Deutsche Rohstoffstrategie: Lehrgeld in Ulan-Bator

Die Rohstoffstrategie der deutschen Industrie in der Mongolei ist gescheitert. Das hat Folgen für die noch junge Demokratie.

Arbeiter im Heizkraftwerk Darkhan in der Mongolei

Im Heizkraftwerk Darkhan in der Mongolei: Hier wurde mit deutschem Geld saniert Foto: imago-images/Thomas Koehler

ULAN-BATOR taz | Besonders den Deutschen, die vom Flughafen via Taxi ins Zentrum Ulan-Bators fahren, sticht das stahlgraue Porsche-Center mit rotem Schriftzug über der Zubringerstraße bestimmt sofort ins Auge. Doch der starke erste Eindruck vom Engagement der deutschen Wirtschaft in der Mongolei täuscht: Deutsche Firmen landen bei den Auslandsinvestitionen in dem zentralasiatischen Land nur auf einem kümmerlichen 17. Platz.

Zum Verdruss der Mongolen. Denn eigentlich war alles anders geplant. Vor allem mit satten Investitionen in den Rohstoffsektor des Landes sollte die deutsche Industrie dazu beitragen, dass die „Strategie des 3. Nachbarn“ für die junge Demokratie funktioniert. Eingekeilt zwischen den autoritären Großmächten Russland und China, hoffte das Land mit drei Millionen Einwohnern lange auf eine selbstbestimmte Entwicklung.

Dafür wollte die Mongolei starke Wirtschaftsbande zu Drittländern aufbauen, speziell zu den Demokratien Westeuropas. Der Hebel dafür sollte der Reichtum des Landes an Rohstoffen wie Kupfer und Kohle sein. Letzteres ist das Hauptexportgut des Landes, das flächenmäßig viermal so groß ist wie Deutschland: Der Großteil geht allerdings nach China, das fast 90 Prozent der mongolischen Exporte abnimmt.

Eine massive Abhängigkeit, aus der sich die Mongolei mit dem Konzept des „3. Nachbarn“ entlasten wollte. Derzeit leben fast 30 Prozent der Bevölkerung in Armut. Seit dem Ende des Kommunismus leidet die junge Demokratie zudem unter politischer Instabilität: Seit Verabschiedung der ersten Verfassung 1992 hatte das Land bereits 15 Regierungen. Beim Korruptionsindex von Transparency International landete die Mongolei im Jahr 2017 auf Platz 103 von 180 Ländern.

Gemeinsamer Wirtschaftsausschuss

Aber: Der Plan der Mongolen fand in Deutschland Interesse bei Politik und Lobbyisten. Unsichere Versorgungslagen und die stark schwankenden Rohstoffpreise sind bis heute ein echtes Problem für die deutsche Industrie. Seit Mitte der 2000er Jahre fordern Wirtschaftsverbände die Bundesregierung auf, sich für die Rohstoffsicherung zu engagieren; der Bund der Deutschen Industrie (BDI) rief nach einer „aktiver Rohstoffsicherungspolitik“.

Die Bundesregierung schloss 2011 mit der Mongolei tatsächlich ein Abkommen „mit dem Ziel, die Rohstoffe der Mongolei durch Investitionen, Innovationen und Lieferbeziehungen sowie Technologietransfer in die Mongolei einer umfassenden Nutzung zuzuführen“. Zudem wurde ein gemeinsamer Wirtschaftsausschuss gegründet. Parallel dazu legte der BDI eine „Rohstoffallianz“ auf: ein Konsortium der deutschen Großindustrie, unter anderem mit Thyssen-Krupp, BASF und Daimler.

Die Konzernallianz wollte weltweit Rohstoffe in Eigenregie erschließen und abbauen. Denn: Ähnliche Unternehmen, die darauf spezialisiert sind, hat Deutschland nicht mehr. Das Kalkül: Die deutsche Industrie investiert in die mongolische Rohstoffwirtschaft mit Know-how und Technik und erhält dafür langfristig günstige Rohstoffe. Berlin flankierte das Vorhaben mit Hilfen wie dem Aufbau einer Schule für Bergbauingenieure in Ulan Bator.

„Rohstoffallianz“ als Rohrkrepierer

Doch bereits das erste Vorhaben der „Rohstoffallianz“ wurde ein Rohrkrepierer. Im mongolischen Shivee Ovoo sollte eine Thyssen-Krupp-Tochter eine Großraffinerie hochziehen, um die dortige Kohle zu Kraftstoffen zu verflüssigen. Die Mongolei hat riesige Mengen Kohle, aber keine Verflüssigungsanlagen. Den Großteil seiner Treibstoffe muss es deshalb teuer aus Russland und China einführen.

Die Mongolen wollten sogar ein Komplettpaket. Die Anlage sollte von den Deutschen gebaut, betrieben und das Personal ausgebildet werden. Ergänzend plante die Deutsche Bahn, das dürftige mongolische Schienennetz auszubauen, um den Abtransport der Kohle zu verbessern. All das in Vorleistung, da die klamme Mongolei nichts beisteuern konnte.

Schlussendlich war den Deutschen die Sache dann doch zu riskant. Martin Wedig von der Fachvereinigung Auslandsbergbau sagt zur taz: „Das Projekt passte nicht zur DNA der deutschen Wirtschaft. Die Deutschen treten auf dem Weltmarkt bevorzugt als Verkäufer von ‚Made in Germany‘ auf. Mit sicherer – möglichst externer – Finanzierung. Den dauerhaften Betrieb solcher Anlagen in einem Investitionsumfeld mit hohen Risiken scheuen sie.“

Martin Wedig, Fachvereinigung Auslandsbergbau

„Das Projekt passte nicht zur DNA der Deutschen“

Weil außerdem die Preise in den Folgejahren wieder sanken, schien das Rohstoffproblem offenbar nicht mehr so dringend. Die Schivee-Owo-Verhandlungen wurden aufgegeben. Die Rohstoffallianz löste sich 2016 still und leise auf, ohne je ein Vorhaben verwirklicht zu haben.

Für BDI nur ein Testballon

Auf Nachfrage beim BDI wird das Scheitern der Rohstoffal­lianz heute zu einem Testballon umgemünzt. Matthias Wachter, Abteilungsleiter Sicherheit und Rohstoffe beim BDI, sagt: „Ziel der Rohstoffallianz war es, Optionen für die Rohstoffversorgung der deutschen Industrie zu untersuchen. Die mit der Gründung verbundenen politischen Erwartungen waren von Anfang an hoch. Wegen der hochgradigen Spezialisierung der deutschen Industrie war klar, dass eine zentrale Rohstoffbeschaffung nicht nur operativ, sondern auch kartellrechtlich problematisch gewesen wäre.“

In der Tat war die Kommunikation über Rohstoffpreise in der Allianz de facto unmöglich, ohne in den Verdacht von Preisabsprachen zu geraten – und damit gegen Kartellrecht zu verstoßen. Auch ist der Rohstoffbedarf der Deutschen so spezialisiert wie sie selbst. Während Thyssen-Krupp Kokskohle für Stahlbleche sucht, benötigt VW Lithium für Autobatterien. Die zahllosen Einzelinteressen ließen sich kaum über ein Abbaukonsortium gleichwertig bedienen.

Denn: Die Entwicklung von Lagerstätten dauert lange und ist teuer. Das hielt den BDI dennoch nicht davon ab, bei der Gründung der Rohstoffallianz hohe Ansprüche einzufordern. So sah der damalige BDI-Vizepräsident Ulrich Grillo, mit der Rohstoffallianz ein „schlagkräftiges Unternehmen“ für die Rohstoffsicherheit Deutschlands entstehen.

Das Scheitern des Konzepts war Lehrgeld für die deutsche Wirtschaft. Für die Mongolei sind die Folgen einschneidender. Es gibt nicht nur keine deutsche Expertise für die heimische Rohstoffwirtschaft, sondern auch keine Sonderstellung des Landes mehr für deutsche Exporteure.

Schwäche der „Strategie des 3. Nachbarn“

Im für die Rohstoffpartnerschaft gegründeten Wirtschaftsausschuss vertritt seit 2018 der Import-Unternehmer Laurenz Melchers deutsche Interessen. Melchers verdient sein Geld mit dem Exklusivvertrieb von Mercedes-Benz in der Mongolei. Wie in vielen Transformationsländern ist die Marke mit dem Stern beliebt, vor allem bei neureichen Mongolen.

Für viele ist das misslungene Engagement der Deutschen ein Sinnbild für die Schwäche der „Strategie des 3. Nachbarn“. „Das Konzept funktioniert nicht, um uns vom ökonomischen Druck Chinas zu entlasten“, sagt die Tourismus-Unternehmerin Otgonbayar Damba. „Nur die Chinesen zeigen derzeit ein strategisches Interesse im mongolischen Rohstoffsektor. Sie bauen mongolische Kohlelager ab, eigene schonen sie dagegen für die Zukunft.“ Tatsächlich hält derzeit China die meisten ausländischen Abbaulizenzen für Kohle und andere Rohstoffe in der Mongolei. Die Chinesen haben jedoch eigene Raffinerien – und deshalb kein Interesse, eine mongolische Wertschöpfungskette bei mineralischen Rohstoffen aufzubauen.

Auch andere Geschäfte mit Drittländern laufen schlecht: Die Erschließung des gigantischen Kupferlagers Ojuu Tolgoi durch den australischen Bergbaukonzern Rio Tinto ist von Querelen belastet. Der Druck aus Bevölkerung und Opposition auf die Regierung ist groß, Abbauabkommen wie das mit den Australiern nachzuverhandeln, um noch mehr herauszuholen. Das schreckt weitere ausländische Unternehmen ab.

Ohnehin hat das Land gewaltige Probleme: Die Verschuldung des Staates ist extrem hoch. Seit 2017 überlebt die Mongolei nur mit einem Notkredit des Internationalen Währungsfonds.

Präsident sucht die Flucht nach vorn

Da die Strategie des „3. Nachbarn“ nicht trägt, zeichnet sich nun ein Kurswechsel ab. Der Präsident, seit 2017 Chaltmaagiin Battulga, sucht die Flucht nach vorn. Er plädiert dafür, die ökonomische Ausrichtung auf Russland und vor allem China pragmatisch zu nutzen. Statt der bisherigen Fokussierung auf mineralische Rohstoffe soll nun mit den Nachbarn intensiv in anderen Bereichen kooperiert werden, um die mongolische Wirtschaft zu diversifizieren.

So wünscht die Mongolei eine Kooperation mit der chinesischen Rohstoffbörse Bohai. Über deren E-Commerce-Plattform wollen die Mongolen ihre Kaschmirwolle besser weltweit verkaufen. Allerdings: Der Annäherungskurs Battulgas ist in der Mongolei heftig umstritten. Vor allem eine von ihm in Aussicht gestellte Mitgliedschaft der Mongolei in der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit ist in der Kritik.

Über das Bündnis, dem neben Staaten Zentralasiens auch Russland, Indien und Pakistan angehören, managt Peking seine Machtbalance mit Moskau in Asien und projiziert seine Globalstrategie einer multipolaren Ordnung unter chinesischer Führung nach Westen. Eine mongolische Mitgliedschaft wäre wohl das endgültige Ende der „Strategie des 3. Nachbarn“.

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