Der Nestbeschmutzer

HALTUNG Der österreichisch-jüdische Fernsehschauspieler mischt sich immer wieder mit scharfem Witz in die Politik ein. Wer ist Miguel Herz-Kestranek?

„Die Schauspielerei ist kein Beruf für einen erwachsenen Menschen“

MIGUEL HERZ-KESTRANEK

AUS ST. GILGEN DANIELA ZINSER

Miguel Herz-Kestranek sitzt im Paradies. In Lederhosen. Er ist barfuß und sein Hemd ist so blau wie der Himmel, das Wasser, die Berge in der Ferne. Segelboote gleiten über den Wolfgangsee. Drei Häuser weiter saß Helmut Kohl immer am Bootshaus und sah aufs Wasser. Hier, in St. Gilgen im Salzkammergut, ist Miguel Herz-Kestraneks Heimat. Sein Ursprung, seine Sehnsucht. Der Ort, von dem er kommt und zu dem er immer zurück will. Hier läuft alles zusammen.

Paradiesisch schön ist dieser Ort, und immer in Gefahr, zu vergehen. Seit der Kaiserzeit sind die beiden Häuser mit den typischen Holzverzierungen im Besitz seiner jüdischen Familie. Das kleinere, vor dem der österreichische Schauspieler, Autor und Intellektuelle nun in der Sonne sitzt, und sein Elternhaus nebenan. Als sein Vater 1938 ins Exil gehen musste, glaubte die Familie schon alles verloren. Doch nach dem Krieg bekamen sie die Häuser zurück, auch wenn nichts mehr so war wie zuvor.

Lust an der Polemik

„Noch kann ich den Rest des Familienbesitzes halten, aber der Verlust droht ständig“, sagt Herz-Kestranek, der 1948 geboren wurde. Die Exilerfahrungen des Vaters, die Gäste, mit denen dieser diskutierte und jüdische Witze erzählte, haben ihn geprägt. Sein Humor und die Lust an der Polemik, sein kritischer, analytischer Blick auf die Welt, sein Interesse für die Exilforschung, an der Geschichte des Holocaust und seine glühende Überzeugung für Europa haben darin ihre Wurzeln.

„Man kriegt sofort eine Riesendemo zusammen gegen eine Wiederholung von Auschwitz, aber für Europa kommt keine Sau. Marschiert nicht gegen Auschwitz, sondern für ein vereintes Europa, weil es dort kein Auschwitz mehr geben kann. Wir sagen immer, in Europa funktioniert das und das nicht, schaffen wir es ab. In Deutschland funktioniert auch das und das nicht. Schaffen wir es ab.“

Mehr als 160 Film- und Serienrollen hat Miguel Herz-Kestranek gespielt, den Liebhaber, den Bösewicht, die Vaterfigur. In Rosamunde Pilcher-, Utta Danella-, Inga Lindström-Filmen. In „Beate Uhse“ und „Doctor’s Diary“. Größere und kleinere Rollen neben Iris Berben, Christiane Hörbiger, Ulrich Mühe, Götz George. International hat er mit Vanessa Redgrave, Richard Burton, Clint Eastwood und John Malkovich gedreht. Es ist der typische „Ach der!“-Effekt, den er auslöst. Dieses Gesicht kennt man, den Menschen dahinter überhaupt nicht.

„Gute Casterinnen meinen manchmal erstaunt: ‚Sie sind ja ganz anders als die leichten Formate, in denen Sie spielen. Sie sind ja eher so ein Intellektueller‘“, erzählt Miguel Herz-Kestranek. Die meisten Filme mache er zähneknirschend für Geld. „Ich kann nicht verhungern, nur weil es keine anderen Angebote gibt.“ Sein Herz steckt in den unzähligen anderen Projekten und Aktivitäten. Er betreibt die weltweit größte Internetseite für Schüttelreime. Er ist „Botschafter der Tracht“. Und er engagiert sich in der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik ebenso wie in der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung und auch beim Dokumentationszentrum des Österreichischen Widerstands. Mit beißender Ironie kommentiert er als Redner und als Autor in Zeitungen und im Radio Politik und Kultur in Österreich. Er äußert sich über die Regierung, diese „Bundeswürstelpartei“, übers Sozialsystem und über den Umgang mit Rechtspopulisten. Vielleicht, überlegt er, sei er deshalb auch seit Jahren so gut wie nicht beschäftigt in Österreich.

Der Schriftsteller Miguel Herz-Kestranek war jahrelang Vizepräsident des PEN-Clubs, einer internationalen Schriftstellervereinigung, gerade hat er sein 13. Buch veröffentlicht. „Die Frau von Pollak – oder wie mein Vater jüdische Witze erzählte“, ist eine Sammlung jener Anekdoten, mit denen er aufgewachsen ist. Dem typischen Humor, die Pointen verwebt er mit seiner Familiengeschichte. Ein Buch voller Wehmut und Witz. Zum Europäischen Tag der jüdischen Kultur am Sonntag wird er in der Israelitischen Kultusgemeinde in München daraus lesen.

Auch in diesem Buch geht es Herz-Kestranek ums Bewahren. „Die Sprache, die allzeitige Bereitschaft zur selbstironischen Pointe – das ist gestorben. Nicht nur der Holocaust, auch die Zeiten sind darüber hinweggegangen. Das mitteleuropäische Judentum und seine Geisteswelt sind ausgerottet.“ Er hat sie noch erfahren, ja tief verinnerlicht. Ein Gespräch mit ihm an einem Sommernachmittag am See bei selbst gemachtem Hollersaft und Keksen ist ein Pointenfeuerwerk. „Ich empfinde die Bezeichnung Intellektueller nicht als abwertend, es ist mir lieber als Schauspieler. Das halte ich ohnehin für keinen Beruf für einen erwachsenen Menschen.“ Die meisten Drehbücher seien „trivialer Schmarrn“. Herz-Kestranek hat die Schauspielerei von Grund auf gelernt. Erst am Wiener Max-Reinhardt-Seminar, später am Burgtheater Wien, am Grazer Schauspielhaus und am Theater in der Josefstadt in Wien.

Nur festlegen wollte er sich nie. Kaum wurde er Mitte der 80er Jahre zum beliebtesten österreichischen „Tatort“-Kommissar gewählt, stieg er aus. Intellektueller sein, das heißt für ihn, regulativ sein. „Political Correctness ist der Faschismus der Gesinnungsparvenüs.“ Er hat Kluges zu sagen, ohne falsche Rücksicht.

„Was Hitler vor allem zerstört hat, ist Deutschland. Davon hat es sich bis heute nicht erholt. Es sind die Wörter kaputt, die Gefühle, die Landschaft, die Städte, die unfassbare Schönheit des Landes. Und die Juden und ihr Einfluss auf Kultur und Leben sind weg. Sobald es der Wirtschaft schlechter geht, ist da nichts drunter. Da sind keine Traditionen mehr. Darum gibt es deutsche Filme, aber keinen deutschen Film. Es fehlt Identität, Humus, aus dem man Themen formen kann.“

„Jüdischer Buddchrist“

Über die Recherche für eine Rolle kam er zum Buddhismus. „Der ist so ‚down to earth‘, so heutig. Gott ist irgendwie nicht mehr anwendbar in Zeiten des Internets“, sagt er und bezeichnet sich als „jüdischer Buddhchrist“. Eindimensional gibt es bei ihm nicht. Sein Vorname ist eine Erinnerung an Uruguay, wo seine Eltern sich im Exil kennenlernten, Herz ist ein jüdischer Name, Kestranek kommt vom böhmischen Teil der Familie. In St. Gilgen hat der Vater zum vierten Mal geheiratet. Die geschiedene Frau eines SS-Hauptmanns. Ihre Kinder erbten das Elternhaus. Die Kindheit war nicht immer das Paradies, aber Herz-Kestranek ist versöhnt damit. Er trägt wieder Lederhose, wie damals. Als Erinnerung – und weil das Juden unter den Nazis verboten war.

„Heute, in der Demokratie, wo man vors Parlament scheißen kann, wo alles möglich ist – wer traut sich denn was? Kein Mensch. Wer steht denn auf? Aber wir verlangen von Menschen, dass sie damals hätten sagen sollen: ,Moment, den Herrn Silberblatt von nebenan, den führen Sie nicht ab!‘ Hut ab vor jedem, der es gesehen und zumindest geweint hat.“

Heimat ist für ihn Festhalten, Erinnern, Andenken. In seinen Kommentaren, in Büchern. Und, auf eine Art, auch im Film. „Ich bin nur Schauspieler, um den Familienbesitz zu erhalten. Wenn ich es verliere, dann hat Hitler gewonnen“, sagt er und blickt dabei auf den Wolfgangsee, wie sein Vater damals.