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Zwei Varianten gegen Spekulation

Um Mieten zu stabilisieren und Verdrängung zu verhindern, kaufen manche Bezirke selbst Wohnhäuser auf. Eine andere Möglichkeit als das Vorkaufsrecht bilden Abwendungsvereinbarungen, die den neuen Besitzern beispielsweise teure Modernisierungen verbieten

Dass die Bezirke ein Vorkaufsrecht ausüben, wünschen sich nicht nur die Mieter:innen der Dieffenbachstraße 29 Foto: Christian Mang

Von Hannes Koch

Das Wohnhaus Heimstraße 17 in Berlin-Kreuzberg ist ein begehrtes und umstrittenes Objekt. Für über 3 Millionen Euro wollte der Eigentümer das Haus mit 20 Wohnungen an einen Immobilieninvestor verkaufen. Doch das Bezirksamt Kreuzberg grätschte dazwischen. Um die Mieterinnen und Mieter zu schützen, übte Baustadtrat Florian Schmidt das gesetzliche Vorkaufsrecht aus. Vor Gericht gewann der Bezirk zunächst, doch am 22. Oktober wird über die Berufung des Investors verhandelt.

Die Wohnungs- und Immobilienpolitik ist besonders in Berlin stark in Bewegung. Der Senat will die Mieten der meisten Wohnungen mit seinem Mietendeckel einfrieren. Außerdem bereiten Initiativen das Volksbegehren zur Enteignung großer Immobilienfirmen vor. Solange diese grundsätzlichen Vorhaben nicht umgesetzt sind, helfen sich manche Bezirke, indem sie ihr Vorkaufsrecht ausüben. Eng damit verbunden ist das Instrument der sogenannten Abwendungsvereinbarung. Beides schützt die Mieter und Mieterinnen im jeweiligen Haus – auf unterschiedliche Art. Wie funktionieren die Verfahren, welche Vor- und Nachteile beinhalten sie?

Seit dem Jahr 2015 haben Bezirksämter ein Vorkaufsrecht bei 1.671 Wohnungen ausgeübt, heißt es in einem Bericht des Senats vom Juli dieses Jahres. Die meisten Fälle trugen sich in Kreuzberg und Neukölln zu. Zusätzlich wurden Abwendungsvereinbarungen für 3.056 Wohnungen unterzeichnet. Im Vergleich zum gesamten Wohnungsmarkt ist das allerdings nur ein sehr kleiner Teil. Ihr Vorkaufsrecht üben die Bezirke in der Regel in sogenannten Milieuschutzgebieten aus. Diese weisen sie unter anderem aus, um den Anstieg der Mieten zu bremsen und Verdrängung von Bewohnern zu vermeiden, die sich hohe Wohnungskosten nicht leisten könnten.

Will dann ein privater Eigentümer ein Haus an einen Investor verkaufen, darf der Bezirk dem neuen Besitzer die Immobilie vor der Nase wegschnappen. Oft wird das jeweilige Gebäude an ein landeseigenes Wohnungsunternehmen weitergereicht, das erträgliche Mieten und soziale Zusammensetzung garantiert.

Aus Sicht der Mieterinnen und Mieter stellt das Vorkaufsrecht in der Regel eine gute Variante dar – ihre Rechte sind dann langfristig abgesichert. Weil der jeweilige Bezirk die umstrittene Immobilie freilich zum Marktpreis kaufen muss, handelt es sich um einen teuren Weg. Deshalb sagt Kreuzbergs Stadtrat Schmidt: „Da bei der Ausübung des Vorkaufsrechts in der Regel erhebliche finanzielle Mittel gebunden werden, ist eine mindestens gleich große Zahl an Abwendungen sinnvoll.“

Diese Vereinbarungen dienen dazu, den Vorkauf durch den Bezirk „abzuwenden“. Dazu schließt dieser einen Vertrag mit dem Investor, der die Immobilie erwerben will. Manche Käufer lassen sich darauf ein, weil sie verhindern wollen, dass die öffentliche Hand das Gebäude selbst übernimmt. In dem Vertrag müssen sie sich allerdings verpflichten, bestimmte Regeln einzuhalten.

Von 2015 bis Juli 2019 haben die Berliner Bezirksämter das Vorkaufsrecht bei 1.671 Wohnungen ausgeübt, wenn ein privater Eigentümer sein Haus an einen Investor verkaufen wollte, heißt es in einem Bericht des Senats. Seitdem ist u. a. die Leinestraße 8 in Neukölln dazugekommen. Angewendet wird dieses Mittel in der Regel aber nur in Milieuschutzgebieten. Und weil der Bezirk die Immobilie zum Marktpreis erwerben muss, ist das Ganze ziemlich kostspielig. Darum ist das vorrangige Ziel der Bezirke, mittels Druck durch das Vorkaufsrecht, die Investoren dazu zu bewegen, eine Abwendungsvereinbarung abzuschließen. Solche Vereinbarungen wurden für 3.056 Wohnungen unterzeichnet. Der Nachteil dabei: Diese Vereinbarungen laufen nach einer festgelegten Frist aus.

Dazu gehört beispielsweise, dass kein Wohnraum in Eigentum umgewandelt wird. Weiterverkauf und drastischen Mietsteigerungen ist so erst mal ein Riegel vorgeschoben. Teure Energiesanierungen sind typischerweise ebenfalls ausgeschlossen, soweit nicht gesetzlich nötig. Außerdem müssen die Investoren in der Regel auf neue Balkone und Aufzüge verzichten. Denn auch das sind Maßnahmen, die die Preise hochtreiben. Mieterhöhungen im Rahmen des geltenden Rechts bleiben aber möglich.

So entfalten die Abwendungsvereinbarungen eine ähnliche Wirkung wie das Vorkaufsrecht. Vorteil für den Bezirk: Er muss nicht Millionen Euro für den Kauf ausgeben. Aus Sicht der Mieter haben die Verträge jedoch einen Nachteil: Sie laufen irgendwann aus. Oft werden sie für 20 Jahre geschlossen. „Teilweise wurden auch schon 30-jährige Bindungsfristen vereinbart“, sagt Wibke Werner, die Vizegeschäftsführerin des Berliner Mietervereins. Danach gilt dann wieder das normale Mietrecht. Sicherheit herrscht also nur vorübergehend. Kauft dagegen die öffentliche Hand, ­gehen die Mieter davon aus, sich grundsätzlich keine Sorgen mehr machen zu müssen.

Erfahren Bewohnerinnen und Bewohner, dass Investoren ihr Haus erwerben wollen, sollten sie sich an den jeweiligen Bezirk wenden, um das Verfahren zur Ausübung des Vorkaufsrechts oder der Abwendung in Gang zu setzen. Wobei die Mieter im zweiten Fall nicht beteiligt werden müssen. „Die Verhandlungen finden zwischen dem Bezirksamt und dem Käufer statt“, erklärt Werner. „Jedoch sollten Mieter*innen zumindest im Vorfeld versuchen, mit dem Bezirksamt Kontakt aufzunehmen und ihre Vorstellungen zu kommunizieren.“