Wahl in Afghanistan: Oberlehrer gegen Herrn Inschallah

Afghanistan wählt zum vierten Mal seit 2001 einen Präsidenten. Aschraf Ghani und Abdullah Abdullah sind wieder die Favoriten.

Männer und sehr viele blaue Plastikkisten

Wahlhelfer in Kabul Foto: reuters

KABUL/HERAT taz | An der Straße vom Kabuler Flughafen grüßt ein Riesenplakat von Präsident Aschraf Ghani mit Turban und mit erhobenem Finger. Seine Neigung zu Belehrungen bei Treffen mit Landsleuten, Diplomaten und selbst bei Auslandsauftritten sowie zu einsamen Entscheidungen brachte dem 70-jährigen früheren Universitätsprofessor und Weltbank-Mitarbeiter den Titel „Oberlehrer der Nation“ ein.

Er ist einer der aussichtsreichen Bewerber, wenn am Sonnabend 9 Millionen registrierte WählerInnen zum vierten Mal seit dem Sturz der Taliban 2001 ihren Staatschef wählen. 18 Kandidaten waren ursprünglich angetreten, aber vier zogen sich schon zurück. Schon zum zweiten Mal nacheinander gibt es keine Bewerberin; nur drei Außenseiter nominierten Frauen für die beiden Vizeämter.

Von seinem Kabuler Hauptquartier aus, das sich Wahlgasse nennt, einem streng bewachten Straßenabschnitt im Nobelviertel Wasir Akbar Chan, führt Ghanis von US- und Deutsch-Afghanen durchsetztes Wahlkampfteam eine Doppelkampagne. Über die sozialen Medien und einem Netz zum Teil über Ghani-Verwandte finanzierter Jugendorganisationen versucht es, die junge Bevölkerung zu mobilisieren. Fast zwei Drittel aller AfghanInnen ist jünger als 24. Eine zweite Gruppe umwirbt die traditionellen Stammes- und Dorfältesten.

Der Chef einer der größten Privatbanken des Landes, deren Firmensitz in der Wahlgasse liegt, soll Ghanis teure Kampagne mitfinanzieren. Zudem scheinen wichtige Getreue auch die Regierung zu melken. Von zehnprozentigen Abschlägen bei Staatsaufträgen ist die Rede. Dass die US-Regierung gerade 160 Millionen Dollar Zuschüsse stoppte, unter anderem wegen Korruption, wird als Signal an Ghani interpretiert, Hilfsgelder nicht in seine Wahlkampfkasse umzuleiten. Das ist besonders pikant, da er sich als Ausmister geriert und sein Team als „nation builder“ firmiert.

Die erstarkten Taliban drohen Kandidaten, Wahlhelfern, Wählern sowie den Telekomgesellschaften

Ghanis Intransparenz trug dazu bei, dass seine Beliebtheit seit der Wahl 2014 erheblich schrumpfte. Auf einer Wahlveranstaltung am Montag in der Zen­tralprovinz Bamian wurde er mit Steinwürfen empfangen. Anfang September musste sein Vize-Kandidat, Ex-Geheimdienstchef Amrullah Saleh, in Badachschan vor einem Wasserflaschenbombardement von der Tribüne fliehen.

„Es fühlt sich an, als ob es keine Wahl gäbe“

Kontrahent Abdullah Abdullah sammelt frühere Warlords um sich. Er profilierte sich in den 90er Jahren als Außenminister der antisowjetischen Mudschahedin und versucht nun, von diesem Image zu zehren. Sein größter Coup ist, dass er den Usbeken-Warlord Abdul Raschid Dostum auf seine Seite gezogen hat. Der war Ghanis Vizepräsident, bis er sich mit ihm zerstritt.

Allerdings fehlt dem 59-jährigen Augenarzt Abdullah politisches Profil. Selbst Nahestehende nennen ihn unter der Hand programmatisch „leer“. Ein Zivilgesellschaftsaktivist meinte ironisch, Abdullahs Wahlkampf liefe unter dem Slogan „Inschallah me-scha“ – wird schon, wenn Gott will.

Die meisten anderen Kandidaten sind chancenlos, in eine eventuelle Stichwahl im November zu kommen. Zu ihnen gehören der berüchtigte Warlord Gulbuddin Hekmatyar, Ex-Gehenmdienstchef Rahmatullah Nabil und Ahmad Wali Massud, Bruder eines anderen früheren Mudschahedinführers. Sie könnten den Favoriten ein paar Prozent abnehmen, die ihnen für einen Sieg in Runde 1 fehlen könnten.

Dass mit Ghani und Abdullah wieder die Chefs der amtierenden, wenig erfolgreichen sogenannten Einheitsregierung favorisiert sind, reduziert den Enthusiasmus der WählerInnen stark. „Wir haben für Ghani und vorher für Karsai gestimmt, aber sie haben nichts getan. Warum also zur Wahl gehen? Ich nutze die Zeit besser, um mit meiner Rikscha Geld zu verdienen“, sagt ein Mann in der Großstadt Herat der taz. Ein Bewohner der nahen Kreisstadt Gu­sara meint: „Es fühlt sich an, als ob es überhaupt keine Wahl gäbe.“

Haftmine am Ghani-Wahlkampfbüro in Kandahar

Es wird mit geringer Wahlbeteiligung gerechnet, zumal von den 7.366 Wahllokalen nur höchstens 4.942 öffnen werden, weil die übrigen nicht gesichert werden können. Weitere 1.300 gelten als unsicher. Das liegt auch an den Taliban, die mit Anschlägen auf Wahlkämpfer, -lokale und -helfer gedroht und das auch schon wahr gemacht haben. Ende Juli griffen sie die Zentrale von Ghanis Vizekandidaten Saleh in Kabul an. Er konnte sich nur durch einen Sprung aus dem Fenster retten. Am 17. September sprengte sich ein Selbstmordattentäter bei einer Veranstaltung mit Ghani und Saleh in der Stadt Tscharikar in die Luft. 49 Menschen starben bei den beiden Anschlägen, über 80 wurden verletzt.

Am Mittwoch tötete eine Haftmine an einem Ghani-Wahlkampfbüro in Kandahar drei Menschen, eine weitere Mine verletzte in der Nachbarprovinz Helmand einen Abgeordneten und zwei Wächter. Dazu kommen Drohbriefe, Schulen nicht als Wahllokale zu nutzen, und an Lehrerinnen, nicht als Wahlhelfer zu fungieren. Aus Vorsicht schickten viele Eltern ihre Kinder schon diese Woche nicht zur Schule.

Die Taliban zwingen auch private Telekomunternehmen zu Telefon- und Internetblackouts. Damit wollen sie die Datenübertragung aus den Wahllokalen in die Kabuler Zentrale verhindern. Schon brachen Netzwerke in mehreren Nordprovinzen zusammen. In Südafghanistan sperren ihre Taliban Zufahrtsstraßen zu Provinz- und Distriktzentren. Bricht der Wahlprozess gebietsweise zusammen, könnten Verlierer das Wahlergebnis nicht anerkennen. Das könnte zu einer neuen Krise führen, die in Gewalt umschlagen kann. „Als junge Frauen fühlen wir uns weniger und weniger sicher“, sagt eine Herater Studentin.

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