„Das Parlament bremst systematisch“

Das peruanische Recherchebüro IDL-Reporteros ist bei der Global Investigative Journalism Conference in Hamburg für einen Preis nominiert. Gründungsmitglied Romina Mella Pardo über die Lage in ihrem Land

Lava Jato („Autowäsche“) heißt der Odebrecht-Skandal, der in Brasilien sein Zentrum hat, aber auch Peru betrifft Foto: George Wright/ Design Pics/­FOTOFINDER

Interview Knut Henkel

taz am wochenende: Frau Mella Pardo, alle Präsidenten Perus zwischen 1990 und 2018 mussten sich oder müssen sich wegen Korruption verantworten. Der derzeit amtierende Präsident Martín Vizcarra versucht die Strukturen der Korruption zu bekämpfen – hat er eine Chance?

Romina Mella Pardo: Martín Vizcarra hat schnell und entschieden reagiert, als IDL-Reporteros am 7. Juli 2018 die ersten Telefonmitschnitte veröffentlichte, die belegen, dass es ein Korruptionsnetzwerk in der peruanischen Justiz gibt. Er hat Reformen initiiert, ein Referendum auf den Weg gebracht, und das hat dazu geführt, dass viele Richter und Staatsanwälte gehen mussten. Die Ermittlungen gegen Korruption im Justizsektor – wir nennen es „Lava Juez“ („­Justizwäsche“) – haben Kontur bekommen und auch die Ermittlungen im Kontext des Odebrecht-Bestechungsskandals vorangebracht. An diesem Fall, der bei uns „Lava Jato“ („Autowäsche“) heißt, arbeiten wir von Beginn an – seit 2011.

Welche Rolle spielen die Medien; spielt investigativer Journalismus bei den klassischen Medien keine Rolle? Warum ist es eine kleine, investigative Redaktion, die Skandale wie Lava Juez und Lava Jato aufgedeckt hat?

In den traditionellen Medien Perus gibt es durchaus spezielle investigative Rechercheredak­tio­nen. Die hatten allerdings an Einfluss verloren und haben heute mit den beiden Korruptionsskandalen wieder an Bedeutung gewonnen. IDL-Reporteros arbeitet heute mit regionalen und nationalen Medien zusammen, die unsere Recherchen drucken. Das hat dazu geführt, dass wir eine größere Reichweite haben, aber auch andere unabhängige Redaktionen wie OjoPúblico und Convoca tragen ihre Teil dazu bei, Licht in den Sumpf der Korruption zu bringen.

Hat Peru ein strukturelles Korruptionsproblem? Immerhin sitzen bzw. saßen zwei ehemalige Präsidenten (Ollanta Humala und Pedro Pablo Kuczynski) in Untersuchungshaft, die Auslieferung von Alejandro Toledo ist in den USA beantragt und Alan García hat sich durch seinen Freitod den Ermittlungen entzogen.

Der Odebrecht-Skandal ist eine Zäsur für die gesamte Region, nicht nur für Brasilien, wo der Skandal 2014 publik wurde, sondern auch für die Nachbarländer. In Peru haben wir bei IDL-Reporteros 2011 mit der Recherche über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen an den Baukonzern durch Politiker bis hoch in den Präsidentenpalast begonnen – also drei Jahre bevor der Skandal publik wurde. 2015 haben wir dann einen regionalen Rechercheverbund angeschoben, den wir Red de Periodismo Estructurado nennen. Bei der Recherche sind wir gut vorangekommen, haben nachweisen können, wie das System der prall gefüllten Umschläge, die Odebrecht verteilte, funktionierte. Odebrecht hat systematisch korrumpiert, um an Großaufträge zu kommen – in der gesamten Region. Sie haben Wahlkämpfe finanziert, Politiker auf regionaler und auch auf nationaler Ebene mit hohen Summen bestochen – darunter auch die vier genannten Präsidenten Perus.

Die Idee hinter dem investigativen Onlineportal „IDL-Reporteros“ hatte Gustavo Gorriti, mittlerweile 71, im Jahr 2010. Unter dem Dach der Menschenrechtsorganisation „Instituo de Defensa legal“ (daher „IDL“) ist das sechsköpfige Team angesiedelt – geleitet von Gorriti.

In den letzten zehn Jahren hat die Redaktion von der Manipulierung von Fischfangquoten bis zum Skandal um den brasilianischen Baukonzern Odebrecht etliche Korruptionsfälle aufgedeckt. Zuletzt die korrupten Seilschaften im Justizapparat, die zu einer anhaltenden politischen Krise in Peru führten.

Welche Rolle spielt das peruanische Parlament? Trägt es zur Aufklärung bei, unterstützt es Präsident Martín Vizcarra bei seinen Initiativen zur Bekämpfung der Korruption?

Nein, das Gegenteil ist der Fall, es behindert die Ermittlungen und die Reformen. Es sind zwei Fraktionen, die systematisch bremsen, Ermittlungen erschweren. Fuerza Popular, die Partei von Keiko Fujimori (Tochter des Ex-Diktators Alberto „Kenya“ Fujimori), ist die eine. Deren Vorsitzende Keiko Fujimori sitzt derzeit in Untersuchungshaft, weil sie Gelder von Odebrecht für ihren Wahlkampf angenommen haben soll. Die andere Partei, die bremst, ist Apra, deren langjähriger Vorsitzender Alan García heißt. Er hat sich vor wenigen Monaten erschossen, als die Ermittler ihn wegen Korruption festnehmen wollten.

IDL-Reporteros arbeitet unter dem Dach der Menschenrechtsorganisation Instituto de Defensa Legal. Welche Vorteile bringt das mit sich?

Für unsere Arbeit im Kontext der korrupten Strukturen im Justizsystem arbeiten wir mit zwei Anwälten von IDL zusammen, die die obersten Justizbehörden und die Verfahren zur Berufung von Richtern en detail kennen. Ihr Wissen über Richter und Strukturen innerhalb des Systems waren entscheidend für das schnelle Vorankommen unserer Recherchen.

Ist es während oder wegen der Recherchen zu Angriffen auf Sie oder Ihre Kollegen gekommen?

Romina Mella Pardo,

34 Jahre alt, hat drei Jahre bei der Tageszeitung La República gearbeitet, bevor sie zu IDL-Reporteros wechselte. Sie koordiniert ein investigatives Recherche-Netzwerk in Lateinamerika.

Ja, wenige Tage nach der Publikation der Telefonmitschnitte tauchte bei uns in der Redaktion ein Staatsanwalt mit vier Polizeibeamten auf. Sie wollten das Material beschlagnahmen und wissen, woher wir es hatten. Wir haben uns geweigert. Auch vonseiten des Kongresses hat es eine Untersuchungskommission gegeben – nicht gegen die korrupten Richter, sondern gegen die Ermittler, die Beweise für die strukturelle Korruption im Justizsektor vorgelegt hatten – gegen uns. Wir haben Klage gegen diese Angriffe vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission eingereicht.

Was bedeutet Ihnen persönlich die Nominierung für den „Global Shining Light Award“?

Wir fühlen uns sehr geehrt, dass wir gemeinsam mit anderen Kollegen, die unter sehr schwierigen Bedingungen arbeiten, nominiert wurden. Das ist Ehre und Motivation.