Vitale Debatten, aber kein zentraler Streit

Die SPD-KandidatInnen-Tour mit sieben Teams endet am Samstag in München. Die Diskussionen waren fair. Wer gewinnt, ist offen. Klar ist: Geschadet hat sie der Partei nicht

Hühner auf der Stange: Einige (aber bei Weitem noch nicht alle) der Kan­di­da­t*in­nen für den SPD-Vorsitz auf einer Regional­konferenz in Kamen, NRW, Ende September Foto: Guido Kirchner/dpa

Von Stefan Reinecke

Am Anfang schien das Chaos vorprogrammiert. Olaf Scholz, so der böse Verdacht, sei vom zur Neutralität verpflichteten kommissarischen Parteivorstand in seiner Kandidatur unterstützt worden. Das schien die Ouvertüre zu einem bekannten Stück zu sein: Die SPD ruiniert sich vor aller Augen. Erst fanden sich lange keine BewerberInnen aus der ersten Reihe. Dann wurde das komplizierte Auswahlprozedere mit 15 KandidatInnen und 23 Regionalkonferenzen mit kübelweise Häme bedacht. Typisch SPD, eine überflüssige Selbstbeschäftigung, die zum Kampf aller gegen alle führe. Am Ende werde die Partei, nach dem Rücktritt von Andrea Nahles und unglücklich in der Groko eingesperrt, noch desolater und in sich verfeindeter sein als zuvor.

Es kam anders. Gut 15.000 SozialdemokratInnen sahen kurzweilige, interessante fachlich kompetente Debatten. Die ZuschauerInnen des Livestreams, der indes nur bedingt zu loben war, kommen noch hinzu. Das Resümee nach 22 Runden – die letzte findet Samstag in München statt – fällt freundlich aus. „Ich war positiv überrascht, weil die inhaltlichen Unterschiede und die Persönlichkeiten in dem Format deutlich wurden“, so Karl Lauterbach, der mit Nina Scheer antritt und auf den schnellen Austritt der SPD aus der Groko setzt. Lauterbach bemängelt, dass Juso-Chef Kevin Kühnert von Beginn an das Team Norbert Walter Borjans/Saskia Esken unterstützt hat. Das sei „problematisch“. Auch Ralf Stegner, der mit Gesine Schwan antritt, kritisiert die Unterstützung von Kühnert und dem Landesverband NRW für Borjans/Esken. Den Leute zu sagen, wen sie wählen sollen, sei doch der Stil der „alten SPD“. Doch abgesehen von solchen Rangeleien ist auch Stegner angetan von der SPD-Tour. „Die Hallen waren rappelvoll, die Stimmung war positiv, der Wettbewerb fair.“

Klara Geywitz, die mit Olaf Scholz antritt, diskutiert am Donnerstagabend in einer Frau­en­run­de der Teams in Berlin beim Redaktionsnetzwerk Deutschland. Man lässt sich ausreden, markiert Unterschiede – Diskurs ohne Gift, so wie stets zuvor. Geywitz hält die Kür der Spitze für ein Zeichen des neuen Stils in der Partei. Die Doppelspitze sei für die männerdominierte SPD ein Schritt nach vorne. Und anders als früher werde die Parteiführung nicht mehr von ein paar Genossen ausgedealt, sondern in einem offenen Prozess gewählt.

Die Wahl ist wirklich offen, eine Prognose schwierig. Die Regionalkonferenzen ergaben kein eindeutiges Meinungsbild. Aufrufe, die Groko zu verlassen, wurden bejubelt – doch auch Vizekanzler Olaf Scholz, der für ein Weiter-so steht, bekam Applaus. Brauchbare Umfragen existieren nicht. Für re­präsentative Zufallsumfragen ist die Zahl der SPD-GenossInnen schlicht zu klein. Eine von der Welt veröffentliche Onlineumfrage, die Christina Kampmann und Michael Roth, das jüngste Duo, auf Platz eins sieht, weckt vor allem Zweifel an der Seriosität der Demoskopen. Man weiß wirklich nicht wie es ausgeht – eine Rarität in der von Umfragen ausgeleuchteten Republik.

Zu sehen gab es kurzweilige, interessante und fachlich kompetente Debatten

Allerdings spricht das dramaturgische Szenario dafür, dass Scholz/Geywitz weit vorne landen werden. Wer die SPD weiter links, mehr Klimaschutz und Umverteilung will, hat gleich fünf Teams zur Auswahl. Wer Mitte und Weiter-so will, wird Scholz/Geywitz oder Boris Pistorius und Petra Köpping wählen. Zudem hat Scholz die Angriffsflächen nach links verkleinert. Er ist auch für 12 Euro Mindestlohn und offen für Rot-Rot-Grün.

In den Debatten wurde vital über Sozialstaat, Ökologie, Frieden, die Groko, die schwarze Null und die Parteireform gestritten. Doch ein zentrales Thema oder ein klares Entweder-Oder gab es nicht. Auch die Groko-Frage ist vom heftig umkämpften Glaubensbekenntnis zu einer strategischen Frage heruntergedimmt. Scholz will noch bis 2021 mit der Union regieren, danach nicht mehr. Manche SPD-Linke wollen sofort raus. Risiken birgt beides. Sofort die Groko zu verlassen und Neuwahlen zu provozieren kann hektisch, flatterhaft und schlecht begründet wirken. 2021 aus der Groko heraus Wahlkampf gegen eine erneute Groko zu machen kann unglaubwürdig wirken.

Das Ergebnis wird am 26. Oktober veröffentlicht, einen Tag vor der Wahl in Thüringen. Danach wird es wohl ein Stechen zwischen den beiden Teams mit den meisten Stimmen geben. Vieles ist zwar offen – doch dass nach der facettenreichen SPD-Debattentour ein Team mehr als 50 Prozent bekommt, ist mehr als unwahrscheinlich.