehen, und so waren die Autoren überzeugt von der eigenen Ohnmacht, aber gerade darum „unerbittlich perspektivlos und illusionsarm“. Kämpferisch proklamierten sie: „Zwischen den Kriegen der organisierten Barbarei halten wir eine kleine Zisterne offen für ein paar Hundert Dürstende, mehr können wir nicht tun.“

Im Dezember 1952 erschien in Hamburg die erste Nummer von Zwischen den Kriegen, elf geheftete DIN-A4-Blätter in 100er- bis 150er-Auflage. Bis Januar 1956 folgten 25 weitere Ausgaben. Die 412 einzeilig auf Schreibmaschine getippten, hektografierten Seiten der Zeitschrift liegen nun in einer Faksimile-Edition vor. Es sind Blätter aus einer anderen Zeit, politisch wie literarisch: „Wir sind gegen den Krieg. Wir sind gegen die Machtgier. Wir sind gegen die Unterdrückung in jeder Form, die der Staat und seine Bürokratie betreiben. Wir sind gegen die Deutsche Dummheit!“

Die Zeitungsmacher, vor allem die beiden unter zahlreichen Pseudonymen schreibenden Werner Riegel und Peter Rühmkorf, sahen ihr Blatt – schwankend zwischen bitterem Ernst und grimmiger Heiterkeit – als Sprachrohr des von ihnen kreierten Finismus, ein philosophisch-literarisches Konstrukt mit Anleihen beim Existenzialismus, zugleich inspiriert vom literarischen Expressionismus und Aktivismus aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Der Schriftsteller Kurt Hiller, in London im Exil, der sich gern in der Rolle eines Mitherausgebers gesehen hätte, unterstützte die Zeitschrift, stellte Kontakte zu potenziellen Autoren her, vermittelte Abonnenten und Rezensenten und steuerte selbst Artikel bei.

Gegenüber dem wieder in eingefahrenen Bahnen laufenden Literaturbetrieb traten die ungestümen Neulinge provokant auf. Ihr Frontalangriff richtete sich gegen eine zunächst von der Großvätergeneration geprägte Literatur. Der Pazifismus trat bald in den Hintergrund, das anfängliche „Friedensblättchen“ (Rühmkorf) wurde zu „einer Art literarischer Widerstandsbewegung“. Mittellos, und autonom, ohne Verlag entwickelten Riegel und Rühmkorf ein ästhetisches Programm aus „Antimief-Mut“, „Unabhängigkeit“ und „genereller Oppositionalität“. Sie boten eine schroffe Mischung von Prosa und Poesie, montierten Gedichte wie dieses von Rühmkorf in Essays – Lyrik als Schockbehandlung: „Ein Tag vor Hölle und Helium/Aus Wahnsinn und Wasserstoff./Nun künde das Evangelium,/Das Dir aus der Harnröhre troff.“

Die Finisten fühlten sich als die letzten wirklichen Menschen in einer Wiederkäuer-Epoche ohne geistige Inspiration. Aber wie alle Ismen taugte auch der Finismus nicht für die Ewigkeit. Werner Riegel starb 1956 – einunddreißigjährig – und geriet rasch in Vergessenheit. „Zwischen den Kriegen“ blieb selbst unter Literaturwissenschaftlern ein Geheimtipp und galt bestenfalls als Fingerübung Rühmkorfs – als einem der wichtigsten westdeutschen Lyriker. Trotz bescheidener Auflage und Aufmachung bezeugt Zwischen den Kriegen eine stürmisch-wilde Probierzeit ihrer Autoren, die politische Positionen ebenso einübten wie literarische Techniken. Mit ihrer in der deutschen Nachkriegspublizistik ungewöhnlichen Kombination aus Lyrik und Politik, einem „Lebensgefühl der kurzen Frist“ und einem „extremen Nonkonformismus“ habe die Zeitschrift Literaturgeschichte geschrieben, formuliert Her­ausgeber Martin Kölbel in einem höchst informativen Nachwort. Nur zwei vollständige Exemplare der auf Matrizen abgezogenen Zeitschriften-Jahrgänge haben die Zeiten überdauert. Was für ein Glück, dass Zwischen den Kriegen nun vollständig und hilfreich kommentiert zugänglich ist.

„Zwischen den Kriegen. Blätter gegen die Zeit“, Hg. von Martin Kölbel, 626 Seiten, 248 farb. Abb., Wallstein-Verlag, Göttingen 2019, 50 Euro