Nach dem Lübcke-Mord: Nicht schon wieder!

Die Regierung versprach „rückhaltlose Aufklärung“, allen voran die hessische. Geblieben ist nicht viel, wie das Agieren des Verfassungsschutzes zeigt.

Aktenordner

Elf Mal taucht Stephan Ernsts Name in den NSU-Akten auf Foto: dpa

Es war Horst Seehofer, der versprach, die Aufklärung im Mordfall Lübcke werde „intensiv“ vorangetrieben, das sei man „der Öffentlichkeit auch schuldig“. Auch Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) erklärte, die Landesregierung werde „alles tun, dieses scheußliche Verbrechen rückhaltlos aufzuklären“.

Und heute? Hat der hessische Verfassungsschutz der Welt gerade Auskünfte verweigert, wie, wann und warum der mutmaßliche Lübcke-Mörder Stephan Ernst in einer brisanten Akte auftaucht – nämlich jener mit der hessischen NSU-Bilanz, die anfangs für 120 Jahre gesperrt wurde. Das Amt lehnte die Anfrage ab – Einstufung geheim! –, die Welt klagte dagegen. Und konnte so zumindest erfahren, dass Ernst elf Mal in der Akte auftaucht. Damit ist klar: Eine Randfigur der rechtsextremen Szene war Ernst also keineswegs. Wann und warum der Neonazi aber vom Verfassungsschutz notiert wurde, das hält das Amt bis heute geheim.

„Rückhaltlose Aufklärung“ – so schnell kommt sie also an ihr Ende. Und der Aktenfall ist nicht alles. War der Kasseler Ernst, ein einst notorisch gewalttätiger Neonazi, wirklich Einzeltäter? War er in rechtsextreme Netzwerke eingebunden? Fiel er 2009, kurz nach einer erneuten Verurteilung, wirklich aus allen Rastern der Sicherheitsbehörden? Gibt es noch weitere Taten von Ernst? Gar eine Verbindung zur NSU-Mordserie? Nichts davon ist klar. Im Gegenteil mehren sich an all diesen Thesen immer mehr Zweifel. Der Nebel im Fall Lübcke lichtet sich nicht. Er scheint sich eher zu verdichten. Das geht nicht. Nicht schon wieder. Und nicht wieder in Hessen.

Mit dieser Ausgangslage gibt es keinen Grund, hier noch irgendetwas zu verheimlichen

Denn das Muster ist nur allzu bekannt: von der NSU-Mordserie. Zehn Menschen erschossen die Rechtsterroristen um Zschä­pe, Mundlos und Böhnhardt, von 2000 bis 2007. Auch hier sind bis heute zentrale Fragen ungeklärt: Wie viele Miteingeweihte und Helfer gab es? Warum traf es genau diese Opfer? Wusste der Staat wirklich so wenig über das abgetauchte Trio?

Hessen belegt dabei den Spitzenplatz des Nebulösen. Am Tatort des Kasseler NSU-Mordes an Halit Yozgat war Verfassungsschützer Andreas Temme zugegen. Reiner Zufall, behauptet dieser. Und mitbekommen habe er auch nichts. Bouffier, damals noch Innenminister, bremste die Aufklärung aus, lehnte eine Befragung von V-Leuten durch die Polizei ab. Als in Hessen ein Untersuchungsausschuss einberufen wurde, stimmten selbst die mitregierenden Grünen nicht dafür. Stattdessen wurde im Land der erwähnte NSU-Bericht für 120 Jahre als geheim eingestuft.

Nun droht sich im Fall Lübcke alles zu wiederholen. Dabei geht es auch hier um Menschenleben, um einen erschossenen Familienvater, einen CDU-Regierungspräsidenten – Walter Lübcke. Den ersten Politiker, der durch einen Rechtsterroristen in der Nachkriegszeit ermordet wurde. In einer gesellschaftlichen Stimmung, in der auch andere Parlamentarier und Vertreter der Zivilgesellschaft mit Morddrohungen überzogen werden. Mit dieser Ausgangslage gibt es keinen Grund, hier noch irgendetwas zu verheimlichen. Keinen.

Im Fall Lübcke gibt es immerhin ein Geständnis des Tatverdächtigen – das dieser indes wieder zurückgezogen hat. Dennoch: Die zentralen Aussagen haben sich in der Folge bestätigt – das Waffendepot samt Tatwaffe wurde entdeckt, zwei mutmaßliche Helfer wurden verhaftet. Auch gibt es eine DNA-Spur am Tatort. An der Täterschaft bestehen also wenig Zweifel. Damit hört es aber auch schon auf.

Netzwerk oder Einzeltäter?

Stephan Ernst, der Einzeltäter? Zuletzt wurde bekannt, dass ein Mitbeschuldigter, Markus H., offenbar viel enger in den Mordplan eingebunden war. Beide filmten den Lübcke-Auftritt, bei dem dieser 2015 Geflüchtetengegner kritisierte, stellten dies ins Internet – und fachten so den rechten Hass auf den CDU-Mann überhaupt erst an. H. soll Ernst zudem die Tatwaffe vermittelt, ihn mit zu Schießübungen genommen haben, ihn im Tatplan „bestärkt“ haben.

Oder die Netzwerkfrage: Ernst war Mitglied bei der völkischen „Artgemeinschaft“, in der sich auch Zschäpe und NSU-Helfer bewegten, ein Foto zeigt ihn zudem mit einem späteren „Combat 18“-Anführer. Zufall? Und der Generalbundesanwalt ermittelt inzwischen, ob Ernst nicht auch für eine Messerattacke auf einen Iraker 2016 verantwortlich ist. Die Ermittler sprechen auch von rechten Demos, die Ernst noch in jüngster Zeit besuchte. Wie konnte er da vom Radar verschwinden?

Horst Seehofer, Volker Bouffier, der hessische Verfassungsschutz – sie alle schweigen dazu bisher. Auch Kanzlerin Angela Merkel versprach einmal, „alles zu tun“, um ein Verbrechen aufzuklären und deren „Helfershelfer aufzudecken“: Es ging um den NSU-Terror. Dann wurden Aussagen verweigert, Akten geschwärzt, gingen Erinnerungen verloren. All das darf nun im Fall Lübcke nicht noch mal passieren. Falls Bouffier seine Worte diesmal ernst meint, sollte er den Verfassungsschutz verpflichten, seine Akten offenzulegen. Auch dass der NSU-Bericht von 120 auf 40 Jahre herabgestuft wurde, reicht nicht. Die Aufklärung muss endlich proaktiv erfolgen, nicht erst erzwungen durch Gerichte.

SPD und Linke in Hessen bringen bereits einen Untersuchungsausschuss ins Spiel – viel spricht dafür, das genau das nötig wird. Wann, wenn nicht bei so einem Fall? Es darf keinen Zweifel geben, und es muss auch durch öffentlichen Druck unausweichlich gemacht werden: Die rückhaltlose Aufklärung, diesmal muss es sie wirklich geben.

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Redakteur für Themen der "Inneren Sicherheit" im taz-Inlandsressort, seit 2014. Von 2022 bis 2024 stellvertretender Ressortleiter Inland. Bis 2014 vier Jahre lang Teil des Berlin-Ressorts der taz. Studium der Publizistik und Soziologie.

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