Linke Demonstration in Essen: Gegen Rechtsruck und Rassismus

In Essen macht sich eine selbsternannte Bürgerwehr aus Neonazis, Hooligans und Rockern breit. Ein buntes Bündnis hat sich ihnen in den Weg gestellt.

Der Rücken eines Nazis, der ein T-Shirt trägt auf dem steht: "Steeler Jungs sind immer da"

Klare Ansage: Die Essener Nazis wollen den Stadtteil Steele für sich Foto: imago / Gottfried Czepluch

ESSEN taz | Die aufgepumpten, nicht selten stiernackigen und glatzköpfigen Muskelmänner nennen sich selbst „Steeler Jungs“. Fast jeden Donnerstag gegen 18 Uhr tauchen sie auf dem zentralen Grendplatz im Stadtteil Steele im Essener Süden auf. Oft schweigend patrouillieren sie in Gruppen von mal 50, mal 100 Leuten durch die Straßen, tragen uniformartig das gleiche T-Shirt. „Steeler Jungs sind immer da“, steht darauf.

Der Spruch ist eine Drohung. Denn die Truppe ist eine üble Mischung aus Neonazis und Rockern. Die wollten „den Eindruck erwecken, dass Flüchtlinge generell eine Bedrohung darstellen und der demokratische Rechtsstaat nicht handlungsfähig sei“, schreibt der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz in seinem in Juni veröffentlichten Jahresbericht. Nicht umsonst wurde auf einer Versammlung der „Steeler Jungs“ ausgerechnet am 21. März, dem Internationalen Tag gegen Rassismus, der Hitlergruß gezeigt.

Der Kern des Haufens kennt sich seit Jahren aus der rechten Hooligan-Szene des Fußballvereins Rot-Weiss Essen – und ist in Neonazi-Kreisen bestens vernetzt: Erst Anfang August tauchte bei einem Aufmarsch in Steele nicht nur der Dortmunder Rechtsextremist Siegfried Borchardt, genannt „SS-Siggi“, auf: Vor Ort waren auch Michael Brück, NRW-Landesvize der extremistischen Kleinstpartei „Die Rechte“ und der Landeschef der NPD, Claus Cremer.

„Die Situation ist ernst, wirklich ernst“, sagt die Rechtsanwältin Irene Wollenberg, die mit Unterstützung der evangelischen Friedenskirchen-Gemeinde die Initiative „Steele bleibt bunt“ mitgegründet hat. „Wir werden beobachtet, bis nach Hause verfolgt. Selbst in unsere Wohnungen wird hineinfotografiert.“ Mitte August wurden zwei unpolitische Jugendliche in den Treffpunkt der „Steeler Jungs“, die „Sportsbar 300“ gelockt – und dann durchsucht und geschlagen, weil sie „links“ ausgesehen haben sollen.

Der Nazi-Chef ist auch Motorrad-Rocker

Betrieben wird die Kneipe vom Anführer der rechtsextremen Truppe, dem muskelbepackten Umzugsunternehmer Christian „Bifi“ Willing. Auf das gegenüberliegende Kulturzentrum Grend wurde sogar scharf geschossen – Willing ist auch „Präsident“ des Rockerclubs Bandidos in der Nachbarstadt Bottrop.

Trotzdem glaubten noch immer manche in Steele, Willings Truppe sei „unpolitisch“, sagt Christian Baumann von Bündnis Essen stellt sich quer. „Die tun doch nichts, tragen sogar alten Leuten die Einkaufstaschen hoch“, höre er noch immer. Dabei drohe im Essener Süden die Entstehung eines Nazi-Kiezes wie schon im bundesweit bekannten Dortmunder Stadtteil Dorstfeld, wo Rechtsextreme einen ganzen Straßenzug okkupiert haben.

Doch die Aktivist*innen von Essen stellt sich quer und Steele bleibt bunt wollen das nicht hinnehmen. Zusammen mit der Initiative Aufstehen gegen Rassismus hatten sie am Samstag unter dem Motto „Der Pott bleibt unteilbar“ zu einer Demonstration gegen den Rechtsruck aufgerufen. Gerechnet haben sie mit etwa 1.000 Teilnehmer*innen, gezählt wurden 2.500.

„Wir sind mehr“, stand auf den Transparenten der Protestierenden, darunter auch viele Ältere aus dem bürgerlichen Spektrum. Stimmung machten die Band Compania Bataclan, die Punkrocker von Männi und die Rapper King Louie und Canuto. Grüne, Linke, Gewerkschafter waren ebenso vor Ort wie antirassistische Initiativen. „Faschismus ist ein Verbrechen“ stand auf ihren Plakaten und: „Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf“.

Die Polizei lässt den Rechten freie Hand

Denn in der rechtsextremen Szene finden die „Steeler Jungs“ nicht nur in Essen Nachahmer. In einem Nachbarstadtteil tauchen jetzt „Huttroper Jungs“ auf. In Düsseldorf ist die selbsternannte Bürgerwehr „Bruderschaft Deutschland“ auf den Straßen, in Köln nennen sich die rechten Schläger „Begleitschutz“. Trotzdem verharmlose zumindest Essens Polizei die Nazitrupps noch immer, klagt Christian Baumann von Essen stellt sich quer.

Zwar wurde ein Stadtteilpolizist, der im Februar ganz offen mit den „Steeler Jungs“ freundschaftlich auf Fotos posierte, versetzt. Dennoch vermittle die Polizei den Eindruck, das größte Problem Steeles seien die Gegendemonstrant*innen: „Wenn die Rechtsextremen aufmarschieren, werden sie von vier Dorfsheriffs begleitet“, sagt Baumann. „Wenn wir demonstrieren, rückt eine Einsatzhundertschaft an.“

Gezeichnet werde so ein Bild, nach dem die „Steeler Jungs“ friedlich, der bürgerliche Widerstand gegen die Rechtsextremen dagegen gewaltbereit sei. Dabei klagen Vertreter*innen der Initiative Aufstehen gegen Rassismus, sie seien selbst am Rand der Demonstration am Samstag von „Steeler Jungs“ angepöbelt worden. Die mit Beamt*innen selbst aus Baden-Württemberg verstärkte Polizei sei trotzdem nur langsam und zögerlich eingeschritten.

Die Proteste werden deshalb weitergehen: Am Mittwoch ist ein Friedensgebet, am Donnerstag eine Aktion von Aufstehen gegen Rassismus geplant. Auch die autonome Szene mobilisiert.

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