Darf so einer am Millerntor bleiben?

Cenk Şahin, Spieler des FC St. Pauli, hat bei Instagram gepostet: „Wir sind an der Seite unseres heldenhaften Militärs und der Armeen. Unsere Gebete sind mit euch!“. Dazu schrieb er den Namen der türkischen Militäroperation gegen die Kurden: „Quelle des Friedens“. Einige Fans fordern nun den Verein auf, Şahin rauszuschmeißen

Ja,

so einen müssen sie aushalten, die Fans des FC St. Pauli. Damit wir uns recht verstehen: Man braucht Cenk Şahin nicht zuzustimmen in seinem Jubel für Recep Tayyip Erdoğan und die von ihm in Marsch gesetzten Truppen. Man darf die Aussagen des 25-Jährigen so sehr ablehnen, wie man im türkischen Präsidenten einen Autokraten mit weltpolitischer Überambition erkennen kann. Beides fällt vermutlich denen noch ein wenig leichter, die sich des eigenen politischen, ach was: moralischen Kompasses einigermaßen sicher sind – so wie man es von nicht wenigen Pauli-Dauerkarteninhaber*innen wird annehmen dürfen. Und trotzdem ist der arg reflexhafte Ruf danach, Şahin vom Platz zu stellen, falsch.

Es ist ein monströser Verrat, den der Westen an den Kurden in Nordsyrien begeht; einer, über den die Geschichtsschreibung zu richten haben wird (mit allen Problemen, die sie so an sich hat). Und nicht nur im Weißen Haus sitzen dabei die Verräter, was für manchen hiesigen Friedensfreund ja ziemlich bequem wäre. Nein, auch und gerade die Europäische Union ist Erdoğans Launen ausgeliefert, seit die eine mit dem anderen diesen unheilvollen Flüchtlingsdeal abschloss. Und dann ist der Aggressor auch noch ein Nato-Partner, kommen die Waffen, die nun Kurden töten, am Ende von uns.

Nachvollziehbar, wenn sich da ein Gefühl von Ohnmacht breitmacht, von Frustration, von Wut. Aber darauf zu reagieren, indem man den eigenen Nahbereich wischmoppt, also den Verein bereinigt, um Störer mit inakzeptabler Weltsicht: Das ändert an all dem ja nichts. Wem zum Angriffskrieg des Herrn Erdoğan, und mehr noch vielleicht zur Rolle Berlins und Brüssels, nicht mehr einfällt als braun-weiße Folklore – der hat halt so viel auch nicht erreicht. Das ist vielleicht das Vertrackte am Denken in Sündenbock-Kategorien: So verführerisch es ist, so falsch ist es auch. Alexander Diehl

Nein,

der FC St. Pauli muss sich von Cenk Şahin trennen. Der Verein hat sich bereits von Şahins Instagram-Post distanziert, in dem dieser sich für die türkische Militäroffensive gegen die Kurden in Nordsyrien ausspricht. Die Fans aber wollen mehr: „Şahin, verpiss dich!“, schreibt die Gruppierung „Ùltra Sankt Pauli“ auf ihrer Homepage. Und fordert den Vereinspräsidenten Oke Göttlich auf, den Stürmer rauszuschmeißen. Gut so!

Ein Spieler, der sich offen für den völkerrechtswidrigen Angriff des türkischen Autokraten auf die selbstverwalteten kurdischen Gebiete ausspricht, hat bei dem Verein, der von seinem linken Image lebt, nichts verloren. Okay, der FC St. Pauli ist, wie alle Fußballvereine, ein privates Unternehmen, das in erster Linie sportliche Zwecke verfolgt. Aber das Herz jedes Vereins sind seine Fans. Und auf die sollte der FC besser hören, wie er es in der Vergangenheit ja auch meistens getan hat. Schließlich profitiert der FC St. Pauli wie kein anderer Verein von deren politischer Positionierung und vermarktet sie auch. Dann aber über das Kriegsbekenntnis von Şahin hinwegzusehen, macht den Verein unglaubwürdig und diskreditiert das Engagement der Ultras.

So weit zu der Situation am Millerntor. Nun zum eigentlichen Schauplatz: Die Kurd*innen haben sich für die ganze Welt geopfert, um den IS zu bekämpfen – und es ist ihnen gelungen. Aber anstatt ihnen zu danken, schaut Europa jetzt zu, wie Erdoğans Islamistenarmee die kurdischen Kämpfer*innen abmetzelt. Auch mit deutschen Waffen. Spätestens, wenn die IS-Kämpfer, die jetzt noch in kurdischen Gefangenenlagern sitzen, in europäischen Großstädten aufschlagen, wird die EU ihre passive Haltung bereuen. Natürlich ändert sich daran nichts, wenn Şahin beim FC St. Pauli rausfliegt. Aber politische Signale sind wichtig. Der FC sollte sich seiner Verantwortung stellen. Katharina Schipkowski