Bestseller-Autor über Kriminalromane: „Röntgenbilder der Gesellschaft“

Klaus-Peter Wolfs Ostfriesen-Krimis verkaufen sich millionenfach. Ein Gespräch über Herkunft, Nazis und Anfeindungen in Ostfriesland.

Schönes Ostfriesland: Klaus-Peter Wolf siedelt Verbrechen gerne in Urlaubsorten an Foto: Gaby Gerster

taz: Herr Wolf, macht es Ihnen Spaß, über Abgründiges zu schreiben?

Klaus-Peter Wolf: Ich finde es notwendig. Es ist die eigentliche Aufgabe von Schriftstellern.

Warum?

Als ich klein war, war der Krieg noch nicht lange vorbei. Und ich war in einer Situation, die ’was sehr Verrücktes hatte: Die einen wollten darüber nicht sprechen, weil sie sich schuldig gemacht hatten, die anderen waren dafür zu schwer traumatisiert. Das hat mich geprägt. Es sind die Abgründe des Menschen, über die man sprechen sollte. Kriminalromane sind deshalb für mich auch Röntgenbilder der Gesellschaft.

Sie kommen nicht gebürtig aus Ostfriesland, woher kommen Sie?

Ich bin ein Arbeiterkind aus Ückendorf in Gelsenkirchen. Meine Mutter war Frisörin und mein Vater erst Lastwagenfahrer, später wurde ihm der Führerschein weggenommen und er wurde Bademeister. Während des Kriegs hatte meine Familie Juden versteckt. Ich habe noch die jüdische „Tante“ Sophie kennengelernt. Sie hatte überlebt. Aber auch nach dem Krieg hatten alle Angst, darüber zu sprechen. Sie hätten stolz sein können. Sie waren Helden, verhielten sich aber, als hätten sie etwas falsch gemacht und müssten das peinlich verbergen.

Wollten Sie trotz Ihrer kleinbürgerlichen Herkunft Schriftsteller werden oder gerade deswegen?

Ich wollte nie was anderes werden als Schriftsteller. Ich wollte meine Geschichten erzählen. Meine ersten Arbeiten wurden in Tageszeitungen abgedruckt, da war ich 14. Einige Arbeiterschriftsteller aus dem Ruhrgebiet haben sich meiner angenommen. Max von der Grün zum Beispiel. Bei ihnen bin ich in die Schule gegangen.

wurde 1954 geboren in Gelsenkirchen, hat zwei Töchter und lebt seit 2003 mit seiner Frau, der Kinderliedermacherin und Kinderbuchautorin Bettina Göschl, im ostfriesischen Norden.

Mit ihr veröffentlicht Wolf neben seinen Ostfriesland-Krimis die Kinderbuchreihe „Die Nordseedetektive“.

Wolfs Bücher haben sich 13 Millionen Mal verkauft und wurden in 24 Sprachen übersetzt. Zuletzt erschien „Todesspiel im Hafen“.

Wie war das Leben in der Nachkriegszeit für Ihre Familie?

Meine Mutter wusste von vielen in Gelsenkirchen, was sie zur Zeit des NS-Terrors gemacht hatten: Sie sagte oft mit einer Mischung aus Spott und Angst: ‚Heute sind das alles aufrechte Demokraten, gerade waren es noch standhafte Nazis. Heute haben sie Karrieren gemacht und leben gut in einer Demokratie. Aber sobald es wieder umschlägt, werden wir für das ins Gefängnis gebracht, worauf wir heute eigentlich stolz sein könnten. Besser man redet nicht über das, was man getan hat. Man weiß nicht, wie die Geschichte weitergeht.‘

Ihre Mutter hat also früh dafür gesorgt, dass Sie Ihren Blick auf Abgründiges schärfen sollten?

Ja. Der Widerstand, den meine Familie geleistet hat, kam nicht aus einer heroischen Haltung heraus. Die waren einfach anständig, das war alles. Wenn einer also heute von sich sagt, dass er Demokrat sei, heißt das für mich erst mal gar nichts. Ich gucke darauf, wie er sich verhält, was er für Dinge sagt und tut. Nazis sind nicht nur Leute, die laut „Heil Hitler!“ schreien.

Sie haben Abitur gemacht, aber ein Studium nicht mit einem Abschluss beendet. Woran lag es?

Ich habe studiert, weil ich etwas wissen wollte und nicht, weil ich einen Abschluss in irgendwas machen wollte. Ich habe vier Semester Jura studiert, damit ich bessere Kriminalromane schreiben kann. In der Zeit habe ich Gerichtsreportagen geschrieben.

Sie haben auch früh Preise für Ihre Geschichten bekommen.

Ja. Den Anne-Frank-Preis, den Erich-Kästner-Preis. Ich habe in Deutschland meist Publikumspreise bekommen. Demokratische Preise finde ich auch besser. Meinen ersten bekam ich für die beste deutsche Kurzgeschichte. Darauf bin ich heute noch stolz. Selbst in China und Kanada gab es Auszeichnungen für meine Bücher und Filme. Aber der schönste Preis ist, für ein Millionenpublikum schreiben zu dürfen.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie aufgrund Ihrer Herkunft von Literaturkritiker*innen belächelt werden? Und weil Sie als sogenannter Volksschriftsteller immer nahe bei Ihren vielen Fans sind?

Ich glaube, dass da auch etwas anderes mitspielt. Nämlich eine zutiefst antidemokratische Geisteshaltung: Mich hat mal ein Kritiker gefragt, ob es mir nicht peinlich sei, so viele Fans zu haben. Künstler, die Erfolg haben, sind in Deutschland verdächtig. Was man mir vorwirft, ist genau das: Mit mir muss ja etwas nicht stimmen, weil ich so viele Leserinnen und Leser habe. Wenn aber etwas dadurch schlecht wird, dass viele es mögen, dann wäre ja die Demokratie die dümmste Erfindung und als Staatsform überhaupt nicht geeignet. Dann müsste eigentlich eine akademische Elite das Land regieren. In so einem Land will ich aber nicht leben.

Sie waren mal in der Kommunistischen Partei und sind enttäuscht ausgetreten. Was hat Sie enttäuscht?

Ich kannte noch alte Kommunisten, die im Widerstand waren und die konnten mir gesellschaftliche Zusammenhänge erklären. Für mich waren das die besseren Menschen, weil die eben nicht weggeguckt hatten. Erst bei Reisen in die DDR und in die Sowjetunion habe ich gesehen, dass Sozialismus eine schöne Idee ist, aber ohne Demokratie nicht funktioniert. Die schöne Idee wurde zum Albtraum. Meine Illusionen von einem fröhlichen, bunten Sozialismus wurden zerstört. Dann kam 1987 das Friedensforum in Moskau. Gorbatschow hatte mich mit anderen in der Sowjetunion bekannten Künstlern wie Friedrich Dürrenmatt und Graham Green eingeladen. Vier Tage wurde heftig diskutiert, wie es weiter gehen könne mit der Welt. Gorbatschow war eine Hoffnung für mich.

Ohne eine Partei im Hinterkopf zu haben: Heute kann man ja über demokratischen Sozialismus zumindest streiten oder nicht?

Meine Mutter war Frisörin. Ich glaube nicht, dass ein Frisörladen oder eine Bäckerei in staatliche Hand gehören, aber ich finde es nicht richtig, dass Krankenhäuser heute Aktiengesellschaften werden sollen. Bestimmte Dinge gehören in staatliche oder kommunale Hand, finde ich. Ich will nicht, dass das Krankenhaus Investoren reich macht, ich will, dass es die Menschen gesund macht. So einfach ist es doch eigentlich. Auch Strom, Wasser, Luft sollten nicht privatisiert werden, sondern gesellschaftliches Eigentum sein.

Sie setzen sich in allen Ihren Büchern intensiv mit der echten Geschichte auseinander. In den Ostfriesland-Krimis werden auch immer echte Personen und Orte aus Ostfriesland beschrieben. Kommt es da nicht auch zu Konflikten?

In Ostfriesland nutze ich die Schönheit der Landschaft, um die Abgründe der Seelen zu erzählen, damit hatte bis jetzt keiner ein Problem. Aber es kam in den letzten Wochen leider dazu, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben jemanden für eine Schmähschrift und eine Falschbehauptung anzeigen musste.

Welche Schwelle wurde da überschritten?

Ein mir wildfremder Mann schrieb in einem Leserbrief in der Ostfriesen Zeitung, dass ich zwar kein echter Ostfriese sei, aber ein „Nestbeschmutzer“, weil ich die Ostfriesen in meinen Büchern als ein Volk von „Mördern und Verbrechern“ darstellen würde. Solche Nestbeschmutzer hätte man früher bei Nebel ins Watt gejagt …

… die Ostfriesen Zeitung druckt solche plumpen Kommentare?

Später wurde es noch perverser und ein anderer Mann behauptete in einem Leserbrief, ich hätte das genau so gesagt. Eine Aussage, die ich nie gemacht habe, wurde mir als Zitat untergeschoben. Die Ostfriesen Zeitung ist total darauf aufgesprungen, hat immer mehr solcher Leserbriefe gebracht und es gab mehrere Kommentare des Chefredakteurs, die mich als größenwahnsinnig und meine Klage gegen den Leserbrief-Schreiber als lächerlich hinstellten.

Der Journalist bezog sich mit dem Vorwurf des Größenwahns auf eine Aktion im ostfriesischen Leer.

Ja, es ging um die Menschenkette „Leer zeigt Haltung“. Die gibt es ein Mal im Monat und immer zu einem anderen Thema. Ich wurde dann gefragt, ob ich nicht zum Thema Hassrede bei dieser Menschenkette sprechen wolle. Ich habe von meiner Geschichte mit dem falschen Zitat erzählt. Ich setzte dabei viele Parallelen zu Anfeindungen gegen Menschen aus der Politik – Walter Lübke zum Beispiel. Daraus machte der Journalist gleich, dass ich doch größenwahnsinnig sei, weil ich mich ja mit so wichtigen Menschen vergleiche. Dabei wollte ich nur einen gesellschaftlichen Zusammenhang herstellen.

Der Richter und der Staatsanwalt kamen aber zu einem anderen Ergebnis: Der Mann musste 1.500 Euro Strafe zahlen und darf dieses falsche Zitat nicht mehr verbreiten.

Zum Glück sprechen bei uns Gerichte Recht und nicht die Lokalpresse. Allerdings wurde gegen den Strafbefehl Rechtsmittel eingelegt. Alles ist wieder offen.

In Ihren Ostfriesland-Krimis sind die Mörder meist ausgedachte Zugezogene aus Bamberg oder der Schweiz, so wie Ihr berühmter Serienmörder Dr. Bernhard Sommerfeldt. Ann Kathrin Klaasen ist die Kommissarin, die den Mörder jagt. Was halten Sie selbst von Ihren Figuren?

Sommerfeldt ist der, der unabhängig von gesellschaftlichen Vereinbarungen eine Frau und ihr Kind vor einem alkoholabhängigen Schlägervater schützt. Er ist ein falscher Arzt und ein belesener Mann. Er setzt sich mit Literatur und Kunst auseinander. Von seinen Patientinnen und Patienten wird er geliebt. Frau Klaasen ist genau so intelligent wie Dr. Sommerfeldt, sie ist die beste Zielfahnderin in ganz Deutschland und versucht, den falschen Doktor für seine Morde hinter Gitter zu bringen. Insgeheim bewundert sie ihn ein bisschen, glaube ich.

Was muss ein Ort in Ostfriesland haben, damit er ein schöner Tatort ist?

Ich habe immer gesagt, ich begehe meine literarischen Verbrechen an den schönsten Orten der Welt, denn Kunst lebt vom Kontrast. Und wenn ich beispielsweise auf Borkum bin und mir die Insel angucke, dann suche ich natürlich einen Platz, den viele Touristinnen kennen. Dann sitzt mein Serienkiller an der Promenade auf einem Liegestuhl mit Blick auf die Seehundbank. Das gibt dem Borkum-Urlaub natürlich noch mal eine ganz andere Note für Leute aus Bayern oder anderswo. Und es findet eine überprüfbare Realität statt, weil man sieht, was der Serienkiller auch gesehen hat. Wer hat die Welt schon mit den Augen eines Serienkillers gesehen?

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