Die Wahrheit: Ich, die Wespe

Naturschutz in seiner konsequentesten Form: Wie ich einmal von Amts wegen totgeschlagen wurde und meine Existenz endlich einen Sinn bekam.

Illustration: Ulrike Haseloff

Als mir die Bäckereiangestellte den Kaffee und das Plunderteilchen nach draußen brachte, war noch alles in Ordnung. Die Sonne lachte, eine Zeitung hatte ich auch dabei. Fast schien es so, als würde ich die sonst sämtliche Empfindungen permanent übertönende, entsetzliche Sinnlosigkeit meiner Existenz tatsächlich einmal für einige Sekunden beiseiteschieben können. Der Morgen war schön.

Dann kam die Wespe. Schnupperte an meinem Plunderteilchen. Biss ein Stückchen ab. Kaute eher gelangweilt als mit ehrlichem Appetit darauf herum. Taumelte gegen meinen Kopf und versuchte, mir den Zucker aus dem Mundwinkel zu lecken. Badete in meinem Kaffeeglas, drohte darin zu ertrinken, aber kalkulierte rotzfrech darauf, dass ich, um das Getränk weiter genießen zu können, sie mit dem Löffel retten würde. Sie nervte extrem mit ihrer den Herbstwespen eigenen Schwerfälligkeit gepaart mit der Chuzpe derjenigen, die nichts mehr zu verlieren hat. Greise Wespen haben kurz vor dem Tod jedes Maß verloren. Man kennt das Phänomen auch von Meinungsjournalisten in ihrer letzten beruflich aktiven Lebensphase.

In der Nähe der kleinen Bäckerei lungerte ein Typ vom Ordnungsamt herum. Er beobachtete mich dabei, wie ich immer gereizter die Wespe fortwedelte und -schubste. Meine Gefährderansprache gewann an Intensität, bis ich schließlich die Nerven verlor und das Tier mithilfe der Zeitung von seinem irdischen Dasein erlöste: Patsch!

Sofort stand der Ordnungsmensch neben meinem Tisch und griff nach der Zeitung. In sachlichem Tonfall klärte er mich auf: „Sie haben soeben mutwillig eine Wespe erschlagen. Laut Bundesnaturschutzgesetz, Paragraf neununddreißig, Ziffer eins, ist das strengstens verboten.“

Blut für Mücken

Meine heikle Lage verkennend, reagierte ich patzig: „Wollen Sie mich verarschen? Und als Nächstes spende ich vielleicht noch Blut für Mücken? Oder kacke den Schmeißfliegen auf einen Silberteller …“

Er blieb ruhig. In seinem Beruf war er den Umgang mit Uneinsichtigen und Unverschämten gewohnt. „Hiermit leite ich Ahndungsmaßnahmen nach Ziffer sieben ein“, kündigte er an. „Bitte nehmen Sie Ihre Kopfbedeckung ab und legen die Hände auf den Tisch.“

Ich dachte zunächst an einen Witz. So verblüfft war ich, dass ich mich nicht wehrte, als er anfing, mich mit meiner eigenen Zeitung zu erschlagen. Patsch, patsch, patsch. Das tat sehr weh, denn es dauerte sehr lange. Ich war ja viel größer als eine Wespe. Was bei einem kleinen Insekt sehr schnell ging, nähme bei mir voraussichtlich Monate in Anspruch. Patsch, patsch, patsch.

Es wurde Abend, die Bäckerei schloss, es wurde Nacht. Patsch, patsch, patsch. Ich schrie die ganze Zeit über. Anwohner baten um Ruhe, fluchten und schlossen schließlich geräuschvoll die Fenster, als sie erfuhren, dass ihr Schlaf einer nicht aufschiebbaren Amtshandlung gegenüber als nachgeordnet galt. Nachtschwärmer blieben eine Weile neben uns stehen und fachsimpelten mit einem Bier in der Hand über Schlagtechniken und Artenschutz.

Der Morgen kam, die Bäckerei öffnete. Ob sie nun mal langsam das leere Glas abräumen könne, fragte die Bäckersfrau freundlich und nicht ohne Mitleid, denn sie bekam ja mit, was hier geschah. Der Anblick war für sie bestimmt schon traurige Routine. Ich schrie weiter wie am Spieß, während ich ihr mit einer fahrigen Handbewegung das Forträumen des Geschirrs gestattete.

Der Vollstrecker schwitzte. Alle Viertelstunde wechselte er die Zeitung vom lahm gewordenen Arm in den jeweils anderen. Das war wirklich kein angenehmer Job, den er da hatte. Patsch, patsch, patsch. Längst hatte ich meinen Fehler eingesehen, woran die unaufgeregt professionelle Art meines Peinigers nicht unerheblichen Anteil hatte. In den Nächten sang er mir Schlaflieder, damit wenigstens ich ein Weilchen schlafen konnte, während er mich weiterschlug. Patsch, patsch, patsch. Er war wirklich kein Unmensch; zeitweilig meinte ich sogar, so etwas wie Bedauern über seine Züge huschen zu sehen. Er tat nur seine Pflicht. Was Recht war, musste nun mal Recht bleiben.

Sonntag im Zoo

Die Zeitung war natürlich schon am ersten Tag vollkommen zerfleddert, doch es gab ja täglich eine neue. Die Sonntagsausgaben waren allerdings am schlimmsten. Denn am Wochenende, das mein tierbegeisterter Stammschläger mit seiner Familie im Zoo verbrachte, zeigte sich ein jüngerer Kollege vom Nabu für mich zuständig. Ich fand ihn uncharmant und grob. Das war vielleicht ungerecht, denn zum Teil lag es sicher auch an den dickeren Wochenendausgaben. Doch vor allem waren der vertraute Mitarbeiter und ich inzwischen ein eingespieltes Team. Der gegenseitige Respekt wuchs mit jedem seiner fein tarierten Schläge.

Während nun also der junge Vertreter ungelenk auf mich eindrosch – patsch, patsch, patsch – und ich noch mehr schrie als sonst, stellte ich mir meinen Freund vom Ordnungsamt vor, wie er zur selben Zeit merkwürdig abwesend neben Frau und Kind am Ameisenfreigehege stand.

Irgendwann ertrug seine Frau die Stille nicht mehr und sprach aus, was im Grunde beide wussten: „Du denkst an die Arbeit, stimmt’s?“

Erleichtert seufzte er auf – wie gut es tat, sich auszusprechen: „Ich hab da so eine Maßnahme nach Ziffer sieben zu laufen, und der Straftäter ist so zäh – nach sechs Wochen hat der noch nicht mal angefangen zu bluten. Jetzt kriege ich schon wieder diese Sehnenscheidenentzündung. Ich wünschte mir für uns beide nichts sehnlicher, als dass sein Leiden bald ein Ende hat …“

Sanft strich sie ihm über den Arm und sagte: „Ich weiß, Hase. Das ist alles nicht leicht. Aber unser Kind soll doch auch später noch eine intakte Natur vorfinden. Eigentlich hast du doch den wichtigsten und schönsten Beruf der Welt. Ich bin so stolz auf dich!“

Getröstet legte er ihr den schmerzenden Arm um die Schulter und liebevoll blickten sie ihrem kleinen Mädchen hinterher, wie es zur großzügigen neuen Wespenfluganlage eilte.

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