Mit dem Pferd ins Boudoir

Mit Ornamenten gegen sexistische und kolonialistische Zugriffe: In Braunschweig öffnet Shannon Bool Architekturgrundrisse, Gemaltes und Fotografien für neue Assoziationen

Überstickte Architektur: Shannon Bools „Farnsworth Sampler“, Courtesy Kadel Willborn, Düsseldorf/Daniel Faria, Toronto Foto: Fotos (2): Stefan Stark

Von Bettina Maria Brosowsky

Die in Berlin lebende, 1972 in Kanada geborene Künstlerin Shannon Bool ist in Norddeutschland nicht unbekannt. Sie war 2012 Teilnehmerin an der lokalen „Gegendocumenta“ „Made in Germany Zwei“ in Hannover. Dort ist sie zudem noch bis zum 6. Oktober an der Ausstellung des Sprengel-Museums „Gezielte Setzungen“ zu übermalter Fotografie in der zeitgenössischen Kunst beteiligt.

In Hannover sieht man ein zentrales Thema ihrer Beschäftigung: das Ornament. Bool verwendet Katalogfotos kunstgewerblicher Sammlungen, die sie mit Objekten oder Strukturen ergänzt, auch bildhaft vervollständigt. Die Kombination von Kunsthistorischem und Alltagskulturellem, von künstlerischen Techniken und Medien, die Verfremdung und Erweiterung von Betrachtungsweisen und Bedeutungszusammenhängen ist das bestimmende Moment ihrer Arbeit.

Der Kunstverein Braunschweig widmet Shannon Bool derzeit mit der Einzelausstellung „House of Oblivion“ – übersetzt vielleicht: Haus des Vergessenen – die bisher umfangreichste Präsentation in ihrer Karriere. Hier zieht sich ein weiterer roter Faden ihres Werks durch die Schau: die Verwendung textilen Materials. Also eine eher kunsthandwerkliche Ausgangsbasis dient Bool als Bildträger anschließender künstlerischer Transformationen.

Aber viele Darstellungen auf den gewebten Wandteppichen oder per Siebdruck bearbeiteten Stoffen sind nicht die vielleicht zu erwartenden Sujets, etwa Pflanzen-, Landschafts- oder allgemeinere Naturstücke. Shannon Bool verwendet stattdessen Architekturdarstellungen, also Grundrisse und Schnitte von radikalen Inkunabeln der klassischen Moderne, so von Le Corbusier. Sein projektiertes gedoppeltes Mietshaus für eine Steillage am Küstenboulevard Algiers, etwa, forderte ein freigehaltenes, überhohes Erdgeschoss, damit jeder Passant an der offenen Sicht aufs Meer teilhaben könne. Wie eine urbane Terrasse sollte sich ein leicht geneigtes Plateau Richtung Küste orientieren, darüber und darunter erst erstreckten sich die privaten Wohnungen.

Shannon Bool überlagert die gewebten Schnittdarstellungen mit verstärkenden, hineingestickten Grafiken der öffentlichen (Blick-)Beziehungen sowie opulenten weiblichen Körperformen, denen Corbusier in seinem künstlerisch malenden Werk gern und ausgiebig frönte. Die Körperfragmente sind plastisch erhaben aufgebracht und verdrängen partiell die trockenen Architekturdarstellungen aus der Gesamtkomposition – und regen damit Sphären assoziativer Kombinatorik an. Eine ähnliche Beweisführung, nun eines sexistischen und kolonialistischen Zugriffs des Meisters, dekliniert Bool an reproduzierten exotischen Aktfotografien aus seiner Sammlung durch, überlagert sie mit seinen städtebaulichen Planungen für Algier, etwa den organisch anmutenden Erschließungssystemen.

Keramik reagiert auf Klang: Julia Phillips‘ Installation „Fake Truth“

Ein fast vergessener Meister bewusst „erotizistischer“ Baukunst, um bei diesem Thema zu bleiben, ist der Turiner Architekt Carlo Mollino. Er gab schon mal dem Grundriss des städtischen Teatro Regio die Konturen eines weiblichen Torsos, tauchte Saal und Foyers in schwüle Rottöne. In eigens dafür eingerichteten Apartments inszenierte er seine softpornografischen Fotografien, verpasste einem selbstentwickelten Rennwagen eine feuerrote Karosse weiblich konnotierter Kurven. Ein gefundener Protagonist also für Shannon Bool, die nun Fotos seiner Boudoirs einem Pferdebildnis, dem Sehnsuchtspartner so manch heranwachsenden Mädchens, als lockeren Überwurf verpasst.

Den Kommentar im Gästezimmer steuert die Berliner Literatin Esther Kinsky mit gesprochen und geschriebenen Texten bei, bettet sie in ein Arrangement aus Fragmenten schottischen Schiefers. Bleibt noch die Remise, die dem Nachwuchs Raum geben soll. Hier lädt die 1985 in Hamburg geborene Julia Phillips in ihre interaktive In­stallation ein. Teilstücke menschlicher Figuren in gebrannter Keramik reagieren auf eine Begegnung mit unterschiedlichen Soundäußerungen – wenn denn die Technik mitspielt.

Phillips wie auch Bool beschäftigen sich also mit komplexen Subjekt-Objekt-Beziehungen, Geschlechter- und Machtverhältnissen, deren tiefere, psychische, unbewusste und vor allem lang nachhallende normative Wirkung sie aufdecken wollen.

Shannon Bool. House of Oblivion und Julia Phillips. Fake Truth: bis 17.11, Kunstverein Braunschweig

Gezielte Setzungen: bis 6. 10., Hannover, Sprengel-Museum