Filmkomödie aus Frankreich: Leben reparieren

In der Komödie „Der Glanz der Unsichtbaren“ geht es um wohnungslose Frauen. Sie lernen ihre Fähigkeiten wieder zu schätzen und einzusetzen.

Fotoblick von oben, drei Frauen liegen Kopf an Kopf auf dem Teppich.

Gemeinsam ist es besser: Audrey (Audrey Lamy), Hélène (Noémie Lvovsky) und Manu (Corinne Masiero) Foto: Piffl

Schon in der Titelgebung zeigt sich der grundlegende Unterschied zwischen zwei (Film-)Kulturen. Während der französische Originaltitel „Les Invisibles“ sachlich und sozusagen ergebnisoffen bleibt, trumpft das deutsche „Der Glanz der Unsichtbaren“ auf mit einem piefigen Vorab-Spoiler, der zudem noch irreführend ist, weil er implizit nahelegen könnte, dass es sich hier um einen Putzfrauenfilm handelt.

Dabei putzt in diesem Film kein Mensch mal irgendetwas, außer vielleicht sich selbst, und der Einzige, der das tut, ist keine Frau, sondern ein junger Mann, der seiner Freundin einen Heiratsantrag machen will und sich dafür extra einen Anzug anzieht.

Männer sind ansonsten eine Minderheit in diesem Film von Louis-­Julien Petit, weil er von Frauen handelt. Von solchen, die sonst unsichtbar sind, weil sie keinen Platz in der Gesellschaft haben, weil sie obdachlos sind, arbeitslos, hoffnungslos. Das Schöne ist, zum einen, dass der Film diese Frauen ohne großes Aufheben sichtbar macht, ihnen Würde und Geschichten gibt, die es wert sind, erzählt zu werden. Und doppelt schön, dass das Ganze fast eine richtige Komödie geworden ist, ohne dass die Härten eines Lebens auf der Straße verschwiegen werden. Keine Existenz ist so elend, so die Prämisse, dass sich nicht noch etwas daraus machen ließe.

Workshops als Lebenshilfe

Ein Zentrum für Tagesbetreuung ist der hauptsächliche Handlungsort. Hier können wohnungslose Frauen duschen, essen, sich aufwärmen, und die Sozialarbeiterinnen werden nicht müde, sich immer wieder ins Zeug zu legen, um Unterbringungsmöglichkeiten für sie zu organisieren.

„Der Glanz der Unsichtbaren“. Regie: Louis-Julien Petit. Mit Audrey Lamy, Corinne Masiero u. a. Frankreich 2018, 102 Min.

Doch diese Bemühungen sind von wenig dauerhaftem Erfolg gekrönt, denn das System der staatlichen Hilfen sieht vor, dass die Zuständigkeit des Tageszentrums aufhört, sobald eine Frau extern untergebracht werden kann. Ohne Unterstützung aber schafft kaum eine den Übergang in eine geregelte Existenz, landet wieder auf der Straße, und der Kreislauf beginnt von vorn.

Als dem Zentrum wegen zu geringer Erfolge die Schließung droht, wagen die Sozialarbeiterinnen Audrey (Audrey Lamy) und Manu (Corinne Masiero) die Flucht nach vorn. An den gesetzlichen Bestimmungen vorbei öffnen sie heimlich das Haus als Notunterkunft und organisieren Workshops, die die Frauen sich gegenseitig geben. Alle kramen längst vergessene Kompetenzen hervor. Öffentliches Auftreten wird geübt, Lebensläufe werden erinnert und geschrieben.

Vom Schrottplatz geholt

Eine ältere Frau, die einst ihren Mann umgebracht und im Gefängnis eine solide handwerkliche Ausbildung erhalten hat, bringt anderen bei, wie man Sachen repariert. Von einem Schrottplatz werden defekte Elektrogeräte geholt und instandgesetzt. Eine ehemalige Straßenhändlerin organisiert einen Basar, auf denen sie verkauft werden. Und der Schrotthändler, der schon lange gern eine Gefährtin hätte, kommt gleich selbst mit vorbei zum Speed-Dating.

Ja, denn kleine romantische Einsprengsel gehören schließlich mit zu einer Komödie. In dieser Genrewahl bei einem Thema, das vor allem von sozialen Härten handelt, liegt die Besonderheit von „Les Invisibles“ – und auch die besondere Qualität, denn die vielen schönen und komischen Momente des Films, der im Übrigen ganz exquisit geschnitten ist, verleugnen nicht die dunklen Seiten eines Frauenlebens auf der Straße.

Nicht alles wird so explizit gezeigt, wie etwa die Räumung eines Zeltlagers mitten in der Nacht, bei der die Polizei rücksichtslos die gesamte Habe der Wohnungslosen zerstört. Nachdem – wie sich nur aus dem Dialog erschließt – eine der jüngeren Frauen vergewaltigt worden ist, bleibt die Kamera dezent vor der Tür, als sie anschließend lange duscht und die Sozialarbeiterin im Nebenzimmer weint.

In Bruchstücken lernt man sie kennen

Genauso wenig wie die Kamera sich den Protagonistinnen aufdrängt, werden deren Geschichten uns Zuschaue­rInnen ins Gesicht geworfen. Man lernt sie nach und nach kennen, und auch das nur mehr oder weniger; in kurzen, oft bruchstückhaften Ausschnitten. Es ist wie bei Menschen im wirklichen Leben, mit denen man ohne besondere Absicht öfter zu tun hat, und über die man beiläufig hier und da mal ein bisschen mehr erfährt. Manche lernt man halt nie besonders gut kennen, und die meisten haben ihre Macken.

Ein einfaches Happy End gibt es in diesem Film nicht. Es ist komplizierter – und von bemerkenswerter Unkitschigkeit

Dass wir hier fast ausschließlich nur jenen etwas näher kommen, deren Geschichten als Erfolgsgeschichten erzählt werden können, liegt in der Natur des gewählten Genres. Aber ein einfaches Happy End gibt es nicht. Es ist komplizierter – und von bemerkenswerter Unkitschigkeit, wie die Frauen, als sie am Schluss wieder einmal in einen nicht bestellten staatlichen Bus steigen sollen, diesen Akt entweder selbstbewusst zu ihrer eigenen Entscheidung erklären oder sich ebenso selbstbewusst dagegen entscheiden.

Eine Entwicklung hat stattgefunden; teils mithilfe von, teils vorbei an einem Sozialsystem, dessen starre Regeln zum Wohle der Menschen ab und zu ein bisschen aufgeweicht werden müssen. Glückliches Frankreich, wo man aus solch einem Thema einfach mal eine kluge Komödie macht.

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