Tanzperformance in Hamburg: Auferstanden aus der Asche

In „Witches“ beschäftigt sich Ursina Tossi mit widerständigen Körpern – ein rasant feministischer Hexentanz in eine andere Zukunft.

Fünf Frauen sitzen auf einer Bühne in der Mitte eines grauen Kreises

Symbol für die Hexenverbrennungen: Fünf Tänzerinnen auf einem Aschehaufen Foto: Sinje Hasheider

HAMBURG taz | Ein Aschehaufen liegt in der Mitte der Bühne, sauber zusammengefegt zu einem Kreis: offenkundig ein Symbol für all die Scheiterhaufen, auf denen Frauen als Hexen verbrannt wurden. An seinem Rand versammeln sich fünf von ihnen, bilden einen Zirkel und beginnen ein Ritual: eine merkwürdige Mischung aus autogener Entspannungsübung und Beschwörung einer Erhitzung.

Langsam zählt Ursina Tossi – Choreografin des Stückes „Witches“, mit dem am Donnerstag Kampnagel die Spielzeit eröffnete – bis zehn. Schließt eure Augen, fordert sie auch das auf dem Boden sitzende und liegende Publikum auf: Atmet den Geruch verbrannter Haare ein; spürt, wie die Hitze in euch emporsteigt; stellt euch vor, wie sie den Wald in Brand setzt und die Flüsse austrocknet; aber auch, wie die globale Atmosphäre durch die gegenwärtige Faschisierung immer weiter erhitzt wird. Bei zehn seid ihr in der Zukunft angekommen.

Dort wird erst mal bitterlich geweint und geschluchzt, getrauert um die zerstörten Körper der Vergangenheit. Dann, allmählich und faszinierend nuancenreich, verwandelt sich das Zittern der schluchzenden Frauen wieder in ein Ritual: Es wird gehext, Zauberkraft durchzuckt die Körper. Oder ist es eher eine Geheimsprache? Tai-Chi? Schritt für Schritt, Geste für Geste gewinnt der Hexentanz Tempo und Furor.

Mit „Witches“ setzt die studierte Philosophin Tossi ihre Auseinandersetzung mit dem Körper als Ausgangs- und Anknüpfungspunkt widerständigen Handelns fort. Mit „Resisting Bodies“ und „Bare Bodies“ hat sie sich beschäftigt, hat sich im vergangenen Jahr in „Blue Moon“ spektakulär einer der Hexe verwandten Figur gewidmet: der Werwölfin.

Tossis Interesse an diesen Figuren ist politisch: ein radikal-feministischer Blick auf die historische Disziplinierung, die Zurichtung und Zerstörung der Körper von Frauen und Kolonisierten. Und ein Versuch, in diesen Figuren einen Rest zu entdecken, der sich dieser Gewaltgeschichte entzieht: als Substrat für Utopien und widerständige Kollektivität.

Hintergrund sind die Thesen der feministischen Wissenschaftlerin und Aktivistin Silvia Federici, die die Geschichte der Hexenverfolgung vor fünfzehn Jahren mit der Entstehung des Kapitalismus zusammengeführt hat: Den weiblichen (und andere kolonisierte) Körper und deren Sexualität zu kontrollieren, das Rebellische zu züchtigen, ihre Potenziale auf die reproduktive Funktion zu reduzieren und alles Undisziplinierbare an ihnen zu vernichten – das war für Federici wesentliche Voraussetzung für die Entstehung von patriarchalem Kapitalismus, Arbeitsdisziplin und organisierter Ausbeutung.

Um die Geschichte der Hexenverfolgung oder überhaupt Geschichten im Sinne einer linearen Erzählung geht es Tossi und ihren vier allesamt eigenwillig und stark auftretenden Mitperformerinnen dabei nicht, sondern eher um eine Studie kollektiver Verlaufsformen körperlicher Zustände.

Fr, Sa + So, 27., 28. + 29. 9., 20.30 Uhr, Hamburg, Kampnagel

Eine gute Stunde lang feiern Tossi und ihr Hexenzirkel die Wandlungsfähigkeit der Figur, zeigen mit einer minutiös ausbuchstabierten Körpersprache, wie sich sie sich immer wieder Versuchen einer Vereindeutigung entzieht. Es geht, wie könnte es bei einem Hexentanz auch anders sein, um Verwandlungen, Verzauberungen und Beschwörungen.

Hexen-Klischees

All das lässt sich als großes Ritual lesen. Wie schon in „Blue Moon“ nimmt Tossi dabei immer wieder auch Bezug auf den popkulturellen Widerhall der Hexenfigur. Da tanzen die Hexen etwa eine ganz eigene Form von Krumping, diesem in der afroamerikanischen Hip-Hop-Szene im Süden von Los Angeles entstandenen aggressiv auftretenden Freestyle-Straßentanz.

Aber auch klassische Horror- und Fantasy-Klischees von Hexen werden in den Strudel der permanenten Transformation gezogen: Mal wähnt man sich auf dem Blocksberg beim Hexenreigen, mal wird lasziv gestöhnt und geächzt, dann kriecht ein spuckendes Kollektivwesen auf die Zuschauer*innen zu, fauchend und kichernd.

Irgendwann drehen die Hexen den Spieß um und verhören von weißen Podesten aus das Publikum: Wie heißt du, wo kommst du her? Warst du unzüchtig? Wie genau war das? Ist der Teufel behaart? Hast du abgetrieben? Hast du dich an der Zerstörung der Kernfamilie beteiligt?

Schließlich schließt sich der Kreis: Die im Ritual zu Beginn anklingende Erhitzung und ihr Bezug auf den Wandel von Klima und politischer Atmosphäre wird konkret: Die Hexen streifen ihre Kleider ab, tanzen nackt, immer befreiter wird ihr Lachen. Dann stellen sie Ventilatoren rings um den Aschekreis, lassen die grauen Flocken durch die Luft fliegen, machen Wetter.

Und eine von ihnen, die Peruanerin Amanda Romero, spricht leise und eindringlich auf Spanisch über Frauen, die ganz gegenwärtig mit Flammen kämpfen: Indigene im Amazonas-Regenwald. Frauen seien es, die einen ganz anderen Umgang mit der Natur hätten als die kapitalistische Ausbeutung – wie einst jene Frauen, die als Hexen verbrannt wurden.

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