heute in bremen
: „Für so manche Menschen
wäre eine kleine Wohnung adäquater“

Foto: Wuppertal-Institut

Anja Bierwirth, 46, Co-Leiterin des Forschungsbereichs Stadtwandel am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.

Interview Florian Fabozzi

taz: Frau Bierwirth, welche Nachhaltigkeitsstrategien gibt es beim Wohnungsbau?

Anja Bierwirth: Man unterscheidet zwischen der Effizienz, der Verminderung des Rohstoffbedarfs, der Konsistenz, der Umstellung von fossilen auf erneuerbare Energien und der Suffizienz, die sich die Frage stellt, wie viel Energie und Raum man zum Wohnen benötigt.

Wie lassen sich Altbauten ökologisch sanieren?

Außenwände und Geschossdecken können gedämmt werden, alte Heizungen durch ein neues, effizientes Heizungssystem ersetzt werden. Dabei sollte im Vordergrund stehen, aus welchen Quellen Wärme und Strom bezogen wird.

Wird bei der ökologischen Sanierung von Altbauten schon genug getan?

Auf gar keinen Fall. Deutschland hat eine Sanierungsrate von nur etwa einen Prozent. Für die Erreichung der Klimaziele ist das zu wenig. Außerdem entsprechen die Sanierungen oft nicht dem bestmöglichen Standard. Viele informieren sich im Vorfeld nicht sorgfältig über optimale, ökologische Sanierungsmaßnahmen. Und das, obwohl die Energieeinsparverordnung vorschreibt, dass mit den Sanierungen bestimmte Effizienzmaßnahmen einhergehen müssen.

Kann die fortschreitende Sandknappheit zum Problem für die Bauindustrie werden?

Durch die Verknappung der Ressourcen wie Sand kommt es zu Preisanstiegen. In schnell wachsenden Ländern wie etwa Indien, wo überspitzt ausgedrückt jeden Tag eine Kleinstadt aus dem Boden schießt, ist das ein erhebliches Problem. Da die Ressourcen endlich sind, müssen wir vom Abriss betroffene Materialien wiederverwenden und endlich eine konsequente Kreislaufwirtschaft umsetzen.

Demzufolge sind Neubaumaßnahmen nicht der Weisheit letzter Schluss?

Zumindest bemängel ich, dass der Neubau im derzeitigen Diskurs oft der einzige Lösungsweg ist. Häufig werden ökologische und soziale Ziele gegeneinander ausgespielt. Dabei gibt es viele Leerstände und Gewerbehäuser, die in Wohnhäuser umfunktioniert werden können. Eine Frage kommt mir in politischen Diskussionen zu kurz: Was können wir mit dem machen, was wir schon haben?

Müssen sich Menschen gemäß der Energiesuffizienz künftig mit weniger Wohnraum begnügen?

Workshops zum Thema „Wachtumswende in Bremen“ am Künstlerhaus Güterbahnhof, 10.30–18 Uhr

Viele Häuser sind ja ohnehin unterbenutzt. In Familienhaushalten wird, wenn die Kinder ausziehen, der räumliche Wohlstand irgendwann zur Belastung. Älteren Menschen fehlt die Kraft, ein 100 Quadratmeter großes Haus instand zu halten. Für so manche Menschen wäre eine kleine Wohnung adäquater.

Was sind die Wohnkonzepte der Zukunft?

Gemeinschaftliche Wohnprojekte mit geringer Privatfläche, aber vielen Gemeinschaftsbereichen, sollten gefördert werden. Die Schweiz ist uns da mit genossenschaftlichen Projekten weit voraus. Soziale, ökologische und ökonomische Aspekte werden hier unter einen Hut gebracht. Am wenigsten nachhaltig sind Einfamilienhäuser. Nur ist für viele Menschen genau das noch immer der Wohntraum: ein Eigenheim im Grünen.

Was werden Sie mit den Teilnehmer*innen in den Workshops konkret erarbeiten?

Wir werden diskutierten, wie zukunftsfähiges Wohnen aussehen kann und wie man vorhandenen Wohnraum besser nutzt. Auch werde ich auf soziale, nachhaltige Finanzierungsmodelle eingehen. Gemäß des Veranstaltungstitels „Wachstumswende“ reden wir auch darüber, wie der Gewinnmaximierungsgedanke, der durch die Liberalisierung des Marktes verursacht wurde, umgekehrt werden kann.