Vater Staat und MutterKirche

In Osnabrück sind Anhänger der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters durch die Straßen gezogen, um den Rückzug des Staates aus Religionsangelegenheiten voranzubringen. Tatsächlich werden die Kirchen in Deutschland in beträchtlichem Ausmaß staatlich unterstützt – zu Recht? 44,45

Können in Deutschland gut miteinander: Staat (links) und Kirche (rechts) Foto: Gregorio Borgia / Pool /dpa

Von Benno Schirrmeister

Mein Gott, ich gönne den Leuten ihren Glauben ja. Von Herzen! Sollen sie doch. Bloß: Warum soll ich dafür zahlen? Sollte nicht gerade ein Glauben und die darauf errichtete Kirche sich selbst tragen? Denn wer denkt, dass er das täte, irrt.

Die evangelische und die katholische Kirche werden zu einem wesentlichen Teil staatlich finanziert, vor allem mittelbar, aber außer in Bremen und Hamburg auch unmittelbar. Ja, auch Sie finanzieren den klimaschädlichen Audi von Bischof Meister mit, und dessen Monatssalär sowieso. Er ist besoldet wie der Oberbürgermeister von Hannover und besser als jeder Landrat Norddeutschlands.

Und anders als die Zahl der Gläubigen wächst die Summe, die der Staat jährlich an die Landeskirchen überweist: Beide sind voneinander entkoppelt. Gerecht ist das nicht.

Wie das kommt, ist eine etwas irre Geschichte. Deshalb zum besseren Verständnis nun ein Gleichnis: Stellste dir mal vor, du borgst jemandem eine Schubkarre, und legst nicht fest, für wie lange. So was kommt ja vor. Und wenn du ihn nach – sagen wir mal – zehn Jahren freundlich daran erinnerst: Du, ähm, meine olle Schubkarre, du weißt schon, die mit den roten Griffen, die hätte ich gerne wieder, weil ich brauch sie: Was würde dann dein Kumpel sagen? Doch vermutlich „Tschuldigung“ nuscheln, „hätt’ich auch früher dran denken können“. Karre zurückgeben. Und ’ne Schachtel Pralinen als Danke dazu.

Was aber, wenn er meint, durch den Entzug der Schubkarre in seiner Bestimmung behindert zu sein, das Seelenheil der Menschheit voranzutreiben? Wenn er meint, eigentlich hätte Gott ihm diese deine Schubkarre durch dich für ewig verliehen?

Okay, es wird schwieriger. Aber eine gütliche Lösung wäre vorstellbar. Auf keinen Fall wirst du jedoch einer Vereinbarung zustimmen, nach der du und deine Kinder und Kindeskinder von nun an und alle Zeit für die Rücknahme deines Eigentums täglich zehn Cent zahlst, mit Inflationsausgleich. Du bist ja nicht plemplem.

Deutschland leider schon: Momentan sind wir bei 450 Millionen per anno. Denn seit der Säkularisation der einst den Fürstbischöfen und Äbten als Lehen, also als Dauerleihgabe, nicht jedoch zum Eigentum, überlassenen Güter bekommen die Kirchen Geld dafür, dass sie ihnen entzogen worden sind. Und so wird es auch bleiben für immerdar.

Denn, dass das falsch ist und ungerecht, das war schon den Vätern der Verfassung – es waren wirklich nur Väter – klar: Als vor 100 Jahren die Weimarer Republik ihr juristisches Fundament bekam, wurden die Länder verpflichtet, dieses Problem zu beseitigen. Der Passus gilt noch immer. Keine der Regierungen aber hat auch nur einen Finger dafür krumm gemacht, hier Gerechtigkeit herzustellen und das Recht durchzusetzen. Nicht mal die Rede war von diesem Verfassungsauftrag, zum Jubiläum vor einem Monat.

Das ist das plastische Problem. Die indirekten Beihilfen sind finanziell viel gewichtiger. Schon die Kirchensteuer ist eine superteure Angelegenheit für den Staat: Zwar werden dafür von den EmpfängerInnen Gebühren erhoben, aber die macht nur einen Bruchteil der Milliardensumme aus, die es kostet, dass die Steuerverwaltung der Länder die Gläubigenabgabe für die Kirchen eintreibt. Umgekehrt sind die vollständig absetzbar: Sie verursachen also Kosten und Mindereinnahmen für die Allgemeinheit.

Die Kirchen kompensieren mit dem Gewinn, dass der Staat ihre sozialfunktionalen Einrichtungen – Pflegeheime, Krankenhäuser, Kindergärten – nicht vollständig, sondern nur zu 95 Prozent direkt finanziert. Die werden dann, ähnlich wie Bundesliga-Stadien, nach den bekannten Marken der Kirche benannt – Marienhospital, Josephsstift.

Den Werbewert bekommen die Kirchen hingegen ebenso geschenkt wie die Baugenehmigungen, die Körperschaftssteuern, die Sendezeit im Rundfunk und die Propagandatätigkeit in Schulen, den weltlichen aber auch den eigenen, die sie, wenn nicht profitabel genug, abwickeln – siehe Hamburg.

Über die Höhe dieser negativen Staatsleistungen gibt es nur Schätzungen – im Violettbuch des Politologen Carsten Frerk aus der Nordheide: Er beziffert sie auf aktuell jährlich 19,5 Milliarden Euro.

Es sind Subventionen für problematische Institutionen. Nicht aus böser Absicht, sie künden noch nicht mal zwingend von Glaubenseifer. Wohl aber liegen ihnen falsche Annahmen zugrunde: Der Soziologe Émile Durkheim, durchaus ein Atheist, hatte 1912 die gesellschaftsstiftende und -bestärkende Funktion in seinem Schreibtisch entdeckt.

Bloß geht er von einem einheitlichen Kult aus: Dass Glaubenssysteme Wertvorstellungen homogenisieren, ist ja richtig. Das heißt aber im Umkehrschluss, sie propagieren auch die Ablehnung von Abweichungen. Das wiederum macht sie gefährlich: So scheint es, als würden sie durch den Anspruch, die sexuellen Beziehungen von Menschen zu regeln, für entsetzliche Verheerungen sorgen, deren Therapiekosten nur die materielle Seite des Schadens benennt. Den Fonds „Sexueller Missbrauch“ finanziert der Staat.

Auch empirisch ist die Theorie von der gesellschaftlichen Bindungskraft der Religion zuletzt relativiert worden: Dass religiöse Erziehung Intoleranz fördert und Altruismus mindert, hatte eine Forschungsgruppe der Universität Chicago nachgewiesen – obwohl der Auftraggeber, eine evangelikale Gruppierung, vermutlich das Gegenteil lesen wollte.

Inzwischen ist die zunächst peer-reviewt veröffentlichte Studie mit dürrer Begründung zurückgerufen worden, „obwohl unser Haupt­ergebnis gültig bleibt, dass ein Elternhaus mit gesteigerter Religiosität dazu führt, dass Kinder ungern teilen“, wie ihr Autor Jean Decety mitteilt.

Auch die deutschen „gesellschaftlicher Zusammenhalt“-Studien verstetigen und vertiefen das Bild: Religion schafft Bindungen – gegen andere. In einer Gesellschaft, die sich als offen verstehen will, muss sie also als schädlich gelten. Sie sollte nicht gefördert werden.