Regeln ohne Hüter

Die Uefa hat strenge Bestimmungen im Kampf gegen Rassismus in den Stadien. Würde man sie anwenden, das finstere EM-Qualifikationsspiel der englischen Nationalmannschaft in Bulgarien wäre wohl abgebrochen worden

Spielunterbrechung: Englands Auswahl macht die Unparteiischen auf die rassistischen Gesänge ­bulgarischer Fans aufmerksam Foto: reuters

Von Andreas Rüttenauer

Rassistische Gesänge von den Rängen, Fans, die den Hitlergruß zeigen und Hohn und Spott für die antirassistische „Respect“-Kampagne der Europäischen Fußballunion Uefa. Es war schockierend, was sich im Wassil-Lewski-Nationalstadion von Sofia am Montagabend abgespielt hat. Schon kurz nach dem Anpfiff wurde alles, was sich beim EM-Qualifikationsspiel zwischen Bulgarien und England beim Spiel mit dem Ball zugetragen hat, zur Nebensache. Die Fans, die nicht müde wurden, Affengeräusche von sich zu geben, immer wenn der englische Verteidiger Tyrone Mings an den Ball gekommen ist, bestimmten das Geschehen. Zweimal musste das Spiel unterbrochen werden. Für das englischen Team war es ein niederschmetternder Tag, der „schrecklichste, den ich je im Fußball erlebt habe“, wie Greg Clarke, der Chef des englischen Fußballverbands FA, meinte.

Nun ist es einmal mehr an der Uefa, eine angemessene Strafe für die Vergehen der Fans zu finden. Die waren in dieser Qualifikationsserie schon zweimal mit rassistischen und nationalistischen Exzessen auffällig geworden. Für Vorfälle aus den Spielen gegen Tschechien und den Kosovo setzte es Strafen. Ein Sektor für 5.000 Zuschauer wurde gesperrt. Zudem mussten die Bulgaren das Stadion für das England-Spiel mit Uefa-Bannern, auf denen „Equal Play“ zu lesen war, ausschmücken. Dass das rassistische Fans nicht davon abhalten würde, ihre Anfeindungen vor allem schwarzen Spielern gegenüber durch das Stadion zu grölen, hatten die Engländer schon vor dem Spiel befürchtet und damit gedroht, den Platz zu verlassen, falls es zu rassistischen Anfeindungen kommen sollte.

Bei dieser Ankündigung schwang schon die Befürchtung mit, dass die Unparteiischen, die die Uefa zu der Partie schicken würden, die Regularien des Verbands eher zurückhaltend interpretieren würden. Die Uefa hat für rassistische Vorfälle auf den Rängen Regularien entwickelt, an die sich so gut wie nie gehalten wird. Zunächst soll bei einem Vorfall das Spiel unterbrochen werden, damit über den Stadionsprecher eine antirassistische Botschaft verlesen werden kann. Beim zweiten Vorfall sind die Schiedsrichter dazu angehalten, die Mannschaften in die Kabine zu bitten und mit dem Wiederanpfiff so lange zu warten, bis sich die Lage im Stadion beruhigt hat, Störer eventuell der Kurve verwiesen worden sind. Bei einem dritten Vorfall soll das Spiel ganz abgebrochen werden. Eigentlich ganz einfach.

Doch die Schiedsrichter um den Spielleiter Iwan Bebek aus Kroatien schafften es schon nicht, den zweiten Punkt umzusetzen. Wenn sie nicht vom englischen Trainer Gareth South­gate auf die rassistischen Gesänge aufmerksam gemacht worden wären, hätten sie wohl gar nichts unternommen. Auch Mings selbst soll zum Assistenten an der Linie gesagt haben: „Hey, haben Sie das gehört?“ Doch das Schiedsricherteam reagierte erst, als sich Southgate beim Vierten Offiziellen beschwert hat. Wenn diejenigen nichts für die Durchsetzung der Regeln tun, die dafür zuständig sind, dann nützen die strengsten Bestimmungen nichts.

Erst als sich Trainer Southgate be­schwert, reagieren die Schiedsrichter

Nationaltrainer Southgate berichtete später, man habe in der Pause in der Kabine über das weitere Vorgehen beraten und entschieden weiterzuspielen. Er sagte nach dem Spiel: „Das Spiel ist zweimal unterbrochen worden. Ich weiß, dass das für viele Menschen nicht genug ist, aber ich glaube, wir als Gruppe sind auf dem richtigen Weg in diesem Prozess.“ Das Verhalten seiner Mannschaft interpretierte er als klares Statement gegen Rassismus im Fußball.

Jetzt wird die Uefa wieder über eine Bestrafung nachdenken. Wahrscheinlich müssen die Bulgaren ein paar Heimspiele vor leeren Rängen austragen. Ob das etwas helfen würde? Wohl kaum. Bulgariens Nationaltrainer Krassimir Balakow sagte nach dem Spiel, er habe keine rassistischen Gesänge gehört. Warum dann sein Kapitän in der Pause zu den Fans gegangen sei, um sie zu beruhigen, auch darauf hatte er eine Antwort. „Es ging um den Auftritt unseres Teams auf dem Platz.“ Problembewusstsein beim Thema Rassismus sieht anders aus. Schon vor dem Spiel war Balakow mit verstörenden Aussagen auffällig geworden. „Wir haben kein Rassismus-Problem. In unserer Liga spielen viele dunkelhäutige Spieler. Ich finde überhaupt nicht gut, dass dieses Thema so hochgepusht wird“, sagte er auf der Pressekonferenz vor dem Spiel. Und außerdem sei in England alles viel schlimmer, sonst kämen die Briten ja nicht auf die Idee, den Rassismus zu thematisieren.

Das Spiel übrigens hat England mit 6:0 gewonnen. Eine gute Nachricht hat es an diesem Abend also doch noch gegeben.